Herr der sieben Länder

Herr der sieben Länder. Herrschaftspraxis und Herrschaftsrepräsentation unter Kurfürst Carl Theodor am Niederrhein, in der Pfalz und in Bayern (1742-1799)

Veranstalter
Stefan Gorißen, Abteilung Geschichtswissenschaft, Profilbereich Vormoderne, Universität Bielefeld; Sebastian Hansen, Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit, Heinrich-Heine Universität Düsseldorf; Hiram Kümper, Carl-Theodor-Professur, Universität Mannheim; Wissenschaftliche Kommission des Bergischen Geschichtsvereins e.V.; Stiftung Schloss und Park Benrath; LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Bonn
Veranstaltungsort
Schloss Benrath, Düsseldorf
PLZ
40597
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
20.09.2024 - 21.09.2024
Von
Stefan Gorißen, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Regionalgeschichtliche Tagung zu Herrschaftspraktiken in "Mehrfachherrschaften" des Alten Reiches aus Anlass des 300. Geburtstags des pfalz-bayerischen Kurfürsten Carl Theodor

Herr der sieben Länder. Herrschaftspraxis und Herrschaftsrepräsentation unter Kurfürst Carl Theodor am Niederrhein, in der Pfalz und in Bayern (1742-1799)

Kurfürst Karl Philipp Theodor von Pfalz und Bayern aus dem Haus Wittelsbach wurde am 10.12.1724 als Pfalzgraf von Sulzbach und Marquis von Bergen op Zoom in Drogenbosch bei Brüssel, dem Schloss seiner Urgroßmutter mütterlicherseits Marie Henriette, Herzogin von Aremberg, geboren. Am 31.12.1742 erbte er von Kurfürst Karl Philipp aus der Linie Pfalz-Neuburg, seinem Großonkel und dem Großvater seiner Ehefrau Elisabeth Auguste, das Kurfürstentum Pfalz, die Herzogtümer Jülich-Berg und die niederländische Herrschaft Ravenstein. Nach dem Tod des bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph am 30.12.1777 fiel ihm schließlich, gemäß der 1766 unterzeichneten wittelsbachischen Erbverbrüderungs-Erneuerung, auch das Kurfürstentum Bayern zu. Bei seinem Tod am 16.2.1799 in München galt Carl Theodor als „Herr der sieben Länder“ – Sulzbach, Bergen op Zoom, Pfalz-Neuburg, Jülich, Berg, Kurpfalz und Bayern – eines Länderver¬bunds, der gemeinhin kurz als „Pfalz-Bayern“ bezeichnet wird. Damit herrschte Carl Theodor in den letzten beiden Jahrzehnten seiner insgesamt 56 Jahre währenden Herrschaft über den drittgrößten Territorialverbund im Alten Reich hinter Österreich und Preußen. Die Reduzierung der Bezeichnung auf „Pfalz-Bayern“ spiegelt sich auch in der Erinnerungskultur und Forschung wider, in der die übrigen Landesteile bisher eine untergeordnete Rolle spielten.
Der Territorialverbund unter Carl Theodor darf als typisches Beispiel für eines jener im dynasti-schen Erbgang entstandenen frühneuzeitlichen Herrschaftskonglomerate gelten, die von der jün¬geren Forschung als „composite states“ bzw. als „Mehrfachherrschaften“ bezeichnet werden. Diese Begriffsbildungen wenden sich gegen die nach wie vor verbreitete Vorstellung, die Frühe Neuzeit und insbesondere das 18. Jahrhundert sei als Zeitalter der „Staatsbildung“ oder des „Absolutismus“ zu charakterisieren, sei mit Blick auf Herrschaftsverhältnisse also in erster Linie als eine Vorbereitungsphase innerhalb eines längerfristigen Prozesses zu verstehen, der dann in die Entwicklung der modernen Flächenstaaten gemündet sei.
Auch wenn der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts längst nicht mehr als der maßgebliche Fluchtpunkt der historischen Entwicklung hin zu modernen Formen von Herrschaft gelten kann, verweisen doch die dynastischen Prinzipien, die die „Mehrfachherrschaften“ der Frühen Neuzeit zusammenhielten, unverkennbar auf vormoderne Kategorien einer personal begründeten Herr¬schaft. Spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts standen solche vormodernen Grundsätze in deutlichem Widerspruch zu den sich seither verbreitenden aufgeklärten und ra¬tionalen Formen der Herrschaftsbegründung. Die Frage, wie solche widerstreitenden Prinzipien in der politischen und administrativen Praxis miteinander vermittelt wurden, liegt auf der Hand. Ihre Bearbeitung kann dazu beitragen, das Bild von Herrschaft in der Übergangszeit zwischen Vormo¬derne und Moderne klarer zu konturieren.
Die Beispiele von Mehrfachherrschaften, die in der Forschung vor allem Beachtung gefunden haben, betreffen die habsburgischen Länder Österreich und Spanien, aber auch die Unionen auf den britischen Inseln, Sachsen-Polen oder die skandinavischen Staaten Norwegen und Dänemark. Die zahlreichen zusammengewürfelten Herrschaftskonglomerate im Alten Reich, unter denen der Territorienverbund Carl Theodors einer der bedeutendsten war, werden hingegen meist allenfalls beiläufig als „Mehrfachherrschaften“ genannt. Sie wurden mit Ausnahme von Brandenburg-Preußen bislang nicht eingehender untersucht. Dabei könnte eine genauere Betrachtung gerade der kleineren und mittleren Territorienverbünde abseits der großen Staaten des europäischen Mächtesystems es erlauben, das Bild frühneuzeitlicher Herrschaft zu differenzieren. Wichtige Unterschiede liegen auf der Hand: So unbezweifelbar „Pfalz-Bayern“ im 18. Jahrhundert als „Mehr¬fachherrschaft“ zu verstehen ist, so deutlich entzieht sich doch die Geschichte dieses Territorien¬verbunds einer klaren Zuordnung nach dem in der Forschung üblichen Muster von Zentrum und Peripherie. Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen dynastischen Interessen und Prinzipien auf der einen Seite und der Vorstellung eines auf Raum und Bevölkerungsgruppen bezogenen Flächenstaats auf der anderen Seite stellt sich hier wohl schärfer als bei den großen europäischen Mächtestaaten, deren autonome Existenz schon den Zeitgenossen selbstver¬ständlich erschien.
Die Thematisierung der kleineren Mehrfachherrschaften im Reich verspricht also, auch auf die Frage nach den Grundprinzipien und der Bedeutung von Herrschaft in der Vormoderne neue und weiterführende Perspektiven zu öffnen. Was bedeutete Herrschaft in solchen durch dynastische Zufälle entstandenen staatlichen Gebilden für die Praxis von Politik und Verwaltung auf den verschiedenen Feldern, etwa auch im Vergleich mit den vom Ausgang von Wahlen abhängigen geistlichen Staaten? Wie zeigte sich Herrschaft den hier lebenden Menschen, und welche Be¬schränkungen und Chancen ergaben sich hieraus? Wie verstanden der Fürst und sein Umfeld unter solchen Umständen Sinn und Aufgaben von Herrschaft? Wie wurden dynastisches Interesse und aufgeklärte Staatsführung miteinander vermittelt? Was blieb von den vormodernen staatlichen Gebilden nach ihrem Aufgehen in Nationalstaaten in den Erinnerungen der Bevölkerung, im Geschichtsbewusstsein und in kulturellen Traditionen?
Die landes- und regionalgeschichtliche Forschung zum Territorienverbund Carl Theodors in der Frühen Neuzeit befasste sich bislang mit den meist isoliert betrachteten einzelnen Teilstaaten dieses Verbundes. Sie orientiert sich bis heute überwiegend an den alten im Mittelalter entstande¬nen Landesherrschaften, deren Existenz durch diese Erhebung zum Untersuchungsraum gewis¬sermaßen eine überzeitliche Qualität gewinnt. Zur Verwaltungs-, Wirtschafts-, Kultur- oder Reli¬gionsgeschichte der einzelnen Länder des Territorienverbunds wurden durch die regional- und landesgeschichtliche Forschung in den letzten Jahrzehnten zahlreiche wichtige und weiterführen¬de Arbeiten vorgelegt. Im Zusammenhang, wie er durch die dynastische Erbfolge gegeben war, wurde ein Länderkomplex wie derjenige des Kurfürsten Carl Theodor bislang jedoch nur selten betrachtet. Fragen nach Verbindungen zwischen dem Gesamtstaat und seinen Einzelterritorien, aber auch nach Gemeinsamkeiten, Unterschieden und transterritorialen Beziehungen innerhalb des Länderverbunds wurden bislang kaum bearbeitet. Nicht zuletzt die lange Zeit der Regentschaft Carl Theodors und der sich wandelnde Zuschnitt des ihm zugehörigen Territorienverbunds legen es nahe, die aufgeworfenen Fragen am pfälzisch-bayerisch-jülich-bergischen Beispiel zu diskutieren. Hierbei legt es schon der Blick auf die Überlieferungslage nahe, dass die häufig isoliert neben¬einander arbeitenden Landeshistoriker nach solchen grenzüberschreitenden Bezügen fragen und enger, als dies bislang oft möglich war, kooperieren sollten.
Tagung und Workshop setzen bei diesen Fragen und Überlegungen an und bringen Vertreter der regional- und landesgeschichtlichen Forschung zusammen, um ausgewählte Probleme zum skizzierten Forschungskomplex zu diskutieren. Die Herrschaftsstrukturen des 18. Jahrhunderts und die Geschichts- und Erinnerungskultur des 19. und 20. Jahrhunderts werden gleichermaßen in den Blick genommen.
Leitfragen der Tagung:
1. Was bedeutet die Mehrfachherrschaft für die konkrete Politik und Verwaltung in den Einzel¬territorien? Wie wurden die verschiedenen Landesteile verwaltet? Gab es Austausch, gemeinsame Grundsätze oder gar Bestrebungen, die Einzelterritorien zusammenzubinden bzw. zu integrieren?
2. Wie gestaltete sich das Spannungsverhältnis zwischen einer vormodernen, auf dynasti-schen Prinzipien beruhenden Politik und den gleichzeitig beobachtbaren Ansätzen zu einem modernen Staatsverständnis? Welche Akteursgruppen trafen aufeinander, welche Konflikte wurden manifest, und wie wurden diese ausgetragen und vermittelt?
3. Welche Rolle spielten neben dem Fürsten und den zentralen Verwaltungsorganen die Statthalter, die regionalen Verwaltungen und die Stände in den Einzelterritorien? Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen fürstlichem Machtanspruch und ständischer Autonomie im Kontext von ‚Mehrfachherrschaften‘?
4. Welche Konsequenzen besaß die Struktur des Territorienverbunds für die gesellschaft-liche und ökonomische Entwicklung der Territorien? Welche Handlungsoptionen besaß und wählte die Verwaltung bei Fragen einer Wirtschaftspolitik nach merkantilistischen Grundsätzen, bei Privilegien und Außenwirtschaftsbeziehungen?
5. Welche Verbindungen und Verflechtungen gab es mit den Nachbarterritorien und mit den beiden größeren Territorien im Reich, Preußen und Österreich?
6. Carl Theodor profilierte sich nicht zuletzt als Mäzen der schönen Künste und als Förderer der Wissenschaften. Auch mit Blick auf dieses Betätigungsfeld stellt sich die Frage nach den leitenden Grundsätzen und der konkreten Umsetzung: Wie wurden Herrschaft und Herrschaftsräume medial und kulturell konfiguriert? Welche Bedeutung besaß die Erschließung des Raums durch Infrastrukturprojekte für die einzelnen Länder und für den Territorienverbund? Zielte die kurfürstliche Politik letztlich auf die Glorie des Hauses Wittelsbach oder sah sie sich im Dienst von Modernisierung und Aufklärung?
Der Workshop möchte praktische Anstöße für die landes- und regionalgeschichtliche Forschung bieten, zum Austausch über Überlieferungslagen und Archivbestände anregen, Kooperationen begründen und weiterführende Diskussionen über die Bedeutung von vergleichenden und transregionalen Perspektiven für die Regionalgeschichte ermöglichen.

Anmeldungen bitte bis 15.9. unter: rheinische-geschichte@lvr.de

Programm

Freitag, 20.9.2024
10:00 – 10:30 Ankommen
10:30 – 11:00 Begrüßung und Einleitung
I. Pfälzisch, rheinisch, bayerisch? Herrschaft und Verwaltung unter Carl Theodor
(Moderation: Henning Türk, Bonn)
11:00 – 11:30 Hiram Kümper, Mannheim
Nebenlande oder Impulsregion? Die Bedeutung der rheinischen Territorien für die kurpfälzischen Kernlande
11:30 – 12:00 Stefan Gorißen, Bielefeld
Merkantilismus und Staatsbildung im pfalz-bayerischen Territorienverbund im Zeitalter der Aufklärung
12:00 – 12:30 Michael Kaiser, Bonn
Im Windschatten des Landesherrn: Die Stände in Jülich und Berg am Ausgang des Ancien Régime
12:30 – 13:00 Diskussion
13:00 – 15:00 Mittagspause
II. Der Herrschaftsverband im europäischen Mächtesystem des 18. Jahrhunderts
(Moderation: Stephan Laux, Trier)
15:00 – 15:30 Michael Rohrschneider, Bonn:
Von Reichen, in denen die Sonne nie untergeht, und Herren von fünf Kirchen oder sieben Ländern: Frühneuzeitliche "composite states" als Gegenstand der jüngeren Forschung
15:30 – 16:00 Thomas Nicklas, Reims
Herrschaftsverband in der Bewährung. Wittelsbachische Territorien in der dynastischen Krise 1776-1778
16:00 – 16:30 Diskussion
16:30 – 17:00 Ausstellung: „Retrospektiv!“ Carl-Theodor-Rezeption in Fotografien aus dem Jahr 1925
anschließend Transfer in die Innenstadt Düsseldorf
19:00 – 20:00 Öffentlicher Abendvortrag im Haus der Universität Düsseldorf (Schadowplatz)
Inga Groote, Zürich
‘onverbesserlich’? Innovationen und Vernetzungen der Hofmusik in Carl Theodors Herrschaften
anschließend Umtrunk und Abend-Imbiss
Samstag, 21.9.2024
III. Herrschaftsrepräsentationen: Kultur und Infrastruktur
(Moderation: Wolfgang Rosen, Bonn)
09:00 – 09:30 Sebastian Hansen, Düsseldorf
Sieben Länder und ein Kurhut. Sichtbarmachung von Herrschaft in den Herzogtümern Jülich und Berg unter Carl Theodor
09:30 – 10:00 Stefan Schweizer, Düsseldorf
Infrastruktur als Herrschaftsinstrument unter Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz.
10:00 – 10:30 Nils Loscheider, Mönchengladbach-Rheydt
(Mehrfach)Herrschaft dargestellt? Die „Sieben Lande“ in der Kartographie zu Zeiten Carl Theodors (1742-1799)
10:30 – 11:00 Diskussion
11:00 – 11:15 Kaffeepause
IV. Workshop: Forschungsvorhaben und archivische Überlieferung
(Moderation: Julia Breittruck, München)
11:15 – 11:30 Gerhard Immler, München
Überlieferung zur Herrschaft Carl Theodors im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München
11:30 – 11:45 Julius Leonhard
Überlieferung zur Herrschaft Carl Theodors in Kommunalarchiven des Bergischen Landes
11:45 – 12:00 André Ingendae, Düsseldorf
Der Erzämterstreit, die zwei Kurstimmen und ‚Pfalz-Baiern‘. Carl Theodor im Kreis der Kurfürsten
12:00 – 12:15 Philipp Gatzen, Bonn
Die kurkölnischen Statthalter als Akteure einer Mehrfachherrschaft
12:15 – 12:30 David Schulte, Bonn
Politik ’from the bottom up‘? Landständische Partizipation und Verfassung im ‚composite state‘ Kurfürstentum Köln – Kontinuitäten und Brüche
V. Abschluss
12:30 – 13:00 Abschlussdiskussion: Bilanz und Ausblick
13:00 – 13:30 Mittagsimbiss
13:30 – 15:00 Gelegenheit zur Teilnahme an einer Führung durch Park und Schloss Benrath

Kontakt

rheinische-geschichte@lvr.de

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