Sarah Thieme, Centrum für Religion und Moderne an der WWU Münster
»Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen« (Mt 25,35) – Katholizismus und Geflüchtete in historischer wie gegenwärtiger Perspektive
Die Generaldebatte der 35. Jahrestagung, die traditionell am Sonntagvormittag der Tagung stattfindet, fragt nach der Beziehung von katholischen Gläubigen wie der Institution Katholische Kirche insgesamt zu Geflüchteten in gegenwärtiger und historischer Perspektive: Im Sommer 2015 sahen sich Deutschland und Europa mit einer neuen Dimension von internationaler Flucht und Migration konfrontiert. Die christlichen Kirchen unterstützten die Geflüchteten, auch und gerade in einer intensiven medialen Vermittlung. So begrüßte etwa Kardinal Reinhard Marx gemeinsam mit dem damaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, zahlreiche Geflüchtete persönlich am Münchener Bahnhof. Die Ankunft der Migrantinnen und Migranten forderte nicht nur Gesellschaft und Politik, sondern auch die christlichen Kirchen heraus. Zahlreiche Christinnen und Christen engagier(t)en sich aktiv in der Geflüchteten-Hilfe. Die historische Betrachtung der »christlichen Willkommenskultur« (Claudia Lepp 2020) findet (nicht erst) seitdem eine verstärkte Aufmerksamkeit der Wissenschaft, zuletzt vor allem im Hinblick auf protestantische Akteure seit 1945. Nach 1945 waren Katholikinnen und Katholiken nicht nur Teil der aufnehmenden Gesellschaft, sondern ebenso selbst von Flucht, Vertreibung und Migration betroffen. Zu denken ist etwa an die Heimatvertriebenen infolge des Zweiten Weltkrieges, die es nicht nur gesellschaftlich, sondern ebenso kirchlich in die aufnehmenden Gesellschaften und Lebenswelten zu integrieren galt.
In der Generaldebatte fragen wir insbesondere nach den Motiven und (Glaubens- )Überzeugungen, die hinter dem christlichen respektive katholischen Engagement für Geflüchtete liegen, sowie nach theologischen und sozialethischen Argumentationsstrukturen, die kirchliche Versuche der Integration und Aufnahmebereitschaft fundierten. Zu denken ist beispielsweise an die lange Tradition des Kirchenasyls ebenso wie an biblisch-begründete Argumentationen oder das Gebot der Nächstenliebe. Zugleich wird aber auch nach Hintergründen von Ausgrenzung und Ablehnung geflüchteter Menschen durch Katholik:innen gefragt. Da das Engagement in der christlichen und katholischen Geflüchteten-Hilfe, so ist zu vermuten, vor allem auf Wertüberzeugungen beruht, ist insbesondere auch deren Wandel, sind Kontinuitäten und Umbrüche sowie deren praktische Auswirkungen in Beziehung zu verschiedenen Gruppen von Geflüchteten im Untersuchungszeitraum zu diskutieren.
Für die Diskussion dieses Themas konnten wir Markus Stadtrecher, Fachbereichsleiter Politik, Gesellschaft, Umwelt an der VH Ulm, und Gerhard Kruip, Professor für Christliche Anthropologie und Sozialethik an der JGU Mainz, als Referenten gewinnen. Am Samstagabend findet unter Moderation von Markus Leniger (Schwerte) voraussichtlich eine Vorführung des Films »Friedland – Der Dokumentarfilm« über Geschichte und Gegenwart des Erstaufnahmelagers »Friedland« statt.
Aktuell planen wir die Tagung als Präsenzveranstaltung, gegebenenfalls ergänzt um hybride Formen. Falls von der Pandemielage her nötig, wird die Tagung in ein digitales Format umgewandelt.