Dienstag, 19. April 2005, 18 Uhr
Asche und Diamant (Polen 1958, R: Andrzej Wajda), 95 min. Baader (D 2001, R Christopher Roth), 109 min. Diskutanten: Klaus Stern, Kassel; Johannes Ullmaier, Frankfurt/Main
Moderation: Christian Schneider, Frankfurt/Main
Für die (Selbst-)Inszenierung und die öffentliche Rezeption der RAF spielte das kulturelle und vor allem filmische Umfeld der späten 50er und 60er Jahre eine wichtige Rolle. Beide knüpften an ikonographische Muster wie das des zornigen jungen Mannes und Revolutionärs an, wie sie insbesondere filmisch lanciert worden waren. Beispielhaft hierfür stehen die Rebellenposen James Deans oder Jean Paul Belmondos und Filme wie Bonnie & Clyde, Spiel mir das Lied vom Tod oder der frühe Film von Andrzej Wajda Asche und Diamant. Die RAF hat aber auch selbst die Produktion von Bildwelten besorgt, die vor allem über die Populärkultur wirksam werden (etwa "Prada-Meinhof"-Werbung, Romane wie Rosenfest von Leander Scholz oder Filme wie Christopher Roths Baader). Dort wird die terroristische Schockwirkung gezielt eingesetzt, um ästhetische Attraktion zu entfalten bzw. um die zeitgeschichtlich ebenso nahe wie versunkene RAF als modernen Mythos zu inszenieren. Die Filme reflektieren die feste Etablierung von Bildwelten im kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft. Damit verdichten sie bestimmte Interpretationsmuster, auch Symboliken, die in der Regel mit dem Terrorismus in Verbindung gebracht werden. Die Frage ist, ob dies gelungen und außerdem legitim ist. Der Abend wird beide Bildwelten – diejenige, die die Mitglieder der RAF ikonographisch beeinflusste und die, die sich über die Auseinandersetzung mit der RAF generierte, einander gegenüberstellen und nach Kontinuitäten, Wirkungsweisen und nach ästhetischen Bearbeitungspraktiken fragen.
Mittwoch, 27. April 2005, 18 Uhr
Stammheim (D 1985, R Reinhard Hauff), 107 min. Die dritte Generation (D 1979, Rainer Werner Fassbinder), 110 min. Diskutanten: Gerhart Baum, Berlin; Gertrud Koch, Berlin; Hellmut Brunn, Frankfurt
Moderation: Stefan Reinecke, Berlin
Der Abend befasst sich mit den Folgen der Eskalation von Gewalt: Stammheim spielt kammerspielartig ausschließlich im Gerichtssaal und stellt vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte der 80er Jahre in Deutschland über Re-Integration und Amnestie die Frage nach Motivationen der RAF-Mitglieder und der Zuspitzung der Fronten RAF-Staat. Die dritte Generation inszeniert eine Groteske auf die Strategie der RAF, den Staat über eine Eskalationsstrategie als faschistisch zu entlarven, die die Grenzen zwischen Terroristen, Wirtschaft und Staat fließend werden läßt. Hier lassen sich Fragen nach Prävention und Gesetzgebung stellen, aber auch nach den Bildern, die sich Öffentlichkeit und Staat von der RAF und dem Terror in den 70ern gemacht haben.
Dienstag, 03. Mai 2005, 18 Uhr
Operation Thunderbolt (IL 1977, R Menahem Golan), 124 min. dial H-I-S-T-O-R-Y (B/F 1997, R Johan Grimonprez), 68 min. Diskutanten: Annette Vowinckel, Berlin; Johan Grimonprez, Brüssel/Belgien (angefragt); Hanno Balz, Bremen
Moderation: Thibaut de Ryuter, Berlin
Das Bild des entführten Flugzeugs gehört zu den prägenden medialen Gewaltbildern der 70er Jahre – ähnlich der aktuellen Dominanz von Selbstmordattentaten. Der Imaginationsraum der Flugzeugentführung hat gewissermaßen ikonische Bedeutung erlangt. Die Dramatik und Bildgewaltigkeit, die ein solches Szenario hervorruft, hat Filmemacher wie auch Künstler inspiriert. Zwei exemplarische Beispiele beider Zugriffsweisen werden an diesem Abend einander gegenüber gestellt. Die Filme diskutieren die kulturelle/historische Bedeutung der Flugzeugentführung aus den beiden unterschiedlichen Perspektiven – aus der eines Actionthrillers, der sich am Geschehen in Entebbe 1976 orientiert sowie aus der Perspektive eines künstlerisch-assoziativen Zusammenschnitts, der das Medienspektakel anprangert und versucht, den Einfluß der Bilder auf unsere Gefühle, unser Wissen und unser Gedächtnis aufzudecken.
Mittwoch, 11. Mai 2005, 18 Uhr
Schleyer. Eine deutsche Geschichte (D 2002, R Lutz Hachmeister), 90 min. One Day in September (USA 2000, R: Kevin Macdonald), 95 min. Diskutanten: Gerd Koenen, Frankfurt; Michaela Melián, München
Moderation: Marcus Coelen, Berlin/München
Immer wieder hat die RAF die Kontinuität zwischen NS-Regime und bundesrepublikanischem Staat als Argument und Rechtfertigung für sich geltend gemacht. Die Entführung Hanns Martin Schleyers wurde ausdrücklich mit dessen Rolle während des Nationalsozialismus begründet. In scheinbarem Widerspruch dazu stehen gegen Juden oder jüdische Einrichtungen geplante oder ausgeführte Anschläge – wie schon 1968, als die "Haschrebellen" eine Synagoge als Anschlagsziel auswählten. Auch die Reaktionen auf das Olympia-Attentat in München 1972 und die Flugzeugentführung in Entebbe 1976 stehen exemplarisch für die sich zuspitzende Haltung der RAF zu Fragen des "Antizionismus", Antifaschismus und des "Palästinenserproblems". Hier kann eine Diskussion um die noch vielfach ungeklärten Zusammenhänge von RAF, Nachkriegs-Elterngeneration, Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit und "Antizionismus" ansetzen.
Dienstag, 17. Mai 2005, 18 Uhr
Die innere Sicherheit (D 2000, R Christian Petzold), 115 min.
angefragt: Wilde Tiere – Rote Knastwoche (D 1969/70, R Katrin Seybold, Gerd Conradt)
Diskutanten: Harun Farocki, Berlin; Dorothea Hauser, Paris; Leander Scholz, Bonn
Moderation: N.N.
Die Filme schlagen den Bogen von der Initialzeit des westdeutschen Linksterrorismus hin zu dessen Ende. Gleichzeitig thematisieren sie aus unterschiedlichen Perspektiven die Rollen und Probleme von Jugendlichen. Eines der ersten Betätigungsfelder von Gudrun Ensslin und Andreas Baader war das Engagement für die Verbesserung der Situation von Jugendlichen. Die Handlung von Die Innere Sicherheit setzt heute, am Ende der 1970 begonnenen Ära des Terrorismus in Deutschland, an und widmet sich den Lebensumständen einer Familie im Untergrund. Zentrum der Handlung ist der Wunsch der Tochter nach Normalität – damit wechselt der Film die Perspektive auf die ‚Opfer’ der Ereignisse.
Teilnehmer
Hanno Balz, Politikwissenschaftler, Bremen
Gerhart Baum, Innenminister a.D., Berlin
Hellmut Brunn, Rechtsanwalt und Author, Frankfurt
Marcus Coelen, Literaturwissenschaftler, Romanisches Seminar, Ludwig-Maximilians Universität, München
Thibaut de Ruyter, Kritiker, Berlin
Harun Farocki, Filmemacher, Berlin
Dorothea Hauser, Autorin, Paris
Gertrud Koch, Seminar für Filmwissenschaft, Freie Universität Berlin
Gerd Koenen, Autor, Frankfurt
Michaela Melián, Künstlerin, München
Stefan Reinecke, Journalist und Autor, Berlin
Christian Schneider, Autor, Lehrstuhl für Psychoanalyse am Sigmund Freund Institut, Frankfurt
Leander Scholz, Autor und Dozent, Bonn
Klaus Stern, Filmemacher, Kassel
Johannes Ullmaier, Lektor Suhrkamp Verlag, Dozent am Lehrstuhl für Germanistik an der Universität Mainz
Annette Vowinckel, Kulturwissenschaftlerin, Kulturwissenschaftlichen Seminar der HUB
Konzeption:
Jörn Ahrens, Kulturwissenschaftliches Seminar Berlin, HUB
Ellen Blumenstein, KW Berlin
Organisation:
Friederike Klapp, Katharina Fichtner, KW Berlin