Vertrauen und Misstrauen: Expertise zwischen Fachwissen und Öffentlichkeit

Vertrauen und Misstrauen: Expertise zwischen Fachwissen und Öffentlichkeit

Veranstalter
Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT), Universität Bielefeld; Institut für deutsche Literatur, Humboldt-Universität zu Berlin
Veranstaltungsort
Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für deutsche Literatur, Dorotheenstraße 24, 10117 Berlin, Raum 1.301
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.10.2012 - 12.10.2012
Website
Von
Cornelia Altenburg, LMU München

Vertrauen in technische Leistungsfähigkeit und professionelle Sachkenntnis ist heute Basis des gesamten gesellschaftlichen Alltagsverhaltens. In seiner Abschiedsrede 1961 hat der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower die Politik noch vor der Gefahr gewarnt, sich auf „Treu und Glauben“ zum „Gefangenen einer wissenschaftlich-technologischen Elite“ zu machen. In der politikwissenschaftlichen Literatur der Folgezeit wurden die Schlagworte von den Experten als „neue Mandarine“, „Priesterschaft“ und „wissenschaftliches Establishment“ geprägt. Zum völligen Zusammenbruch des Vertrauens in Expertenwissen kam es in den 1970er Jahren. Durch die Zulassung von „Gegenexpertise“ in allen Sachfragen war die auf wissenschaftlicher Reputation begründete expertokratische Autorität einer pluralistisch-advokatorischen Auffassung gewichen, nach der alle Expertise interessengebunden und paradigmenabhängig ist. Damit wäre der Grundgedanke einer Expertise, für die Vertrauen aus der ‚unabhängigen‘ Quelle verlässlichen und belastbaren Wissens zu schöpfen ist, ausgehebelt. Übrig bliebe die Verteilung von Vertrauen und Misstrauen durch die vorgängige Zuordnung zu streitenden Parteien und die Durchsetzung von gutachterlichem Wissen durch Machtbefugnisse.

Jedoch ist seit jenen Kontroversen die Bedeutung von (im allgemeinen Sinn) kompetenzbasierter und (im engeren Sinn) wissenschaftsbasierter Expertise in allen Bereichen der Gesellschaft ständig gewachsen. Wenn es mit Experten nicht zu gehen schien, so geht es ohne sie noch weniger. Die klassische Soziologie hatte seit Max Weber die Einsicht verbreitet, dass die Funktionsfähigkeit der differenzierten modernen Gesellschaft fundamental davon abhängt, dass ihre Mitglieder ein weitgehend unhinterfragtes Vertrauen (confidence) in ihre technischen und organisatorischen Abläufe aufbringen und ihr Verhalten entsprechend einpassen. Anthony Giddens hat in „Consequences of Modernity“ (1991) mit dem Begriff der „expert systems“ Webers Analyse weitergeführt. Auch Luhmanns Soziologie des Vertrauens beruht auf der Annahme, dass die Risiken der Vertrauensinvestitionen sich vor allem durch die Reduktion gesteigerter Komplexität rechtfertigen, der man sich im Falle des Misstrauens ausliefert. Für Luhmann wie Giddens enthält Vertrauen letztendlich eine irrationale, jedenfalls unkalkulierbare Bereitschaft, sich den Entscheidungen einer Person, Organisation oder eines Systems auszuliefern. Dem stehen auf James Coleman zurückgehende Versuche gegenüber, Vertrauen im Paradigma der rationalen Wahl zu kalkülisieren, die aber insbesondere in instabilen und zukunftsoffenen Kontexten unanwendbar sind.

Diese soziologischen Grundlagen bieten eine Basis dafür, warum das sachlich häufig berechtigte Misstrauen gegenüber Experten zwar zu Kritik, Protest und Mobilisierung von Gegenexperten führen, aber keineswegs den ständigen Ausbau professioneller und wissenschaftsbasierter Expertise einschränken. Die theoretisch-reflexive Schlüsselfrage, die im Wechselspiel steigenden Bedarfs und steigender Skepsis aufzuwerfen ist, lässt sich im Anschluss an den Wirtschaftswissenschaftler Diego Gambetta formulieren: „How can we trust in experts?“. Dieser Frage soll auf dem Workshop in Beiträgen aus den Perspektiven der Soziologie, der Wissenschaftsgeschichte, der Philosophie und der Kulturwissenschaften nachgegangen werden.

Programm

Donnerstag, 11. Oktober 2012

13.00 – 13.30 Wolfgang Krohn, Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld: Begrüßung und Einführung

13.30 – 14.30 Cornelis Menke, Abteilung Philosophie/Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld: Worauf kann sich epistemisches Vertrauen stützen?

14.30 – 15.30 Stefan Böschen, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruher Institut für Technologie (KIT): Wissensprozessordnungen – Vertrauensstiftung durch Prozessualisierung von Expertise?

15.30 – 16.00 Kaffeepause

16.00 – 17.00 Günther Dietze, Ehemaliger Vorsitzender der SSK, Physikalisch-Technische Bundesanstalt Braunschweig: Vertrauen und Frustration – Experten in der Öffentlichkeit

17.00 – 18.00 Christian Reiners, WHO Kollaborationszentrum für Strahlenunfallmanagement an der Universität Würzburg: Fukushima – Wahrnehmungen in Japan und in Deutschland im Vergleich

18.00 – 19.00 Diskussion auf der Grundlage von Impulsreferaten: Martin Carrier (Abteilung Philosophie, Universität Bielefeld), Monika Müller-Neumann (Leitung der Geschäftsstelle der SSK), Wolfgang van den Daele (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Freie Universität Berlin)

20.00 Gemeinsames Abendessen

Freitag, 12. Oktober 2012

9.15 – 10.15 Nicola Mößner, Philosophisches Institut, RWTH Aachen: Vertrauen oder Kontrolle? Die Rolle visueller Belege bei der Verbreitung von Expertenmeinungen

10.15 – 11.15 Katja Hinz, Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld: Grundsätze des Vertrauens – Zur Konstruktion der Verlässlichkeit einer Expertenkommission

11.15 – 11.45 Kaffeepause

11.45 – 12.45 Thomas Steinhauser, Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld: Autorität, Transparenz, Partizipation? Neue Strategien im Regulierungsprozess der Chemikalien am Arbeitsplatz

12.45 – 13.45 Burkhardt Wolf, Institut für deutsche Literatur,
Humboldt-Universität zu Berlin: Das unsinkbare Wrack. 100 Jahre Expertise zur ‚Titanic‘

13.45 – 14.15 Sandwichpause

14.15 – 15.15 Michael Huber, Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld: Vertrauen und Misstrauen an Hochschule. Wie aus Misstrauen Vertrauen entsteht

Kontakt

Cornelia Altenburg
Universität Bielefeld
Institut für Wissenschafts-
und Technikforschung
cornelia.altenburg@uni-bielefeld.de


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