Performativität und Medialität Populärer Kulturen

Performativität und Medialität Populärer Kulturen

Veranstalter
Dr. Marcus S. Kleiner, Medienwissenschaft, Universität Siegen; Dr. Thomas Wilke, Medien und Kommunikationswissenschaften, Universität Halle-Wittenberg
Veranstaltungsort
Multimediazentrum (MMZ), Mansfelder Str. 56
Ort
Halle an der Saale
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.12.2010 - 04.12.2010
Deadline
15.06.2010
Von
Dr. Thomas Wilke

GEGENSTAND
Performativität, Medialität und Populäre Kulturen sind einerseits Begriffe mit eigenen Diskurstraditionen, die häufig in Bezug aufeinander verwendet werden, dabei aber in den Relationen zumeist hinreichend unklar bleiben. Andererseits ist im Feld pop- und
medienkulturwissenschaftlicher Forschung kaum systematisch über die Performativität und Medialität Populärer Kulturen nachgedacht worden – bedingt mit Ausnahme der vielfältigen Ansätze der Cultural Studies.

Die für die Medien- und Kulturwissenschaften in den 1990er Jahren nachhaltige Diagnose eines performative turn, hat in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Populären Kulturen nur wenig Resonanz gefunden, wie etwa ein Blick in das Handbuch Populäre Kultur (Hügel 2003a) bestätigt. Hier findet sich kein eigenständiger Eintrag zu den Stichworten Performativität und Medialität; ebenso wenig wird im Artikel Medien das Performative Populärer Kulturen als eigensinnige Kategorie heraus gestellt. Das Gleiche gilt auch für die Bände „Mediale Performanzen: Historische Konzepte und Perspektiven“ (Eming/Lehmann/Maasen 2002) und „Performativität und Medialität“ (Krämer 2004), die zwar das Verhältnis von Performativität und Medialität in systematischer wie in historischer Absicht untersuchen, einen Zusammenhang zu Populären Kulturen jedoch kaum herstellen.

Im Kontext umfassender Forschungsprojekte, wie z.B. dem SFB Kulturen des Performativen (FU Berlin), spielt eine grundlegende Reflexion auf Populäre Kulturen ebenfalls keine große Rolle. Diesem Mangel zu begegnen, ist Zielsetzung der Tagung „Performativität und Medialität Populärer Kulturen“. Ausgangspunkt hierbei ist die These, dass die Bedeutung von Populären Kulturen nicht ohne einen Bezug auf Performativität und Medialität begriffen werden kann. Mit diesem Bezug bilden sich zugleich Kulturen des Performativen und Medialen heraus.

Unter Performativität verstehen wir, in Anlehnung an die Arbeiten von Erika Fischer-Lichte (u.a. 2002, 2004; vgl. zu Theorien, Kulturen und Praktiken des Performativen auch Fischer-Lichte/Kolesch 1998; Fischer-Lichte/Wulf 2001, 2004), grundsätzlich den Ereignis-, Aufführungs- und Vollzugscharakter von (Populären) Kulturen. Performative Handlungen bringen zudem einerseits soziale, kulturelle und individuelle Wirklichkeiten hervor, können diese aber auch andererseits verändern bzw. transformieren.

„Performative Prozesse sind“, hier schließen wir uns der Grundlegung des SFB Kulturen des Performativen an, „Transformationsprozesse, die prinzipiell nicht vollkommen planbar, kontrollierbar und verfügbar sind. Sie eröffnen Spiel- und Freiräume, immer wieder taucht in ihnen Ungeplantes, Nicht-Vorhersagbares auf, das den Prozess der Transformation wesentlich mitbestimmt. Intention und Kontingenz, Planung und Emergenz sind in ihnen untrennbar miteinander verbunden“.
Pop, Pop-Kultur und Populäre Kultur dürfen nicht, wie Marcus S. Kleiner (2008: 14f.) hervor hebt, synonym und singulär verwendet werden, eben so wenig, wie Populäre Kultur mit Gesamtkultur gleichgesetzt werden kann. Pop und Pop-Kultur sind Bestandteile Populärer Kultur. Unter Pop versteht Kleiner im Wesentlichen einen weit gefassten musikzentrierten Traditionsbegriff – der ab Mitte der 1950er Jahre, ausgehend vom Rock’n’Roll, seine spezifische Bedeutung erhält. Hiervon beginnend kann Pop, wie Christian Höller (2001: 12) betont, als offenes Feld bzw. als spezifische kulturelle Formation beschrieben werden, „die ein labiles Konglomerat aus Musik, Kleidung, Filmen, Medien, Konzernen, Ideologien, Politiken, Szenebildungen usw. darstellt. Und so diffuse Inhalte wie Jungsein, Marginalisiertsein, alltägliche Machtkämpfe […], schließlich die ganze Palette von Pubertäts-, Jugend- und Lebensbewältigung bearbeitet“.
Mit Pop-Kultur bezeichnet Kleiner (ebd.: 15) ausgehend hiervon alle Formen der kulturellen Vergemeinschaftung, die aus diesem Pop-Verständnis resultieren und formuliert programmatisch: „Als es Pop und Pop-Kultur noch nicht gab, gab es schon die Populäre Kultur.“
Populäre Kultur kann, um eine Überlegung von Christoph Jacke (2004: 21; vgl. Jacke 2009) aufzugreifen, „insgesamt als der kommerzialisierte, gesellschaftliche Bereich verstanden werden, der Themen industriell produziert, massenmedial vermittelt und durch zahlenmäßig überwiegende Bevölkerungsgruppen mit Vergnügen (als Informations- und Unterhaltungsangebote) genutzt und weiterverarbeitet wird.“

Populäre Kultur wird hierbei wesentlich, in Anlehnung an Hans Otto Hügel (2003c: 74), als Unterhaltungskultur aufgefasst, wobei zwischen Unterhaltung als Kommunikationsweise, als Funktion der Massenmedien, als soziale Institution und als ästhetische Kategorie unterschieden werden kann.

Die Epoche des Populären beginnt für Hügel (ebd.: 3, 6) ab Mitte des 19. Jahrhunderts, ist ein kultureller Zusammenhang moderner Gesellschaften und wird durch die Verbürgerlichung der Unterhaltung bestimmt: „Generell hatte die traditionale, die vormoderne Gesellschaft keine Möglichkeit, Populäre Kultur auszubilden. Solange feste soziale, kirchliche und ständische Ordnungen vorherrschen, geht den kulturellen Phänomenen jener Deutungsspielraum ab, der für Populäre Kultur charakteristisch ist. […] Ohne Rezeptionsfreiheit, verstanden sowohl als Freiheit, das zu Rezipierende auszuwählen, als auch den Bedeutungs- und Anwendungsprozess mitzubestimmen – also ohne ein bestimmtes Maß an bürgerlichen Freiheiten –, gibt es keine Populäre Kultur.“

Die für ein eigensinniges Verständnis von Populären Kulturen geeigneten Konzepte von Medialität und Performativität müssen aus unserer Perspektive die grundsätzliche Vermittlung zwischen einem sozial-anthropologischen sowie technischen Medienbegriff her(aus)stellen, also gerade nicht, wie es häufig der Fall ist, diese Vermittlung ausschließen. Vor diesem Hintergrund geht es der Tagung um die Beantwortung der Frage, inwieweit sich in Populären Kulturen Aspekte, Prozesse, Transformationen, Manifestationen von Medialität und/oder Performativität niederschlagen, beobachten und beschreiben lassen, sie Populäre Kulturen mit formen bzw. allererst durch Erscheinungen Populärer Kulturen eine spezifische Bedeutung erhalten. Die Aufgabe besteht darin, nicht einfach bereits etablierte Konzepte zur Performativität und Medialität in ihrer Tragkraft am Beispiel Populärer Kulturen zu veranschaulichen, sondern im Gegenteil, gegenstandsorientierte Konzepte von Performativität und Medialität durch ein close reading Populärer Kulturen zu erarbeiten. Mit der Tagung „Performativität und Medialität Populärer Kulturen“ soll darüber hinaus zudem ein Beitrag zum grundlegenden Arbeitsziel der GfM-AG „Populärkultur und Medien“ geleistet werden: eine systematische Konturierung und eine grundlegende Verankerung der Populärkulturforschung im Kontext der Medien- und Kulturwissenschaften.

Eming, Jutta/Lehmann, Annette Jael/Maassen, Irmgard (Hrsg.) (2002): Mediale Performanzen: Historische Konzepte und Perspektiven. Freiburg.
Fischer-Lichte, Erika (2002): Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Wege zu einer performativen Kultur. In: Wirth, Uwe (Hrsg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt/M., 277-300.
Fischer-Lichte, Erika (2004): Ästhetik des Performativen. Frankfurt/M.
Fischer-Lichte, Erika/Kolesch (Hrsg.) (1998): Kulturen des Performativen. Sonderheft der Zeitschrift Paragrana. Zeitschrift für Historische Anthropologie. Berlin.
Fischer-Lichte, Erika/Wulf, Christoph (Hrsg.) (2001): Theorien des Performativen. Sonderheft der Zeitschrift Paragrana. Zeitschrift für Historische Anthropologie. Berlin.
Fischer-Lichte, Erika/Wulf, Christoph (Hrsg.) (2001): Praktiken des Performativen. Sonderheft der Zeitschrift Paragrana. Zeitschrift für Historische Anthropologie. Berlin.
Höller, Christian (2001b): Pop Unlimited? Imagetransfers und Bildproduktion in der aktuellen Popkultur. In: Ders. (Hrsg.): Pop Unlimited? Imagetransfers in der aktuellen Popkultur. Wien, 11-27.
Hügel, Hans-Otto (Hrsg.) (2003a): Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen.
Stuttgart/Weimar.
Hügel, Hans-Otto (2003b): Einführung. In: Ders. (Hrsg.): Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen. Stuttgart/Weimar, 1-22.
Hügel, Hans-Otto (2003c): Unterhaltung. In: Ders. (Hrsg.): Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen. Stuttgart/Weimar, 73-82.
Jacke, Christoph (2004): Medien(sub)kultur. Geschichten, Diskurse, Entwürfe. Bielefeld.
Jacke, Christoph (2009): Einführung Populäre Musik und Medien. Münster.
Kleiner, Marcus S. (2008): Pop fight Pop. Leben und Theorie im Widerstreit. In: Matejovski, Dirk/Kleiner, Marcus S./Stahl, Enno (Hrsg.): Pop in R(h)einkultur. Oberflächenästhetik und Alltagskultur in der Region. Essen, 11-42.
Krämer, Sybille (Hrsg.) (2004): Performativität und Medialität. München.

Die Tagung stellt eine Kooperation der AG Populärkultur und Medien (GfM) und des Departements für Medien- und Kommunikationswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg dar.

Programm

THEMENSCHWERPUNKTE
Die Tagung fokussiert sich auf drei Leitthemen:

SEKTION 1 - THEORIEN
- Schwerpunkte könnten u.a. sein: Theorien zur Performativität und/oder Medialität hinsichtlich deren Bedeutung für die Populärkulturforschung; Interdependenzen und Differenzen von Konzepten wie Performativität, Inszenierung, Intermedialität, Materialität usw. im Hinblick auf Populäre Kulturen oder Grenzen und Möglichkeiten der Untersuchung Populärer Kulturen unter den Aspekten Performativität und Medialität.

SEKTION 2 - ÄSTHETIKEN
- Schwerpunkte könnten u.a. sein: Populäre Kulturen im Kontext der Konzeption einer Ästhetik des Digitalen; die Inszenierung und Präsenz von Körperlichkeit und Konzepte, die Mode oder Raum betreffen.

SEKTION 3 - PRAKTIKEN
- Schwerpunkte könnten u.a. sein: popmusikalische Praxen; die Stimme; mediale Konvergenzen/Divergenzen im Kontext Analog/Digital; Schnittstellen des Wandels; Gesten des Ein- und Ausdrucks.

AUFBAU
Für die zweitägige Tagung sind jeweils fünf Vorträge geplant, die durch zwei Keynotes gerahmt werden. Eine Podiumsdiskussion zum Verhältnis von Theorie (Wissenschaft) und Praxis (Musik-, Kultur- und Medienwirtschaft) wird am 03. Dezember stattfinden.

ABSTRACTS
Die Einreichung der Abstracts muss bis zum 15. Juni in elektronischer Form an beide Veranstalter erfolgen (max. 1500 Zeichen):
Dr. Marcus S. Kleiner - kleiner@medienwissenschaft.uni-siegen.de
Dr. Thomas Wilke - thomas.wilke@medienkomm.uni-halle.de
Bitte ordnen Sie Ihr Abstract einem der drei Themenschwerpunkte zu und machen Sie deutlich, ob es sich bei Ihrem projektierten Themenvorschlag um einen Originalbeitrag handelt. Eine Publikation der Beiträge ist geplant. Die Rückmeldung über Annahme und Ablehnung der Abstracts erfolgt bis spätestens zum 15. August.

Kontakt

Thomas Wilke

Uni Halle; Dept. für Medien- & Kommunikationswissenschaften
Mansfelder Str. 56; 06108 Halle/Saale

thomas.wilke@medienkomm.uni-halle.de

http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/v/sfb-kulturen-des-performativen/index.html