Interdisziplinärer Workshop an der Freien Universität Berlin, 29.-30. August 2024
Nachdem Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling das Konzept der Konfessionalisierung in den 1980er Jahren vorgelegt hatten, wurde es in den beiden folgenden Jahrzehnten in der Geschichtswissenschaft wesentlich ausdifferenziert und auch kritisiert. Gleichwohl blieb es etwa in den Überlegungen zur Interkonfessionalität, Transkonfessionalität und binnenkonfessioneller Pluralität (so ein Sammelband von von Greyerz, Lehmann und Kaufmann 2003) wesentliche Bezugsgröße. Mit den Überlegungen zu den 'Konfessionsgesellschaften' (Holzem 1999), der 'Konfessionskultur' (Kaufmann (1998, 2006), Pohlig (2018), Wassilowsky (2018)) oder der 'kulturalistischen' Konfessionskultur-Forschung (Emich 2018) wurde schon rein sprachlich am Konfessionalisierungskonzept angeschlossen, selbst wenn zum Teil deutliche Kritik etwa an dessen etatistischer Ausrichtung und seinem Normierungsdenken formuliert wurde. An diese Überlegungen knüpften produktiv etwa kommunikationshistori-sche Überlegungen von Hacke (2017) oder das von Garloff und Witt (2019) geleitete DFG-Netzwerk "Confessio im Konflikt" an. Auch das DFG-Graduiertenkolleg „Interkonfessionalität“ (Universität Hamburg) schließt kritisch an die Konfessionalisierungsdebatten an.
Inzwischen – so scheint es – ist es um die Konfessionalisierung aber insgesamt deutlich stiller geworden. Zwar ist sie in Lehrbüchern weiterhin präsent. Die Aufmerksamkeit, die ihr von den 1990er Jahren bis in die Mitte des letzten Jahrzehnts zuteilwurde, genießt sie aktuell nach Wahrnehmung der Initiatoren jedoch nicht mehr. Verbundprojekte, die sich typischen Themen und Fragestellungen des konfessionellen Zeitalters widmen – zu denken ist etwa an die profilierte Hamburger DFG-Forschungsgruppe 5138 "Geistliche Intermedialität in der Frühen Neuzeit" –, greifen in ihren einführenden Überlegungen nur am Rande auf das Konfessionalisierungskonzept zurück. In der Geschichtswissenschaft scheint jedenfalls die Diskussion um das Konzept erschöpft zu sein; ein anderer sachlicher wie zeitlicher Fokus scheint sich aufzudrängen (globalhistorische Perspektiven, Ausweitung des Reformationsbegriffs). Ähnliches scheint für die evangelische wie katholische Kirchengeschichte zu gelten. Ist die Konfessionalisierung – derart betrachtet und zugleich an Ute Lotz-Heumann (2016) anschließend – am Ende?
Um diese Frage zu beantworten, scheint es wenig sinnvoll, sich allein auf die Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung zu fokussieren. Denn jenseits dieser wurde die skizzierte Entwicklung sehr divers rezipiert. Sicherlich kann nicht behauptet werden, dass sie unbeachtet blieb. Blickt man allerdings in zahlreiche literatur-, kunst- oder musikhistorische Werke zur frühneuzeitlichen, westeuropäischen Kultur, scheint 'Konfessionalisierung' – zumal nach der sog. Rückkehr der Religionen in den Kulturwissenschaften – schlicht 'Säkularisierung' ersetzt zu haben, ohne dass dies weiter reflektiert wurde. Vom 'Zeitalter der Konfessionalisierung' wird gesprochen, wenn klar ist, dass Attribute wie 'nachreformatorisch' oder gar 'gegenreformatorisch' kaum geeignet sind, um längere historische Entwicklungen zu charakterisieren. 'Konfessionalisierung' wurde also jenseits der Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung in den Geisteswissenschaften oft zu einem Begriff, der es erlaubte, komplexe religions- und kulturhistorische Fragen auszublenden oder zu verkürzen.
Gleichzeitig erschienen immer wieder Einzelstudien, die sich mit dem Konfessionalisierungsparadigma konstruktiv auseinandersetzten und es für die eigene Disziplin fruchtbar gemacht haben (Roling 2004, Bremer 2005, Münch 2008, 2009, Olk 2017, Wiesenfeldt 2020, Ott/Stockbrugger 2022). Sie wurden und werden in der Geschichts- und Kirchengeschichtswissenschaft rezipiert (eine erste Bilanz schon bei Lotz-Heumann/Pohlig 2007). Inwieweit sie die Auseinandersetzung mit dem Konfessionalisierungskonzept innerhalb des eigenen Faches befördert haben oder aber Einzelfälle sind, wäre hingegen zu erörtern. Besonders weitreichend gehen die Überlegungen von Bremer (2010 und passim), der die These vertritt, dass sich die deutsche frühneuzeitliche Literatur durch die Konfessionalisierung strukturell verändert und an Buß- bzw. Konversionsmustern orientiert hat, die ihrerseits aber erkennbar einen vorreformatorischen Ursprung haben (Weitbrecht 2016). Bremer spricht deswegen von Konversionalisierung, was aber in der Germanistik nicht uneingeschränkt überzeugt hat. Andererseits scheint das Interesse an diesen Überlegungen in anderen Disziplinen erheblich zu sein.
Diese sehr grobe Skizze zur Entwicklung und Rezeption des Konfessionalisierungskonzepts innerhalb der Geschichts- und Kirchengeschichtswissenschaft einerseits und in Literatur-, Musik- und Kunstgeschichte andererseits macht es nach Überzeugung der Verfasser erforderlich, den interdisziplinären Austausch zu forcieren. Um es zuzuspitzen: Während das Konzept in der Geschichtswissenschaft – zurecht oder zu Unrecht – als überholt wahrgenommen wird (und dennoch nicht ersetzt ist), ist es in vielen anderen historischen Geisteswissenschaften bisher kaum angemessen rezipiert. Auch der derzeit gängigere Begriff der Konfessionskultur ist in seinen Implikationen noch kaum ausgeschöpft worden.
Gemeinsam soll deswegen im Rahmen eines Workshops erörtert werden, auf welches religionsgeschichtliche Vokabular für die Frühe Neuzeit, welche Konzepte der Konfessionalisierungsforschung und welche Methoden in den unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Fächern zurückgegriffen wurde und wird, um je vor dem Hintergrund der eigenen disziplinären Kultur das zu entwickeln, was vielleicht vorläufig als konfessionelle Matrix bezeichnet werden kann: Welche Begriffe, Ideen und Konzepte wurden und werden aus welchen Gründen in den unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen genutzt, a. um die eigenen Quellen, Texte und Artefakte zu erforschen und um b. ggfs. ältere religionshistorisch orientierte Forschungen zu kritisieren oder weiterzuentwickeln?
Mittels dieser Fragen soll zum einen bilanziert werden, wie das Konfessionalisierungskonzept und seine Erweiterungen und Variationen in den verschiedenen historischen Geisteswissenschaften rezipiert wurde und ob es gar als etabliert gelten kann. Zum anderen soll erörtert werden, welche Perspektiven sich aus diesen Rezeptionen wiederum für die Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung ergeben.