Das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien sucht Autorinnen und Autoren für ein digitales Quellenportal. Es ist den Lebenswelten deutschsprachiger Jüdinnen und Juden gewidmet, die ab den 1820er Jahren aus ihren Herkunftsländern emigrierten oder flohen und sich in verschiedenen (Transit)Ländern – von A wie Argentinien bis Z wie Zypern – eine neue Existenz aufbauten. Neben individuellen Migrationsgeschichten und der Frage, wohin sie, wann und in welcher Zahl den deutschsprachigen Raum v.a. nach 1933 verließen, geraten Gruppenbildungsprozesse, Mehrfachzugehörigkeiten und transnationale Netzwerke über 1945 hinaus in den Blick.
Das Quellenportal ist Teil eines hybriden Publikationsprojekts des Leo Baeck Instituts (LBI), hier insbesondere der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des LBI (WAG). Sein Ziel ist es, erstmals eine Gesamtgeschichte der deutsch-jüdischen Diaspora vorzulegen. Neben dem Portal ist dazu ein Sammelband geplant, der an die renommierte Reihe Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit (C. H. Beck München) anknüpft. Das Portal bietet in Verbindung mit dem Überblickscharakter des Buches die Möglichkeit, biografische Fallstudien und weniger bekannte Ereignisse und Orte eingehender vorzustellen. In der Printpublikation sollen Verlinkungen den Portal-Beiträgen zugeordnet werden.
Das hybride Publikationsprojekt widmet sich Akteur:innen, die einem deutschen Sprach- und Kulturkreis zuzurechnen sind und ist nicht auf deutsche Jüdinnen und Juden beschränkt. Es richtet sich an Studierende, Forschende und Lehrende, aber auch an Schüler:innen und interessierte Laien. Die Website ist mehrsprachig angelegt und soll auf Deutsch und Englisch, zukünftig möglichst auch auf Spanisch, ausgespielt werden.
Für das Projekt sind wir aktuell auf der Suche nach Textbeiträgen zu
i) Quellen
ii) historischen Akteurinnen und Akteuren
Als Quellen kommen historische Text-, Bild-, Ton- oder audiovisuelle Dokumente in Frage. Dreidimensionale Objekte sind ausdrücklich erwünscht. Die Quellen werden durch eine Quellenbeschreibung (ca. 150-200 Wörter) und eine Quelleninterpretation (ca. 1.500 Wörter) textlich aufbereitet. Die einzelne Quelle soll in ihrem Entstehungs- und Gebrauchskontext verortet werden, wobei offene Fragen und alternative Interpretationsmöglichkeiten von den Autorinnen und Autoren zu berücksichtigen sind.
Daneben sollen historische Akteur:innen porträtiert werden, die den deutschsprachigen Raum verließen. Der deutsch-jüdischen Diaspora soll so gewissermaßen ein Gesicht gegeben und einer Entpersönlichung der Migrationsthematik entgegengetreten werden. Die Beiträge zu Personen, deren Lebenswege durch Fotos und Ego-Dokumente möglichst anschaulich zu erzählen sind, sollen ca. 1.500-2.500 Wörter umfassen.
Die einzelnen Quellen und historischen Akteur:innen sollten auf allgemeine Fragestellungen und zentrale Aspekte der deutsch-jüdischen Diaspora abheben und Sachinformationen mit einer analytischen Deutung verbinden.
Mögliche Themenfelder, denen sie sich zuordnen lassen, sind:
Pfade der Diaspora
- Bürokratie der Emigration und Flucht
- Temporäre Zuflucht und Transmigration
- Refugium im (post)kolonialen Raum
Ankommen
- Jüdische Gemeinden
- Hilfs- und Heimatvereine
- Presse- und Verlagswesen
- Kindergärten, Schulen, Seniorenheime
- Kunst- und Kultureinrichtungen
- Sportvereine
Alltag
- Demografie
- Berufsleben
- Bildung und Erziehung
- Wohn- und Esskultur
- Leben im Zentrum vs. Peripherie
Identität und Religiosität
- Diversität des Deutschsprachigen
- Landsmanshaftn („Frankfurter“, „Wiener“ etc.)
- Religiöse Identitäten
- Identitätskonflikte, hybride Zugehörigkeiten
Geschlecht und Generation
- Geschlechterrollen
- Dienstboten-Emigration
- Familienleben und Kindererziehung
- „Kindertransport“
- Postmigrantische Perspektiven
Transnationale Netzwerke
- Vereine und Interessenvertretungen
- Zeitungen und Zeitschriften
- Religiöse Netzwerke
- Logen und Kongregationen
- Informelle Netzwerke: Nachbarschaft, Freundschaften, Familie
Sprache
- Publikationswesen
- Stammtische
- Diasporischer Humor
- Sprachlosigkeit, -wechsel und -mischungen
Begegnungen
- Verhältnis zwischen Alteingesessenen und Neuzugewanderten:
Ausgrenzung, Antisemitismus / Kooperation, Koexistenz
- Enemy Aliens
- Als Soldat in den alliierten Streitkräften
- Begegnung mit anderen jüdischen Gruppen („Ostjuden“)
- Engagement in Bürgerrechtsbewegung, Anti-Apartheidbewegung
Kultur- und Wissenstransfer
- Wissenschaftsemigration
- Literatur, Kunst, Theater und Musik
- Architektur
- Aneignung von Kultur- und Wissensbeständen
Rückkehr
- Rückkehr als Vernehmungsoffizier, Dolmetscher oder GI
- Remigrant:innen nach 1945
- Wiederaufbau Jüdischer Gemeinden
- Besuchsprogramme und informelle Reisen
Erbe und Erinnern
- Deutsch-jüdisches Kulturerbe (immateriell und materiell)
- Archive, Bibliotheken, Museen etc. zur Bewahrung dieses Erbes
- Transgenerationale Weitergabe
- Memoiren, Oral History, Literatur, Musik, Theater und Film
- Kampf um „Wiedergutmachung“ als diasporisches Projekt
Kurze, aussagekräftige Vorschläge, die die Quelle bzw. die historische Person in eine Themenkategorie einordnen und auf relevante Forschungsliteratur verweisen, senden Sie bitte bis zum 26. Januar 2024 zusammen mit einem kurzen Lebenslauf an Dr. Lisa Sophie Gebhard (diaspora@juedische-geschichte-online.net). Wir werden Sie zeitnah informieren, ob der Vorschlag angenommen wurde. Die Abgabe der Texte in deutscher oder englischer Sprache ist für Mai 2024 geplant.
Die Beiträge werden redaktionell betreut und wissenschaftlich begutachtet. Ein hochkarätig besetzter, internationaler Fachbeirat begleitet das Projekt. Wir möchten explizit auch Nachwuchswissenschaftler:innen ermuntern, Vorschläge einzureichen!