Einem angeblichen Diktum Winston Churchills zufolge habe der Balkan mehr Geschichte, als er verdauen könne. Sicher ist, dass Südosteuropa nicht nur eine bewegte Geschichte vorweisen kann, sondern dass sich aufgrund ganz unterschiedlicher Rahmenbedingungen eine Vielzahl von Völkern im Laufe der Zeit durch diesen Großraum bewegt hat.
Auch jenseits solcher recht allgemein gehaltener Aussagen finden wir viel Bewegung auf allen Manifestationsebenen in Südosteuropa und dementsprechend auch in der Balkanromania.
Da wäre – ganz aktuell – das Fach selbst, das sich neu verorten, das sich von historischer oder philologischer Spezialforschung zu einem stärker interdisziplinären Fach, das verschiedene Perspektiven vereint und zusammenbringt, wandeln muss.
Reiseliteratur mag als Erstes einfallen, wirft man einen Blick auf die Literatur. Doch ist die Literatur selber in Bewegung, und allzu oft fand sie im Exil statt, dem Endpunkt einer Bewegung. Ein Beispiel dafür sind die Literaturen, die je nach neuen Wahlheimaten der Muttersprachler:innen der Balkanromania in literarischen Texten (vielfach) die alte Heimat vor der Erfahrung an neuen Orten spiegeln, aber auch ganz neue soziokulturelle Einflüsse aufnehmen und sich dadurch einer sprachlichen und thematischen Veränderung unterziehen. Mitunter findet unter dem Einfluss des neuen (Erfahrungs-)Raums sogar ein Sprachwechsel statt.
Nicht nur vor Ort, sondern auch an neuen Heimaten werden zum Teil folkloristische Traditionen, der Tanz – als konkrete Bewegung sui generis – wie der Căluş oder die Sîrbă zelebriert.
Selbst wenn die Transhumanz, diese frühe Form der Arbeitsmigration im Hirtenwesen, fast nicht mehr stattfindet – Günstigflüge, Reisebusse und PKW sind nun die modi vivendi, um das Einkommen der Sprecher:innen balkanromanischer Varietäten an ertragreicherer Stelle zu verdienen. Damit bewegt sich auch die Sprache, die Menschen nehmen sie mit, Sprachkontakte entstehen, aber auch neue Sprachinseln, und je nach neuem Kontext verändert sich die Sprache. Unterschiedliche Zusammenhänge des Tradierens und Verlierens lassen sich in der globalisierten Gegenwart neu untersuchen.
Auf linguistischer Ebene sind dynamische Entwicklungen der Jugendsprache genauso zu beobachten wie Wandlungen in Grammatik oder Syntax. Bewegte Bilder haben in Rumänien eine lange Tradition; das rumänische Kino genießt einen guten Ruf.
Und die Jahrzehnte äußerst eingeschränkter Bewegungsmöglichkeiten während des kommunistischen Regimes sind längst überwunden – gerade erst vor kurzem konnte Rumänien den Beitritt zum Schengenraum feiern, was die Bewegungsfreiheit in Europa sichert.
Dass sich Rollenbilder und Zuschreibungen zu den Geschlechtern ebenfalls in Bewegung befinden, rundet diese kleine Ideenschau ab.