Der Workshop will zur Erforschung der Zeitschriftengeschichte der DDR bzw. Ostdeutschlands beitragen. Er schließt dabei an zentrale Erkenntnisse an, die im Workshop „DDR-Zeitschriften. Erste Erkundungen“ (Marburg, Februar 2023) gewonnen wurden: dass die pauschale Beurteilung von DDR-Medien als „schärfste Waffe der Partei“ (Gunter Holzweißig) den Blick auf DDR-spezifische Differenzierungspotenzen und Funktionsspektren in einem vielfältigen Pressesegment verstellt und dass deshalb eine Konkretisierung der Untersuchungsperspektiven auf allen Ebenen dringend erforderlich ist. Darüber hinaus ist dort deutlich geworden, dass häufig allererst geklärt werden muss, wie und wo entsprechende Informationen beschafft werden können, so dass auch diese Erschließungsarbeit Teil der Erforschung eines noch weitgehend unbekannten Bereichs der Geschichte der DDR bzw. Ostdeutschlands sein muss. Der Workshop will die Zeitschriftenlandschaft der ‚Wende‘- und Nachwendezeit mit einbeziehen, so dass neben bzw. mit den DDR-Charakteristika auch zeitschriftenspezifische Transformationsdynamiken in den Blick genommen werden können. Dafür sollen die konkreten ‚Milieus‘ erkundet werden, in denen Zeitschriftentitel in der DDR bzw. während der ‚Wende‘ und in Ostdeutschland funktioniert haben: Details der Produktionsprozesse, verschiedene Formen der Rezeption, die Einbettung in bestimmte soziale und kulturelle Gefüge und die jeweiligen Funktionen, die Zeitschriften hier übernehmen.
Mögliche Fragestellungen wären:
1) Wer macht in der DDR welche Zeitschriftentitel? Aus welchen sozialen Milieus werden Journalistinnen und Journalisten rekrutiert? Welche beruflichen Erfahrungen, welche Kontakte sind neben den staatlich vorgezeichneten Ausbildungswegen erforderlich und welche Karrierestufen sind installiert? Welche Arten von Berufsmobilität gibt es hier (z.B. Wechsel der Funktion innerhalb der Redaktion, Wechsel zwischen verschiedenen Zeitschriftentiteln, Berufsfremde)? Was sagt das über die Spezialisierungsanforderungen im Zeitschriftenfeld aus? Wie sind die Redaktionen strukturiert? Welche Ressorts gibt es? Wie verhalten sich Zeitschriftenredaktionen während der ‚Wende‘ und in der Nachwendezeit? Wird Personal ausgetauscht / entlassen? Welche Qualifikationsanforderungen gibt es jetzt? Wie verändert sich die Produktionsinfrastruktur (Anbindung an Verlage, Druckereien)? Wie wird die Finanzierung nach dem Wegfall der staatlichen Subventionierung gesichert? Gibt es Kooperationen mit Verlagen, Redaktionen, sonstigen Firmen aus der BRD?
2) Wer kontrolliert in der DDR welche Zeitschriften? Wer greift wie und wo ein? Von welchen personalen Interaktionsformen ist die Kontrolle geprägt (Diskussion, Befehle, Drohungen, schriftlich, mündlich) und über welche Instanzen läuft sie? Was genau ändert sich mit dem Wegfall der staatlichen Eingriffe? Wer entscheidet jetzt nach welchen Kriterien, wie ein Heft auszusehen hat? Wird die DDR-Zeit explizit reflektiert, gibt es Selbstkritik?
3) Was genau, d.h. welche Themen und Darstellungsformen, darf in den DDR-Heften jeweils nicht gedruckt, muss verändert oder unbedingt in die Hefte aufgenommen werden? Wovon ist die Richtung dieser Eingriffe abhängig: von der Person des Kontrolleurs, von besonderen politischen Empfindlichkeiten in bestimmten Phasen etc.? Welche Unterschiede bestehen hier zum Unbeanstandeten? Wie verändern sich die Druckordnungen der Hefte während und nach der ‚Wende‘ en detail? Gibt es neue Rubriken, neue Themen und Darstellungsformen? Welche Rolle spielen Werbeanzeigen?
4) In welchen Milieus werden in der DDR welche Titel gelesen? Welche Rolle spielen die Hefte im Lebensalltag? Welche Relevanz wird ihnen durch welche Nutzungsformen zugesprochen? Welche Interaktionsformen mit den Lesern gibt es (z.B. Leserbriefrubrik, Schnittmuster, Rätsel, Gewinnspiele)? Welches Spektrum besteht zwischen passiver Rezeption und aktiver Mitgestaltung? Was verändert sich hier während der ‚Wende‘ und in der Nachwendezeit? Wie werden die alten DDR-Titel von ihren Lesern (ein)geschätzt? Wie entwickeln sich die Abonnenten- bzw. die Käuferzahlen? Ändern sich die konkreten Interaktionsformen? Welche Konsequenzen hat es u.a. für die Vorstellung vom ‚Leser‘, wenn bestimmte Titel z.B. immer mehr Ratgeberrubriken (Recht, Arbeitsamt, Urlaub, Autokauf) und Werbeanzeigen drucken?
5) Auf welche Weise sind die einzelnen Zeitschriftentitel Teil von kulturellen Milieus und wie tragen sie zu einer Differenzierung von DDR-Identitäten bei? Im Verbund mit welchen Sphären / Institutionen (z.B. Berufswelt, Bildungswesen, NVA, Freizeiteinrichtungen) und mit welchen hier umlaufenden Wissensmustern tun sie das (z.B. Körper-, Wahrnehmungs-, Geschichtsdiskurse etc.)? Wie verändern sich diese Formen des ‚Passens‘ und ‚Funktionierens‘ in die / in der DDR-Kultur mit der ‚Wende‘? Welche Vorstellungen entwickeln die Zeitschriften von ihrer Rolle in den Veränderungsprozessen? Was geschieht mit der überkommenen Vorstellung von DDR-Identität? Wird sie modifiziert oder fallen gelassen und dann wodurch ersetzt? Bleiben diese Entwürfe dabei in Kontakt mit anderen Bewältigungsversuchen, z.B. in Film und Literatur oder entfernen sie sich von ihnen?
Die Workshoparbeit setzt zwei gleichgewichtige Schwerpunkte: Grundlage bilden die vortragsweise vorgestellten Einzelanalysen, die sich mit ganz unterschiedlichen Titeln und Formaten beschäftigen können. Besonders willkommen sind hier zudem Erfahrungsberichte bzw. Erträge aus Gesprächen mit Zeitzeugen. Im Anschluss daran wird ausführlich diskutiert, wie sich die hier gemachten Detailbeobachtungen für eine systematischere Erforschung der DDR- und der ostdeutschen Zeitschriftenlandschaft nutzen lassen. Über eine Publikation der Beiträge wird am Ende des Workshops entschieden.
Themenvorschläge (Umfang ca. 1500 Zeichen) werden bis zum 30.9.2024 erbeten (per E-Mail an Madleen Podewski: madleen.podewski@uni-erfurt.de) erbeten. Übernachtungs- und Fahrtkosten (Bahn, 2. Klasse) können erstattet werden.