Die Zivilluftfahrt stellt überwiegend noch immer Forschungsneuland für die Geschichtswissenschaft dar. Dies gilt auch für ihre Unternehmensgeschichte. So liegen bislang nur wenige Studien vor, die hauptsächlich die Makrostrukturen der Luftfahrt, wie z.B. die International Civil Aviation Organization (ICAO), in den Blick nehmen (Mackenzie 2010). Hinzu kommen vereinzelte Unternehmensgeschichten von Flugzeugherstellern, die jedoch mitunter schon älter oder auf bestimmte Zeiträume beschränkt sind, wie z.B. die Studien über die bundesdeutsche Luftfahrtindustrie von Andres und Kirchner aus den 1990er Jahren. Gelegentlich wurde die historische Entwicklung großer westlicher Hersteller – namentlich das Duopol Boeing und Airbus – auch als vergleichende Firmengeschichte untersucht, wobei häufig die Verkaufsstrategie, die Verkaufszahlen und damit der globale Wettkampf, jedoch nicht die systematische Aufarbeitung einzelner Unternehmensgeschichten im Vordergrund der Darstellung standen (z.B. Hamilton 2021, Narang 2020, Newhouse 2008, Braunberger 2006). Eine Forschungslücke bilden zudem die Unternehmensgeschichten der unterschiedlichen Fluggesellschaften. Auch sie wird erst langsam gefüllt, z.B. mit der aktuellen Erforschung der Geschichte der Deutschen Lufthansa oder der aktuellen Studie zur Geschichte der Air Afrique und der Ethopian Airlines (Huber 2022).
Das bisherige Desinteresse der historischen Forschung erstaunt umso mehr, als die Zivilluftfahrt ein äußerst gewinnbringendes und spannendes Forschungsfeld mit vielversprechenden Anknüpfungspunkten zu verschiedenen Bereichen der Geschichtswissenschaft darstellt. Zudem ermöglicht die Beschäftigung mit der Luftfahrt und ihrer Infrastruktur aus verschiedenen inter- und supranationalen Institutionen und Organisationen Einblicke in eine Vielzahl von Unternehmensgeschichten, die jede für sich eine Untersuchung wert, jedoch auch im Hinblick auf das Gesamtsystem der Zivilluftfahrt von Bedeutung sind. Dies gilt vor allem für die Hersteller und die Airlines, die als Global Player nicht nur die Entwicklung der eigenen nationalen Luftfahrtindustrien maßgeblich geprägt, sondern auch gezielt ausländische Märkte infiltriert oder neue Absatzmärkte in noch jungen Luftfahrtnationen für sich erschlossen haben. Ebenso interessant sind jedoch auch Studien zu Organisationen, die die genannten Unternehmen regulierten oder zwischen ihnen vermittelten. Hierzu zählt z.B. die europäische Luftverkehrskontrolle EUROCONTROL oder die Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (European Union Aviation Safety Agency, EASA).
Der geplante eintägige Workshop fokussiert als erster dieser Art die Erforschung der Luftfahrt unter wirtschafts- und unternehmensgeschichtlichen Fragestellungen. Als solche soll er erstens eine Bestandsaufnahme bereits vorhandener Erkenntnisse aus abgeschlossenen und laufenden Forschungsprojekten ermöglichen. Zweitens soll er der Vernetzung zwischen den betreffenden Forscher:innen dienen. Drittens soll er die Diskussion methodischer Herangehensweisen und innovativer Perspektiven im unternehmenshistorischen Kontext fördern. Das langfristige Ziel ist es, neue Kooperationen und Projekte im Feld der wirtschafts- und unternehmenshistorischen Erforschung der Zivilluftfahrt anzustoßen.
Wir freuen uns auf interessante Vorschläge, die die Erforschung folgender Unternehmensgeschichten betreffen können:
- Organisationen und Institutionen auf internationaler Ebene. Hierzu zählen z.B. die International Civil Aviation Organization (ICAO), die International Air Transport Association (IATA) oder die International Federation of Air Traffic Controllers’ Associations (IFATCA) sowie auf europäischer Ebene z.B. die Europäische Zivilluftfahrtkonferenz (European Civil Aviation Conference, ECAC).
- Organisationen und Institutionen auf nationaler Ebene, wie z.B. die Deutsche Flugsicherung (DFS) oder das Luftfahrt-Bundesamt (LBA)
- ehemalige und noch aktive Flugzeughersteller
- ehemalige oder noch aktive Fluggesellschaften
- Flughäfen und ihre Träger
- Forschungsinstitutionen der zivilen Luftfahrt, wie z.B. das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Der Call for Paper richtet sich an Forscher:innen aller Qualifikationsstufen, die sich mit der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte der Zivilluftfahrt beschäftigen. Die Vorstellung von Projekten mit Schnittmengen zur Mobilitäts-, Technik- oder Verkehrsgeschichte ist ebenfalls möglich.
Bitte schicken Sie Ihren Vorschlag mit einem kurzen Exposé (max. 500 Worte) Ihres geplanten Vortrags, einem kurzen Lebenslauf und Angaben zu Ihren wichtigsten aktuellen Veröffentlichungen (im Umfang von ebenfalls max. 500 Worten) bis spätestens zum 31. Juli 2024 an:
Christiane Borchert (Gesellschaft für Unternehmensgeschichte): borchert@unternehmensgeschichte.de.
Für inhaltliche Fragen wenden Sie sich bitte an:
Dr. Sabrina Lausen (Professur für Europäische Wissens- und Kommunikationsgeschichte der Moderne an der Universität Siegen): Sabrina.Lausen@uni-siegen.de.