« L’écriture chorégraphique de Trisha Brown exclut à peu près tout mouvement répertorié, issu soit de la technique classique, soit de techniques modernes codifiées. L’exercice de la traduction est alors utopique, mais apporte un peu de lumière, si ce n’est au lecteur, du moins au traducteur ». (GINOT Isabelle, « Trisha Brown texte et mouvement », in BROWN Trisha, « Skymap » et autres textes, traduit de l’américain par Isabelle Ginot, Revue IF, n°5, 1994, p. 3–13.)
Dieses Zitat findet sich im Nachwort einer Sammlung von Übersetzungen der englischsprachigen (Tanz-)Texte der Choreographin Trisha Brown ins Französische. In diesem Zusammenhang erscheint jede Bewegung intim subjektiv und auf die Körpererfahrung beschränkt; ihre Überführung in das Ausdrucksmedium der Sprache erlangt in diesem Zitat von Isabelle Ginot einen ,utopischen‘ Charakter und nährt damit den Topos des Unübersetzbaren (vgl. z.B. CASSIN Barbara, Dictionary of untranslatables - A philosophical lexicon, Princeton, Princeton University Press, 2014) – einer Nicht-Beziehung zwischen Tanz und Sprache.
Der Neologismus Tanzlation, der diesem Kolloquium seinen Titel verleiht, soll die Verflechtung dieser Paradoxien bezeichnen, die für die komplexe Beziehung zwischen Tanz und sprachlichen sowie literarischen Phänomenen charakteristisch sind. Tatsächlich werden diese Interaktionen regelmäßig aus einer komparatistischen Perspektive betrachtet, wobei die Asymmetrie, ja sogar die spannungsreiche Opposition zwischen Tanz und Sprache untersucht wird. Auf den ersten Blick scheint alles diese beiden Ausdrucksformen – die eine begrifflich, die andere kinetisch – in Opposition zueinander zu stellen. Die Übertragung von der einen in die andere scheint nur um den Preis einer Adaptation möglich zu sein. Diese wird wiederum oft als essenzieller Verlust wahrgenommen, da es keine systematische Äquivalenz zwischen Gesten und Worten gäbe. Im Übrigen wird der Tanz – wie auch die ihn oft begleitende Musik – noch regelmäßig mit einer ,universellen Sprache‘ verglichen, die als solche nicht übersetzt werden müsse.
In Anbetracht dieser Polaritäten möchte die anvisierte Tagung die Ressourcen und Methoden der Translationswissenschaft nutzen, um die mannigfaltigen Beziehungen zwischen Tanz und Sprache(n) zu untersuchen. In diesem Zusammenhang soll das Hauptaugenmerk auf den interkulturellen Austausch und die Verschränkungen im europäischen Kulturraum (besonderes den deutschen, französischen und italienischen) gerichtet werden. Im Zentrum unseres Forschungsinteresses stehen Fragestellungen rundum die Thematik, wie die Übersetzung von choreografisch-tänzerischen Erfahrungen und von Tanztexten das Spiel der Homologien, Kongruenzen, Divergenzen, Ähnlichkeiten zwischen Wort und tänzerischer Gesten gestaltet. Besonderes Augenmerk erfährt die oftmals ungreifbare Präsenz von Schöpfungs- und Übertragungsprozessen in Diskursen und Vorgehensweisen von Tanzschaffenden, die (bewusst oder unbewusst) aus den Konzepten der Translationswissenschaft schöpfen. Damit soll ein Beitrag für einen neuartigen methodologischen Zugang geleistet werden, dessen Interesse sich auf die Materialität von Übersetzungen aus dem choreographischen Feld richtet, d.h. auf textuelle und gestische Formen, die sie verkörpern, auf die semiotischen Prozesse und Vorstellungswelten, die sie mobilisieren, auf die Motivationen der Akteure, die sie durchführen, und auf die körperlichen Erfahrungen, die sich daraus ergeben.
Zwei unterschiedlich orientierte Phänomene sind in diesem Kontext von besonderer Bedeutung: einerseits die Mechanismen der Übersetzung zwischen Gesten und Worten (intersemiotisch) und andererseits von einer Sprache in die andere (interlingual). In diesem Sinne ermuntern wir Tagungsbeiträge, die sich um folgende thematische Leitfragen gruppieren können:
1. Erforschung der sprachlichen Vorstellungswelten, die durch die Praktiken des Tanzes, des literarischen Schreibens und der Übersetzung angesprochen werden, sowohl bei ihrer Entstehung als auch bei ihrer Rezeption.
- Gibt es Porositäten zwischen gestischem und sprachlichem Vokabular, die aktiviert werden, wenn die Tanzerfahrung ausgesprochen und/oder übersetzt wird? Welche sprachlichen Mittel werden herangezogen?
- Inwiefern wird die Entwicklung von Gesten durch die semiotischen Kulturen der Sprache des Tänzers, der sie interpretiert, bestimmt?
- Wie wirkt sich ein intermediales und interkulturelles Bewusstsein der jeweiligen Akteure auf Schöpfungs- und Übertragungsprozesse aus?
2. Untersuchung der Funktionen von Übersetzungen von Tanzwerken und -diskursen und insbesondere ihrer Fähigkeit, zwischen den Künsten, Kulturen und Sprachen zu vermitteln.
- Wie und warum übersetzen (Tanz-)Kunstschaffende Tanztraktate und Texte von einer in die andere Sprache?
- Welche künstlerischen und verlegerischen Kontexte können identifiziert werden, die derartige Übersetzungen begünstigen?
- Was zeichnet verschiedene aufeinanderfolgende Übersetzungen desselben Textes aus und welche Entwicklung der sprachlichen Wissensbestände treten zutage?
3. Betrachtung der zentralen Bedeutung des Körpers in Übersetzungsprozessen, um die manchmal impliziten Nuancen bestimmter Begriffe oder Körperbewegungen zu erfassen.
- Inwiefern hat für die Künstler der Akt des Übersetzens Anteil an Verkörperungsprozessen von sprachlichem und kinetischem Wissen?
- Wie wird Tanz beschrieben – etwa im Erfahrungsbericht, in Künstlerbiographien oder in Hörfassungen für Blinde und Sehgeschädigte etc.?
Diesen und weiteren Fragen möchte sich die Tagung widmen. Ziel ist es, der gegenseitigen Erhellung von Tanz und (literarischer) Sprache auf den Grund zu gehen, wie sie in der körperlichen Erfahrung von Tänzern, in Tanztexten oder Texten über den Tanz etc. zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig soll der Aufbau von Wissen zwischen Tanzkultur und Translationswissenschaft gefördert werden. „Tanzlation – Tanz übersetzen zwischen Körpern, Texten und Vorstellungswelten“ möchte in diesem Sinne Forscher aus verschiedenen Disziplinen (Tanz-, Literatur-, Translationswissenschaft, Kulturwissenschaften usw.) zusammenbringen, um die interdisziplinäre Reflexion dieser Verflechtungsphänomene anzuregen.
Das Programm ist offen für verschiedene Beitragsformate: 1° akademische Einzel- oder Tandemvorträge zu Fallstudien oder Korpusanalysen; 2° Workshops mit experimenteller Ausrichtung; 3° Dialoge/Interviews mit Fachleuten aus dem choreographisch-tänzerischen Bereich, aus der Audiodeskription u.a.