Zeiten bezeichnen. Frühneuzeitliche Epochenbegriffe: europäische Geschichte und globale Gegenwart / Labelling Times: The ‘Early Modern’ – European Past and Global Now

Zeiten bezeichnen. Frühneuzeitliche Epochenbegriffe: europäische Geschichte und globale Gegenwart / Labelling Times: The ‘Early Modern’ – European Past and Global Now

Veranstalter
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Wolfenbütteler Arbeitskreis Frühneuzeitforschung; Konzeption: Andreas Mahler / Cornel Zwierlein, Freie Universität Berlin
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2021 - 02.07.2021
Deadline
31.10.2020
Von
Bauer, Volker

[ENGLISH VERSION BELOW]

Epochenbildung gilt gemeinhin als eine der zentralen Aufgaben jeder disziplinären Historiographie. Wenn auch der Begriff der ‘epoché’ im eigentlichen Sinne die Schwelle zwischen Zeiten, den Übergang, das temporale Dazwischen meint, erscheinen Epochen im heutigen Gebrauch als weitgehend epistemisch bestimmte, scheinbar homogene Entitäten in der Einteilung eines an sich indistinkt fortwährenden physischen Zeitablaufs. Dabei fungieren sie, seien ihre Bezeichnungen geistesgeschichtlich, teleologisch oder selbst auch nur numerisch geprägt, vornehmlich als pragmatische Etikettierungen, bequeme Referenzschemata oder als bloße ‘umbrella terms’ zur Bezeichnung einer zwar oftmals unmittelbar durch den Verweis auf die ‘Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen’ wieder aufgehobenen, gleichwohl durchweg behaupteten, wo nicht gewähnten Einheit.

Der Begriff der ‘Frühen Neuzeit’ verweist auf die letzte temporale Untergliederung des auf die Humanisten zurückgehenden Dreischritts Antike – Mittelalter – Neuzeit, die sich vor allem in der deutschen und anglophonen Geschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt hat. Die Zusammenführung der Wolfenbütteler Arbeitskreise zur Renaissance- und Barockforschung lässt es sinnvoll erscheinen, die Bezeichnungsfrage erneut anzugehen, zumal sozial-, wirtschafts- und klimahistorische Ansätze mittlerweile schon für Europa zu erheblichen zeitlichen Variationsbreiten jenseits der klassischen politik-, literatur- oder kunsthistorischen Eckdaten geführt haben, während postmoderne und postkoloniale Perspektiven wie eurozentrismuskritische Dezentrierungsnarrative die epochentheoretischen Grundannahmen westlicher Historiographie ebenfalls, wenngleich erst spät, anzugreifen begannen. Begriffe wie ‘Early Modern China’ oder ‘Early Modern Indonesia’ sind zwar geläufig, doch stellt sich die Frage, was solche Fügungen eigentlich denotieren. Wenn man nicht in schlichten Zeitversatzmustern denken will oder lediglich den Moment der ersten Begegnung von Europäern mit Nicht-Europäern in Übersee als ‘Frühneuzeitbeginn’ deuten will, so fragt sich, worauf solche Epochenbegriffe in ihrem Transfer dann zielen und wie das auf die innereuropäische Epochenkonzeption zurückwirkt.

Das Gründungssymposium des neu eingerichteten Wolfenbütteler Arbeitskreises Frühneuzeitforschung will genau diesen Zusammenhängen näher nachgehen. Kaufen sich gängige Bezeichnungen wie ‘Renaissance’, ‘Barock’, ‘Vor-’ wie ‘Frühmoderne’, ‘Frühe Neuzeit’, ‘16.’ und ‘17. Jahrhundert’ immer schon ebenso ungewusste wie ungewollte Präsuppositionen und Konnotationen ein, so haben sich derzeit noch unbelastete alternative Terme bislang weder groß ins Spiel gebracht, geschweige denn einvernehmlich durchgesetzt. Darüberhinaus basieren bisherige Begriffe zumeist auf unausgesprochenen Grundannahmen zum historischen Wandel, den sie entweder als ungebrochene kontinuitätsgeschichtliche Abfolge oder als revolutionsgeschichtliche Serie von Brüchen oder auch als transformationsgeschichtliche Aushandlung von Assimilations- und Akkomodationsprozessen konzipieren wollen.

Das Interesse des Symposiums liegt dementsprechend zum einen allgemein auf einer Diskussion der Epochenproblematik, ihrer Notwendigkeit wie Hintergehbarkeit sowie auf den Problemen der Epochenbezeichnung. Zum anderen liegt es spezifisch auf der Frage nach der Benennung der ‘Frühen Neuzeit’ und den traditionell daraus resultierenden Automatismen einer ungewollt simplistisch gegenbildlich konstruierten Karikatur des Mittelalters, der emphatischen Feier eines ungeahnten Neuaufbruchs, einer tautologisch sich unaufhaltsam steigernden schwindelerregenden Fortschrittsbehauptung oder auch einer sich angesichts der scheinbaren Unlösbarkeit des Unterfangens resignativ unterwerfenden Kapitulation. Ein besonderes Interesse besteht schließlich in der Untersuchung der mit Projektionen europäischer Epochenbegriffe (wie auch etwa dem einer ‘Globalen Sattelzeit’) verbundenen Aporien, wobei konzeptuelle Auswege und Lösungsangebote jenseits billiger Eurozentrismusschelte höchst willkommen sind.

Das Symposium gliedert sich in fünf Sektionen:

Sektion I: Sinn und Unsinn von Epochenbezeichnungen: Frühe Neuzeit und Periodisierung

Sektion I widmet sich dem allgemeinen Problem der Epochenbildung und fragt nach dem Sinn von Periodisierung mit Blick auf die ‘Frühe Neuzeit’ als Unterabschnitt der Trias Antike – Mittelalter – Neuzeit. Alternative Periodisierungen, wie etwa nach Dynastien, Götter- oder astronomischen Zyklen, können hier kontrastiv mitbedacht werden.

Sektion II: Fallstricke epochenbezogener Begriffsgeschichte: Grundannahmen und Konnotationen

Sektion II bemüht sich um eine sprachkritische Analyse von Epochenbezeichnungen im Hinblick auf deren unausgesprochene Voraussetzungen und deren in ihrer jeweiligen Semantik implizierte Konnotationen. Dabei interessiert vor allem die Inflationierung des ‘Moderne’-Begriffs als allerklärendes Passepartout einerseits und andererseits als nichtssagende und nie erreichbare Chiffre.

Sektion III: Epochenbegriff und Disziplin: Frühneuzeitbegriffe in den Fachgeschichten

Sektion III verfolgt Frühneuzeitbegriffe in den Fachgeschichten und erkundet deren Problematik, Setzung und Verfestigung. Ein besonderes Interesse liegt hier im Vergleich zwischen den verschiedenen europäischen Traditionen (England, Frankreich, Osteuropa etc.), zwischen den geisteswissenschaftlichen Fachgruppen, in der Konzipierung von Epochen als Teil einer Epistemen- oder Stilgeschichte wie auch im Einbezug der Herausforderungen aus jüngeren Forschungsrichtungen wie etwa der Klimageschichte (Medieval Climate Anomaly, Little Ice Age).

Sektion IV: ‘Globale Frühe Neuzeiten’ als trojanisches Begriffspferd?

Sektion IV geht der Frage nach, welche Folgen und Hypotheken der oft unbewusste und implizite Transfer des Frühneuzeitbegriffs als Rahmen in historischen Darstellungen für außereuropäische Kulturen, Räume und Ereignisse mit sich bringt, welche unausgesprochenen Grundannahmen und ungewollte Implikationen ein solcher unreflektierter Gebrauch transportiert und wie dem entsprochen werden kann.

Sektion V: Autarke Frühe Neuzeiten global?

Sektion V untersucht historiographische Muster und Traditionen, in denen umgekehrt sehr bewusst global andernorts ‘Renaissancen’ oder ‘Barock’phänomene in ihren ‘autarken’ – und nicht als bloßer Transfer europäischer Muster aufgefassten – Kontexten verkündet, behauptet und ‘gefunden’ werden und welche Konsequenzen ein solcher metaphorischer Begriffsgebrauch für die Geschichtsschreibung zeitigt.

Vorschläge bitte mit Titel-/Sektionsnennung und Abstract (300 Wörter) bis zum 31. Oktober 2020 an einen der beiden Organisatoren: Andreas Mahler, FU Berlin (mahler@zedat.fu-berlin.de), Cornel Zwierlein, FU Berlin (cornel.zwierlein@fu-berlin.de).

Die Tagung findet in Wolfenbüttel statt. Die Herzog August Bibliothek übernimmt die Reise- und Hotelkosten der aktiven Teinehmer/innen.

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The postulation and construction of epochs has traditionally been seen as one of the more fundamental issues of historiographical practice. Though the term ‘epoché’ itself, as is well known, rather refers to the threshold between times, to periods of transition, or to a kind of temporal ‘in-between’, epochs in today’s everyday use tend to be treated as seemingly homogeneous epistemic entities marking and delimitting the thoroughgoing indistinction of continuous physical time. They in this way – no matter whether they are historical, teleological or even merely numeric – primarily function as pragmatic labels, referential commodities or as bare ‘umbrella terms’ used (though oftentimes immediately relativized by concepts such as the ‘a-simultaneity of the simultaneous’) to designate some kind of postulated if not assumed unity.

The concept of the ‘early modern’ refers to the most recent ‘humanist’ division of historical time into the ternary Antiquity – the Middle Ages – Modernity, as has become widely accepted after World War II above all in German and Anglo-Saxon historiography. The integration of the two Wolfenbüttel research circles for the Renaissance and the Baroque into one seems to invite a renewed discussion of the question of terminology, not least since in the meantime approaches in social, economic, and climatological historiography have led to quite substantial variations with regard to the classical division still prevalent in political, literary and art history. Postmodernist as well as postcolonial and eurocritical perspectives have in turn, though rather late, begun to attack the basic epochal concepts of Western historiography. Though coinages like ‘Early Modern China’ or ‘Early Modern Indonesia’ tend to become more and more frequent, the question still remains what they could possibly denote. If one does not want to fall back into simplistic patterns of temporal division, or blandly accept the moment of the first encounter between Europeans and non-Europeans in the New World as the beginning of the ‘early modern’, one will have to ask what the transfer of epochal concepts such as this one tries to achieve and to what extent this in turn is apt to create repercussions on inner-European conceptualizations.

The symposium for the inauguration of the newly established Wolfenbüttel research circle for the Early Modernity (Arbeitskreis Frühneuzeitforschung) intends to pursue precisely these questions. While traditional terms like the ‘Renaissance’, the ‘Baroque’, the ‘pre-modern’ or the ‘early modern’, ‘Early Modernity’, the ‘Sixteenth’ or the ‘Seventeenth Century’ risk calling up unthought-of or unwanted presuppositions and connotations, there have hardly ever been any new suggestions proposing alternative designations or terms of which one could truthfully say that they have caught on. In addition, the terms actually in use seem to be grounded in inexplicit basic assumptions about the nature of historical change, which they either conceptualize as an unbroken continuity of events or as a revolutionary sequence of abrupt breaches or as a transformational negotiation of processes of assimilation and accommodation.

Accordingly, the general focus of the symposium will lie, on the one hand, on the discussion of the notion of epochs, their necessity or, as for that, eluctability, as well as the general problems of their terminological designation. On the other hand, there will be a specific focus on the concept of the ‘early modern’ and its traditional automatisms, such as the risking of a simplistic caricature of the Middle Ages as its complementary worse ‘other’, or the incurring of an uncritical emphatic celebration of ‘making it new’, or the implication of a somewhat tautological inauguration of some unstoppable everlasting progress – or, alternatively, the falling prey to the resigned conclusion that this is a problem that will never be solved and should in consequence not be dealt with at all. Finally, there is a special interest in the aporias resulting from the projection of European conceptualizations onto global questions, which also includes the invitation of alternative conceptualizations apart from traditional repetitions of accusations of eurocentrism.

The symposium is organized in five sections:

Section I: Sense and nonsense of epochal labels: the ‘early modern’ and periodization

Section I is dedicated to the general problem of the creation and postulation of epochs, asking for the usefulness of periodization with regard to the ‘early modern’ as a subcategory in the triad Antiquity – Middle Ages – Modernity. Alternative proposals of periodization following dynasties, deities or astronomical cycles can here be taken into consideration.

Section II: Problems of epoch-oriented terminology-based historiography: basic assumptions and connotations

Section II is focused on a language-critical analysis of terms designating epochs with regard to their hidden assumptions and the connotations implied in their semantics. Central to the debate will be the immense inflation of the concept of the ‘modern’ as an all-explaining passepartout term on the one hand and as an empty, and hence useless, chiffre on the other.

Section III: Epoch and discipline: uses of the early modern in the different fields of investigation

Section III will follow conceptualizations and uses of the early modern in the various academic disciplines, exploring its problematic status, its self-effacing institutionalization and concomitant ‘reification’. This includes in particular comparisons between the different European traditions (England, France, Eastern Europe etc.), but also between the different subjects within the Humanities, in the conceptualization of epochs as part of a history of epistemes or styles as well as with reference to the challenges brought forward by newer developments in climatologically oriented historiography (Medieval Climate Anomaly, Little Ice Age).

Section IV: ‘Global early modernities’ as a terminological Trojan horse?

Section IV intends to pursue the question of potential consequences or inherited problems to be taken into account in the frequently unconscious and implicit transfer of the concept of the ‘early modern’ to non-European cultures, areas or events, and addresses the unreflected assumptions and unwanted implications involved in such a transfer (as well as possible ways out).

Section V: Autarchical early modernities on a global scale?

Section V will take into view the historiographical patterns and traditions, in which, inversely, global cultures seem to postulate, declare, and ‘find’ a ‘Renaissance’ or a phenomenon of the ‘Baroque’, not as a transfer from European patterns but as an ‘autarchical’ development of their own, and will discuss the consequences of such a metaphorical use for contemporary historiography.

Proposals with a title plus section reference and an abstract of (roughly) 300 words by 31 October 2020 please to one of the two organizers: Andreas Mahler, FU Berlin (mahler@zedat.fu-berlin.de ), Cornel Zwierlein, FU Berlin (cornel.zwierlein@fu-berlin.de).

The conference will take place in Wolfenbüttel. Travel and hotel expenses of active participants will be covered by the Herzog August Bibliothek.

Kontakt

Andreas Mahler / Cornel Zwierlein, Freie Universität Berlin

mahler@zedat.fu-berlin.de; cornel.zwierlein@fu-berlin.de