Medien sind nicht nur Transportmittel genealogischen und heraldischen Wissens, sondern konstituieren dieses auch mit. Darunter fallen neben der Genese auch die Weiterentwicklung, Revidierung und Überschreibung medialer Gefüge, in denen das Wissen von Geschlechtern, Geschlechterverhältnissen und das Verständnis sozialer und politischer Entitäten authentifiziert wird. Die Tagung fragt nach den Ordnungsmustern und -strukturen, die der vormodernen Genealogie und Heraldik zugrunde liegen und möchte die vielfältigen Formen ihrer medialen Umsetzung beleuchten.
In ihrem Sammelband „Erzählte Ordnungen–Ordnungen des Erzählens“ definieren Daniela Fuhrmann und Pia Selmayr Ordnung als ein „dynamisches Konzept […], das nur in seiner Pluralität zu fassen sowie stark an die gesellschaftlichen Aktionsräume seiner Aushandlung rückgebunden ist.“ Der Begriff umschreibt nichts Einheitliches, sondern ein „Zusammenwirken unterschiedlicher Prinzipien von Ordnungsstiftung“. Sie zielen darauf ab, „Gemeinschaft zu stiften und zu organisieren, Wahrnehmung zu formen, Bedeutung zu generieren, Sinnangebote zu machen sowie Wissen zu ermöglichen.“ (Fuhrmann/Selmayr 2021, 1–7.) Für die Bedeutung und Funktion von vormodernen Textzeugnissen wie etwa Chroniken bedeutet dies, so Gesine Mierke, dass durch ein Anzitieren von Ordnungsmodellen (etwa von Weltreichen oder Weltaltern) sie „zur Erhellung und zur Erkenntnis der Ordnung der Welt“ beitragen können, indem sie diese abbilden oder zur Verhandlung stellen. (Mierke 2021, 199) Gleiches gilt, so ließe sich der Ansatz weiterdenken, auch für weitere Medien. Medial erzeugte Ordnungen können durch den schöpferischen Prozess ihrer Generierung wiederum auf die Ordnung der Welt einwirken. Historiographen, Chronisten, aber auch Kunstschaffende werden zu Gestaltern der Materie, indem sie Narrative oder Kunstformen miteinander verbinden, variieren und interpretieren.
Dass vormoderne Medien bewusst mit Modellen von Ordnung im oben skizzierten Sinne operieren, hat in der Forschung bislang kaum Beachtung gefunden. Insbesondere im Hinblick auf Ordnungen, die eine gemeinschaftsstiftende und -ordnende Funktion erfüllen, indem sie die menschliche Wahrnehmung formen, Bedeutung generieren und Wissen ermöglichen, geraten zwei Wissensbereiche in den Blick, die in der Vormoderne wesentlich zur symbolischen Ordnung einer Gesellschaft beigetragen haben und sich dabei tendenziell einer medialen Begrenzung entziehen: Die Wissenschaften der Genealogie und der Heraldik, deren Ordnungsmodelle nicht nur archivalisch und urkundlich dokumentiert, literarisch erzählt, sondern auch bildlich kommuniziert werden. Ziel der interdisziplinären Tagung ist es, für den Bereich der vormodernen Genealogie und Heraldik zu ergründen, wie Ordnungen in diesen Wissensfeldern generiert, tradiert aber auch wie und mit welchem Resultat sie verhandelt und abgewandelt werden können. Vor diesem Hintergrund können u.a. folgende Themenbereiche behandelt werden:
1. Lassen sich in der vormodernen Literatur und Kunst Vorgehensweisen ausmachen, mit denen genealogische und heraldische Denkmodelle und Ordnungsmuster generiert, appliziert und verhandelt werden? Lassen sich unter diesem Gesichtspunkt strukturelle Argumentationsmuster in der Historiographie ausfindig machen?
2. Genealogie und Heraldik weisen eine Ordnungsstruktur auf, die sich bei aller Systematik und Regulierung auch offen für theoretische und künstlerische Experimente zeigt (z.B. das Triptychon der Familie Pfeffinger, oder die Zimmer’sche Anamorphose). In welchen Medien zeigen sich die Vielfalt und der Facettenreichtum, mit denen die frühneuzeitliche Heraldik und Genealogie gedacht und medial vermittelt werden? Lassen sich genealogische und heraldische Denkmodelle und Argumentationsmuster in Räumlichkeiten (etwa Freskenprogramme, Interieurs) übertragen?
3. Genealogie und Heraldik zielen auf eine Repräsentation von Körperschaften und ihren Anspruch auf Besitztümer ab, aber auch auf eine mentale Konservierung über Formen ihrer Verbildlichung, sei es in der Verdichtung auf Schilden und Wappen, sei es in wuchernden Tabellen und Registern. Gerade Mediensynergien haben nach mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Vorstellung einen prägenden Einfluss auf die menschliche Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit. Wie wirken Medien zusammen, um Ordnungen zu generieren und eine Tradierung zu ermöglichen? Wie verhalten sich memoria und der Anspruch auf Besitz, Erbschaft und Eigentum zueinander?
4. Vormoderne Medien und Medienkombinationen, die genealogisches und heraldisches Wissen transportieren, weisen häufig eine Polarität zwischen dem profanen und dem sakralen (oder dem mythologischen) Bereich und den mit ihnen einhergehenden Ordnungsvorstellungen und -desideraten auf. Sakrales bzw. mythologisches und Profanes scheinen sich teils zu überblenden, teils in einem wechselseitigen Wirkungsverhältnis zu stehen oder sich zu revidieren. Welche Rolle spielen Genealogien von Heiligen etwa für die Legitimität und Authentizität von Chroniken (z.B. Hl. Bilhildis und Hl. Kilian in der Wirtzbrugischen Chronik (1695–1758)), oder die Verbreitung von genealogischen Daten im Rahmen der Diffusion von Heiligenlegenden und damit zusammenhängenden Rechten auf Grundstücken und der Konzeption und Umsetzung von sakralen und weltlich repräsentativen Bauten (Konzeption der Kirche S. Susanna, Rom)?
5. Schließlich kann auch nach der longue dureé von Ordnungsmodellen gefragt werden. Wo und in welcher Form lassen sich vormoderne Ordnungen der Genealogie und Heraldik in der Moderne oder der Gegenwart ausfindigmachen? Wo bestehen Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten?
Beiträge aus den Literatur- und Kulturwissenschaften, der Geschichte und der Kunstgeschichte sind herzlich willkommen. Bitte senden Sie ein Abstract (ca. 300 Wörter) und eine kurze BioBib bis zum 9. Februar 2024 an Jenny.Koerber[at]uni-hamburg.de
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