Entblößt, verhüllt – geschmäht, verehrt: Körper im religiösen Dissens der Frühen Neuzeit / Bodies in early modern religious dissent: naked, veiled – vilified, worshiped

Entblößt, verhüllt – geschmäht, verehrt: Körper im religiösen Dissens der Frühen Neuzeit / Bodies in early modern religious dissent: naked, veiled – vilified, worshiped

Veranstalter
Prof. Dr. Xenia von Tippelskirch / Elisabeth Fischer, Humboldt Universität zu Berlin in Kooperation mit dem Forschernetzwerk EMoDiR - Early Modern religious Dissents and Radicalism
Veranstaltungsort
Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften, Friedrichstraße 191-193, 10117 Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.12.2016 - 02.12.2016
Deadline
10.08.2016
Von
Fischer, Elisabeth

(deutscher Text unten)

In early modern Europe, religious affiliation was often communicated through specific gestures and special items of clothing. One can find numerous examples in which religious boundaries and attributions were defined via the description of body practices. We only have to consider the polemical attacks against suspected sexual practices, the discussions about the practice of self-mortification, the flogging of religious dissidents, or, more specifically, the debates about Quakers, who only took off their hats for religious services and not for social superiors. The importance of body practices in Christian Europe can be traced back to the significance of ritual gestures in the liturgical context, to the tradition of imitating the tortured body of Christ, to the discourses of purity, and to the societal norms that regulated sexual practices. Physicians and theologians fought for sovereignty over the interpretation of bodily phenomena. At the same time, we encounter bodies in Policey-regulations: in the early modern social order one’s social status was supposed to be clearly identifiable to outside observers.
Despite many attempts to define specific practices, they remained extremely fluid and lent themselves to individual appropriation. They evaded the control of church and state authorities. Dissimulations could rely on the adaptation of body practices. Concurrently, bodily symptoms could be interpreted as the expression of a tangible experience of God. It seems important to examine external perception, connections to rituals and ways of self-fashioning. Bodies manifestly prompted debate. Therefore, they provide a good starting point for calling into question the thesis of clear denominational divisions in early modern Europe and thus for exploring smaller and more radical divergent groups. The focus on bodies (and on conflicts over body practices) allows us to leave behind the established tracks of national and denominational historiographies and to analyze the often-ambiguous phenomena that can be found beyond confessional boundaries. In this way, we can take a deeper look at the variety of religious living conditions, of different socio-cultural groups, and spiritual networks of early modern Europe.
Bodies provide a concrete target: they can be veiled, bared, negated, and vilified. At the same time, they can also provide self-assertion and can be worshiped. How were bodies or body parts staged during conflicts, how were they used, and how were they tortured? How were they cared for, (re) interpreted, and memorized? What happened to dead bodies? What role did the category of gender play? Is the thesis of a ‘crisis of corporeality’ tenable?
During the two-day workshop, we will inquire into the physical signs of religious dissent and analyze the language and symbolism of the body on the basis of various case studies. Contributions from all fields of history, literary studies, art history, ecclesiastical history, religious studies are welcome.

The languages of the conference will be German and English.
Please send title and abstract until 10 august 2016 to xenia.vontippelskirch@hu-berlin.de or elisabeth.fischer@hu-berlin.de.

--------------------------------------------------------------------

Religiöse Zugehörigkeiten wurden im frühneuzeitlichen Europa häufig über spezifische Gesten und besondere Kleidungsstücke kommuniziert. Es lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen die konfessionelle Abgrenzung und Zuschreibung über die Deskription von Körperpraktiken erfolgte. Man denke nur an polemische Attacken gegen vermutete Sexualpraktiken, an Diskussionen über die Praxis der Selbstkasteiung, an das Auspeitschen von Andersgläubigen oder, spezieller, an die Debatten über Quäker, die nur im Gottesdienst und nicht vor sozial höhergestellten Personen den Hut zogen. Dass Körperpraktiken im christlichen Europa eine große Rolle spielten, lässt sich zurückführen auf die Bedeutung ritueller Gesten im liturgischen Kontext, auf die Tradition der Imitation des geschundenen Körpers Christi, auf Reinheitsdiskurse und auf Sexualpraktiken regulierende gesellschaftliche Normen. Mediziner und Theologen stritten sich um die Deutungshoheit angesichts von körperlichen Phänomenen. Gleichzeitig tauchten Körper in den Policeyordnungen auf: sollte doch in der frühneuzeitlichen gesellschaftlichen Ordnung der soziale Status klar nach außen hin erkennbar sein.
Trotz aller Versuche, konkrete Praktiken festzulegen, blieben sie äußerst fluide, boten sich zu individuellen Aneignungen an. Sie entzogen sich der Kontrolle durch kirchliche und staatliche Autoritäten. Dissimulation konnte sich auf die Aneignung von Körperpraktiken stützen. Gleichzeitig konnten körperliche Symptome als Ausdruck einer konkreten Gotteserfahrung gedeutet werden. Feststeht: Körper boten immer wieder Anlass zu Debatten. Hier lässt sich daher ansetzen, um die These einer eindeutigen konfessionelle Aufgliederung des frühneuzeitlichen Europas in Frage zu stellen, um nach möglichen kleineren und radikaleren Abweichungen zu fragen. Der Fokus auf die Körper (und auf Konflikte um Körperpraktiken) erlaubt, die festgeschriebenen Bahnen nationaler und konfessioneller Historiographien zu verlassen und häufig ambigue Phänomene zu analysieren, die jenseits von konfessionellen Grenzen zu erfassen sind. Auf diese Weise kann die Vielfalt religiöser Lebenswelten, soziokultureller Gruppen und spiritueller Netzwerke im frühneuzeitlichen Europa in den Blick genommen werden.
Körper bieten eine konkrete Angriffsfläche, sie können verhüllt, entblößt, negiert, geschmäht werden. Gleichzeitig können sie auch der Selbstvergewisserung dienen, verehrt werden. Wie wurden Körper bzw. Teile eines Leibes in Konflikten inszeniert, wie wurden sie eingesetzt, wie gequält? Wie wurden sie gepflegt, (um-) gedeutet, memoriert? Was passierte mit toten Körpern? Welche Rolle spielte dabei die Kategorie Geschlecht? Lässt sich die These der Krise der Leiblichkeit halten?
Während des Workshops soll in unterschiedlichen Fallstudien nach den körperlichen Zeichen von religiösem Dissens gefragt und die Sprache/ Symbolik der Körper analysiert werden. Es gilt sowohl die Außenwahrnehmung, rituelle Zusammenhänge als auch Eigenstilisierungen zu untersuchen. Beiträge aus allen Bereichen der Geschichte, Literatur- und Kunstgeschichte, Kirchengeschichte und Religionswissenschaften sind willkommen.

Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.
Bitte übersenden Sie einen Titel und ein Abstract bis zum 10. August 2016 an xenia.vontippelskirch@hu-berlin.de oder elisabeth.fischer@hu-berlin.de.

Programm

Kontakt

Elisabeth Fischer

Mohrenstraße 40/41
Unter den Linden 6, 10099 Berlin
015779555616

elisabeth.fischer@hu-berlin.de

https://www.geschichte.hu-berlin.de/de/bereiche-und-lehrstuehle/geschichte-der-renaissance/personen/elisabeth-fischer-1