Die Grenzen des Sagbaren sind in den letzten Jahren zu einem vieldiskutierten Thema geworden, nicht zuletzt angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten. Jahrzehntelang haben Rechtsaußen-Akteure strategisch versucht, autoritäre und nationalistische Positionen zu normalisieren, und sprachliche Tabubrüche inszeniert, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Gleichzeitig haben sich progressive soziale Bewegungen erfolgreich für eine größere Sensibilität gegenüber ausgrenzenden und diskriminierenden Äußerungen eingesetzt. Die aus diesen Erfolgen resultierende erhöhte Sensibilität wird wiederum als Einschränkung der Meinungsfreiheit problematisiert – unter anderem von der extremen Rechten. Diese Auseinandersetzungen um die normativen Grenzen dessen, was in der Öffentlichkeit gesagt werden kann und darf, werden von widersprüchlichen Thesen darüber begleitet, in welche Richtung sich die Grenzen verschieben. Weiten sie sich immer mehr aus oder ziehen sie sich immer mehr zusammen? Bewegen sie sich „nach rechts“ oder „nach links“? Da solche vermuteten Verschiebungen starke Auswirkungen auf die Qualität der Demokratie haben, ist ihre empirische Untersuchung geboten.
Auseinandersetzungen um die Grenzen des Sagbaren in politischen Diskursen sind jedoch komplexe Prozesse, was ihre empirische Untersuchung zu einer methodischen Herausforderung macht. Dies gilt umso mehr für langfristige Veränderungen und Grenzverschiebungen. Diskurstheorie und Diskursanalyse bieten nützliche Startpunkte, da diese Ansätze darauf abzielen zu untersuchen, wie spezifische Räume des Sprechens und des Wissens entstehen und sich verändern. Doch obwohl die normativen Grenzen des Sagbaren in der Diskursforschung häufig diskutiert werden, steht ihre Verschiebung selten im Fokus der empirischen Betrachtung. Nur wenige Arbeiten haben den Prozess, wie sich diskursive Grenzen im Laufe der Zeit verändern, systematisch konzeptualisiert und operationalisiert. Auf der Grundlage dieser Konzeptualisierungen ist eine weitere Ausarbeitung erforderlich.
Um die Diskussion über die Konzeptualisierung, Operationalisierung und Messung der normativen Grenzen des Sagbaren und deren Wandel im Zeitverlauf weiterzuführen, bringt der Workshop Forscher:innen aus unterschiedlichen Disziplinen und methodischen Ansätzen zusammen. Der Workshop ist Teil eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojekts, in dem wir untersuchen, ob und wie sich die Grenzen des Sagbaren in der deutschen Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten verschoben haben.
Mit Ruth Wodak und Michał Krzyżanowski konnten wir zwei der führenden Forscher:innen auf diesem Gebiet für den Workshop gewinnen. Mit diesem Call suchen wir weitere Diskussionsteilnehmer:innen, die ihre empirischen Studien und ihre methodologischen Überlegungen zur Erforschung der sich verschiebenden Grenzen des Sagbaren vorstellen.
Die zu diskutierenden Fragen umfassen (sind aber nicht beschränkt auf) die folgenden:
Wie können wir die „Grenzen des Sagbaren“ konzeptualisieren, operationalisieren und messen?
Wie können wir langfristige „diskursive Verschiebungen“ konzeptualisieren, operationalisieren und messen, d.h. die Veränderungen dieser Grenzen über längere Zeiträume wie Jahrzehnte?
Was ist „Normalisierung“, wie kann sie konzeptualisiert, operationalisiert und gemessen werden?
Wie lassen sich Veränderungen im politischen Diskurs messen?
Mit welchen Daten und Analysemethoden lassen sich diskursive Verschiebungen des Sagbaren messen?
In welchen gesellschaftlichen Bereichen können wir empirisch Kämpfe um die Grenzen des Sagbaren beobachten?
Wer sind die sozialen Akteure, die versuchen, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, und welche diskursiven Strategien setzen sie ein?
Einreichungen
Wir bitten Sie, Ihre Abstracts von 200-300 Wörtern bis zum 15. April 2024 an hannah.hecker@uni-tuebingen.de zu senden. Eine Benachrichtigung über die Annahme wird bis zum 30. April 2024 verschickt. Für die angenommenen Beiträge bitten wir um eine Einreichung der vollständigen Artikel oder Präsentationen zum 7. Juni 2024.
Wir können die Kosten für die Unterbringung und die Reisekosten der Referent:innen übernehmen (im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen für Reisekosten, Bahnfahrt 2. Klasse mit Frühbucherrabatt und nach Möglichkeit mit Bahncard)
Für weitere Informationen und Anfragen wenden Sie sich bitte an hannah.hecker@uni-tuebingen.de, floris.biskamp@uni-tuebingen.de, oder julia.glathe@uni-tuebingen.de.