Der vermeintliche militärische Sonderweg der Weimarer Republik wurde sowohl in der zeitgenössischen politischen Debatte als auch in der historischen Forschung bis heute immer wieder mit zwei Beobachtungen erklärt: erstens, mit der sehr weitgehenden völkerrechtlichen Regulierung der deutschen Wehrverfassung und Militärorganisation im Friedensvertrag von Versailles; und, zweitens, mit der Verweigerung des Militärs, sich dieser oktroyierten Ordnung zu unterwerfen. Im doppelten Bemühen, das System von Versailles zu unterlaufen und gleichzeitig den Primat der Politik in Gestalt der Republik in Frage zu stellen, habe sich die Reichswehr zu einem „Staat im Staate“ gewandelt.
Popularisiert wurde das Schlagwort Mitte der 1920er Jahre im Verlauf der innenpolitischen Auseinandersetzungen um paramilitärische Organisationen und geheime Rüstungsmaßnahmen. Auch wenn sich vereinzelt Nachweise für militaristische Selbstzuschreibungen finden, so war „Staat im Staat“ doch in der Regel für die Reichswehr eine negative Fremdzuschreibung.
Ursprünge und Bedeutungsinhalte des Begriffs sind dabei allerdings vage geblieben: Galt die Annahme in Bezug auf das herausgehobene Verhältnis des Militärs gegenüber anderen staatlichen Institutionen oder galt es gegenüber der Republik als Staatsform? Verwies der Vorwurf an das Militär, ein „Staat im Staat“ zu sein, auf Tendenzen der Ausgrenzung, der Autonomie oder gar der Usurpation? In welchen militärischen bzw. sicherheitspolitischen Handlungsfeldern wurden derartige Bemühungen sichtbar?
Angesichts der geringen Präzision des Begriffs überrascht dann seine Langlebigkeit. Denn das Schlagwort vom „Staat im Staat“ hat sich nach 1945 zu einem kaum überprüften Topos der Historiografie zu Weimar entwickelt. Auch in der bundesrepublikanischen Wiederbewaffnungsdebatte diente die Reichswehr immer wieder als Negativfolie bei der Konzeption der Bundeswehr und, im weiteren Verlauf, ihrer Legitimation als Parlamentsarmee.
Der Workshop findet am 17.4.2024 als geschlossene, transdisziplinäre Fachveranstaltung im Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ in Berlin statt. Er ist Teil des Rahmenprogramms zur dortigen Ausstellung „Gewalt gegen Weimar. Zerreißproben der frühen Republik 1918-1923“.
Für eine begrenzte Zahl von Plätzen besteht die Möglichkeit der Teilnahme. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden gebeten, Ihr Interesse an einer aktiven Teilnahme durch eine Skizze für einen zehnminütige Diskussionsbeitrag zu begründen. Grundlage dafür können auch laufende Qualifikationsarbeiten sein. Bitte fügen Sie außerdem bio-bibliografische Informationen bei.
Beiträge aus der Geschichtswissenschaft, der Politikwissenschaft und der Soziologie sind einschlägig, Vorschläge aus anderen Disziplinen sind aber ausdrücklich erwünscht.
Bitte richten Sie Ihren Vorschlag bis zum 1.3.2024 an einen der beiden Organisatoren.