Mit dem Humboldt Forum in der Kubatur des ehemaligen Hohenzollernschlosses gewann die historische Mitte Berlins einen wichtigen (baulichen) Anker der Berliner Stadtgeschichte zurück. Doch das Schloss stand mitnichten am Beginn der kommunalen Geschichte Berlins und Cöllns. Bevor die Hohenzollern als brandenburgische Kurfürsten 1442/43 den Cöllner Bürgern ihre Residenz aufzwangen, blickte die Stadt stolz auf eine Geschichte bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts zurück. Erstmals 1237 urkundlich erwähnt, entwickelte sich Cölln im Schatten der großen Schwester Berlin (Ersterwähnung 1244) zu einer typischen märkischen Immediatstadt mit Stadtpfarrkirche, Rathaus, Markt, Stadtmauer und Bettelordenskloster. Die Dominikaner bezogen – wie in anderen regional bedeutsamen märkischen Städten ebenfalls – ihr Quartier an der Stadtmauer. Davon ist heute oberirdisch nichts mehr zu sehen. Lediglich die breit angelegte Straße, die der Cöllner Prachtstraße ihren Namen gab, deutet an, dass sich hier historisch bedeutende Strukturen befanden.
Die Anlage der Breiten Straße geht auf die Anfänge der Doppelstadt ab dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts zurück. Sie verband den Cöllner Stadtkern, das heißt das Rathaus, den Marktplatz und die Petrikirche, mit dem anfangs am Rand gelegenen Dominikanerkloster (beziehungsweise dem späteren Schloss). Die Prachtstraße gehört zu den ältesten und vornehmsten Straßen Alt-Cöllns; vom Mittelalter bis in das 18. Jahrhundert hinein bildete sie die repräsentativste Verkehrsader des kommunalen Gemeinwesens. Sie lief direkt auf den Schloßplatz zu, knickte östlich ab und ging in die nach Berlin führende Lange (spätere Rathaus-) Brücke mit der Oderberger Straße (der späteren Georgenstraße und seit 1701 Königstraße) über. Reiche Cöllner siedelten sich hier an und verliehen ihr Glanz. Infolge der Errichtung der Residenz nach 1443 verschoben sich die Burglehen sowie Freihäuser weg von dem markgräflichen Haus und von der Klosterstraße in Berlin hin zur Cöllner Breiten Straße. Der Kurfürst erwarb hier mehrere Grundstücke, um sie hohen Amtsträgern als Freilehen zu übertragen. Hofhandwerker und -lieferanten betrieben hier ihre Geschäfte; der kurfürstliche Marstall fand an der Nordostseite der Breiten Straße, in der Nähe des Schloßplatzes seinen Standort. Zu herausragenden höfischen Anlässen übernahm die Breite Straße als Zufahrtsweg zum Schloss im 16. und 17. Jahrhundert besonders repräsentative Funktionen. Auf der Stechbahn an der Südseite des Schlosses wurden höfische Feste, unter anderem mit Ritterturnieren gefeiert; hier nahmen die Hohenzollern bis 1786 Huldigungen ihrer Untertanen entgegen. Unter Kurfürst Joachim II. erhielt das Schloss zur Stechbahn hin eine aufwendig gestaltete Fassade in Form der sächsischen Renaissance.
Im 16. und 17. Jahrhundert stellte der Schloßplatz mit der Breiten Straße eines der wichtigsten städtischen Zentren sowohl Cöllns als auch Berlins dar, in dem sich in multifunktionaler Einheit die vielfältigen ökonomischen, kulturellen und personellen Anforderungen der Hohenzollernresidenz widerspiegelten. Schloßplatz und Breite Straße dienten als repräsentative Orte der Darstellung von Macht; sie vereinten die Funktionen eines Regierungs- sowie Geschäftsviertels gleichermaßen. Nachdem die Stechbahn am südlichen Schlossflügel ihre Turnierfunktion eingebüßt hatte, bot das Areal allmählich Raum für die städtische Kaufmannschaft. Nach Plänen von Johann Arnold Nering wurden schließlich von 1679 bis 1681 Kaufläden hinter einer mediterran anmutenden Arkadenreihe unmittelbar vor der Schlossfassade neu errichtet, die ergänzt durch eine weitere Ladenzeile 1689 vor der ehemaligen Dominikanerkirche an der Westseite zu einer einheitlicheren Gestaltung des Schloßplatzes beitrug. Anlässlich der Königskrönung 1701 ließ Kurfürst Friedrich III./König Friedrich I. das Schloss durch Andreas Schlüter repräsentativ zu einer barocken Königsresidenz umgestalten, wobei die Schlossplatzfassade zur Breiten Straße hin weiterhin „die Hauptansichtsseite des neuen Schlosses bilden sollte“ (Guido Hinterkeuser).
Mit der Entscheidung 1747, die alte Dominikanerkirche abzubrechen und nördlich des Schlosses (am zum Paradeplatz umgewandelten ehemaligen Lustgarten) eine neue Domkirche zu errichten, wurde die Bedeutungsverlagerung weg vom Schloßplatz hin zur Allee Unter den Linden, die bereits fünfzig Jahre zuvor eingesetzt hatte, beschleunigt. Der südliche Schlossbereich büßte seine einstige Vorrangstellung zugunsten des nördlichen Paradeplatzes ein. Andererseits war nun die Südfassade des Schlosses erstmals freigestellt und es eröffnete sich damit die Möglichkeit, den gewonnenen größeren Schloßplatz noch stärker zu homogenisieren und durch einheitliche Platzfassaden aufzuwerten.
Mit dem Einzug der Moderne beschleunigte sich der Bedeutungsverlust dieses Stadtviertels, obwohl mit dem Kaufhaus Rudolph Hertzog in der Breiten Straße ein florierendes Warenhaus seinen Stammsitz bezog und dort im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgreich expandierte. In dieser Zeit trugen unter Kaiser Wilhelm II. die Errichtung des neuen Marstalls und die Aufstellung des sogenannten Neptunbrunnens zu Verschönerungen des Schloßplatzes bei.
Als Machtzentrale der Hohenzollernmonarchie gerieten der Schloßplatz und die Breite Straße insbesondere während revolutionärer Umwälzungen in den Fokus der Reformen begehrenden Bevölkerung. Dies war 1848 nicht anders als 1918. 1848 wurde das Schloss „immer häufiger Zielpunkt der aus allen Bezirken […] anrückenden Demonstranten“ (Günter Richter) und siebzig Jahre später rief Karl Liebknecht (zunächst vor dem Schloss) „die freie sozialistische Republik Deutschland“ (Vossische Zeitung) aus.
Nach dem Ende der Monarchie 1918 zogen Museen und wissenschaftlich-kulturelle Institutionen in das Schloss ein, was in der jungen Weimarer Republik auch auf die Breite Straße ausgestrahlt haben dürfte. Mit der Sprengung der einstigen Hohenzollernresidenz fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging der Schloßplatz in einer riesigen Freifläche auf. Die Breite Straße versank endgültig in die Bedeutungslosigkeit und verlor bis auf den Marstall in Gänze seine historische Bausubstanz. Ab den 1960er-Jahren wandelte sich das Areal mit Staatsratsgebäude, Außenministerium und Palast der Republik zum Machtzentrum der ‚Hauptstadt der DDR‘.
Diese vielschichtige, von gesellschaftlichen und politischen Brüchen gekennzeichnete Geschichte der ehemals repräsentativsten Orte Berlins zu beleuchten, ist das Ziel des wissenschaftlichen Kolloquiums der Historischen Kommission. Es soll die einstige historische Bedeutung der politischen Schaltzentrale Berlins für die urbanistische Entwicklung des Stadtzentrums schlaglichtartig erhellt werden, um den Schloßplatz und die Breite Straße historisch, archäologisch und architekturhistorisch einzubetten. Folgende Fragen sind unter anderem von Interesse:
– Kann noch von einer Randlage der Dominikaner gesprochen werden, wenn sich um 1300 zeitlich parallel zum Kloster auch die Berliner Stadterweiterung um den Neuen Markt im Marienviertel wirtschaftlich erfolgreich entwickelte und beide Areale mit der Langen (späteren Rathaus-) Brücke verbunden waren?
– Die Lage der Dominikanerkirche in der Achse der Oderberger Straße sowie der Langen Brücke deutet auf eine bewusste städtebauliche Ausrichtung mit „wirkungsvollem Blickpunkt von der Brücke her“ (Marcus Cante) hin. Welche Bedeutung erlangte der Konvent zunächst für die Cöllner Kommune und den markgräflichen Hof auf der Berliner Seite, später für die Hohenzollernresidenz direkt nebenan?
– Wie gestaltete sich das Verhältnis vom Dominikanerkloster zum Kollegiatstift des 15. Jahrhunderts, dem das Kloster 1536 (bereits am Vorabend der Reformation) weichen musste?
– Lassen sich frühneuzeitliche Akten ermitteln, die den 1747 erfolgten Abriss der Klosterkirche dokumentieren, um die Gestalt der verlorenen Dominikanerkirche, in der sich auch die Gruft der Hohenzollern befand, näher zu beleuchten?
– Wie änderte sich die Nutzung des Schloßplatzes durch die Berliner Kaufmannschaft zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert?
– Welche Bemühungen unternahm der Hof, um den Schloßplatz nach dem Dreißigjährigen Krieg aufzuwerten (im internationalen Vergleich)?
– Was lässt sich über die verbliebene Bedeutung des Schloßplatzes und der Breiten Straße für die Reichshauptstadt ab 1871 sagen?
– Was tragen die neuen Forschungsergebnisse zur Berliner Revolutionsgeschichte zur Rolle des Schloßplatzes sowie der Breiten Straße 1848 und am Ende des Ersten Weltkriegs bei?
– Welche Diskussionen gingen der Umwandlung des Areals zum Marx-Engels-Platz und zum Machtzentrum der DDR voraus? Wie lässt sich die Ostmoderne im internationalen Vergleich einbetten?
Wir freuen uns über Referatsvorschläge von Historiker:innen, Archäolog:innen, Bau- und Kunsthistoriker:innen, Sozial-, Rechts- und Wirtschaftshistoriker:innen sowie Kulturwissenschaftler:innen, die mit ihren Forschungen zum Schloßplatz und zur Breiten Straße sowie den damit verbundenen vielfältigen Funktionen samt den dazu gehörenden Akteuren und Infrastrukturen beitragen können.
Bitte senden Sie Ihre Abstracts (max. 2.000 Zeichen, deutsch- oder englischsprachig) sowie ein kurzes wissenschaftliches CV bis zum 15. September 2024 an die Historische Kommission zu Berlin e.V. – info@hiko-berlin.de.
Die Vorträge sollen zwanzig Minuten nicht überschreiten. Die Historische Kommission bemüht sich, eine Aufwandspauschale zu zahlen, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir noch keine definitive Zusage geben. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.
Dr. Doris Bulach / Prof. Dr. Felix Escher / Ellen Franke M.A. / Dr. Benedikt Goebel / Dr. Guido Hinterkeuser / Dr. Wolther von Kieseritzky / Dr. Christoph Rauhut / Prof. Dr. Matthias Wemhoff
Weiterführende Informationen zur Arbeit der Historischen Kommission finden Sie unter www.hiko-berlin.de.