Mit uns diskutieren einige, die am 9. November 1989 in der Französischen Friedrichstadtkirche dabei waren: die ehemalige thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, der damalige Superintendent in Pankow Werner Krätschell, der evangelische Pfarrer und Gründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) Konrad Elmer sowie Joachim Heise, damals Historiker an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED. Teilnehmen wird außerdem Marianne Birthler, ehemals Vertreterin der Initiative Frieden und Menschenrechte und später Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Moderiert wird das Gespräch von Robert Ide, Autor des Tagesspiegel.
Die Diskutanten am 9. November 1989 waren zusammengekommen, ohne von Günter Schabowskis Worten zum neuen DDR-Reisegesetz („Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich.“), geschweige denn von deren Tragweite zu wissen. Manfred Stolpe, damals noch parteilos und hauptberuflich in der Leitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, hatte im Oktober die Initiative ergriffen. Anwesend waren Vertreter:innen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), der CDU und der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD), aber auch Repräsentierende der neuen Oppositionsgruppen und Parteien, beispielsweise des Demokratischen Aufbruchs, der SDP, dem Neuen Forum und von Demokratie Jetzt. Die Kirche war brechend voll.
Stolpe stellte zunächst „die Frage nach der Gerechtigkeit im Lande. Da steckt nach unserer Überzeugung die Frage nach dem Zukunftsmodell einer DDR drin, da steckt die Frage Sozialismus: Fragezeichen oder Ausrufungszeichen? mit drin.“
Die Kirchenleute im Saal, darunter auch Lothar de Maizière und Werner Krätschell, verfolgten keine gemeinsame Linie. Und die Pastoren Rainer Eppelmann und Konrad Elmer sprachen nicht für die Kirche, sondern für die von ihnen gerade mitgegründeten, aber im SED-Staat nicht anerkannten Parteien Demokratischer Aufbruch und SDP.
Lothar de Maizière, Spross einer alten Berliner Hugenottenfamilie, war auf dem Sprung in die Politik. Er war von den an diesem Abend zahlreich anwesenden CDU-Reformern nur Stunden zuvor in der Französichen Friedrichstadtkirche zum Kandidaten für den CDU-Vorsitz gekürt worden. Die Partei insgesamt war sich aber nicht einig im Blick auf die Zukunft des Sozialismus.
Der Film zeigt: Die Diskutanten waren sich in vielem herzlich uneinig. Der Filmregisseur Konrad Weiß forderte für Demokratie Jetzt eine „solidarischere Gesellschaft“; für das Neue Forum ergriff der Bürgerrechtler Klaus Wolfram das Wort, während für die neu gegründete SDP neben Konrad Elmer auch deren Geschäftsführer Thomas Krüger sprach. Horst Dohle vom Staatssekretariat für Kirchenfragen trug SED-Perspektiven auf die Zukunft der DDR vor, während Lutz Hoyer von der LDPD die Änderung des Artikels 1 der DDR-Verfassung sowie ein neues Wahlgesetz forderte.
Trotz aller Uneinigkeit war klar, dass es an diesem Abend eine gemeinsame Grundlage gab: den Fortbestand der DDR.