XI. Internationale Sommerschule „Russland im Spannungsfeld zwischen Europa und seinen imperialen Peripherien“

XI. Internationale Sommerschule „Russland im Spannungsfeld zwischen Europa und seinen imperialen Peripherien“

Veranstalter
Historische Fakultät der Staatlichen Universität Voronezh; in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität zu Berlin und dem GoEast-Programm des DAAD
Veranstaltungsort
Ort
Voronezh
Land
Russian Federation
Vom - Bis
19.08.2015 - 08.09.2015
Deadline
08.05.2015
Von
Rodrigo von Horn

Bereits zum elften Mal veranstaltet die Staatliche Universität Voronezh in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität zu Berlin eine Internationale Sommerschule mit dem Thema “Russland im Spannungsfeld zwischen Europa und seinen imperialen Peripherien”. Die Sommerschule wird über das GoEast-Programm des DAAD gefördert.

Das Bild von Russland im Westen wird noch immer von den Hauptstädten Moskau und St.
Petersburg geprägt. Beide gelten bis heute als die Zentren eines jeweils imperialen Staates, der über ebenso heterogene, wie weit reichende Peripherien zu herrscht. Wie aber kann man sich ein Imperium vorstellen, dessen Grenzen sich jahrhundertelang in ständigem Wandel befanden, und das immer wieder neue Strategien entwickeln musste, um riesige Territorien zu regieren und die Loyalität fremder Ethnien zu gewinnen? Was bedeutete das für die Eliten in Moskau und St. Petersburg, die das Reich immer wieder umdeuteten und neu verorteten? Und was hatten eigentlich diejenigen, die beherrscht werden sollten, dazu zu sagen? Was bedeutete es, „an der Peripherie“ zu sein? Und was können wir aus der Geschichte des Imperiums über das heutige Russland lernen?

Programm

Die Sommerschule der Staatlichen Universität Voronezh umfasst einen Intensivsprachkurs (getrennte Gruppen für AnfängerInnen und Fortgeschrittene), Seminare und Vorträge zum Thema „Russland im Spannungsfeld zwischen Europa und seinen imperialen Peripherien“ sowie ein Exkursionsprogramm. Den Schwerpunkt der Sommerschule bildet der Fachkurs, der aus zwei Seminaren besteht. An Werktagen findet der Sprachunterricht vormittags statt. Der Nachmittag bleibt je einer Seminarsitzung des Fachkurses und einem Vortrag vorbehalten. Die Wochenenden sind dem Exkursionsprogramm gewidmet.

Sprachkurs: Nach der Anreise in Voronezh erfolgt die Einteilung der TeilnehmerInnen
gemäß ihrer Sprachkenntnisse in kleine Gruppen. Als DozentInnen fungieren
ausgewiesene und im Umgang mit Sprachunkundigen erfahrene SprachlehrerInnen. Der
Sprachunterricht nimmt täglich 2-3 Stunden in Anspruch.

Fachkurs: Russland war ein Imperium, das aus der Peripherie entstand.
Jahrhundertelang existierten die „Länder der Rus'“ als verstreute und miteinander
konkurrierende Stadtstaaten, die in ihrer Existenz von der ordnenden Hand großer
Machtzentren abhängig waren. Dies änderte sich erst im 16. Jahrhundert, als der
Moskauer Fürst Iwan IV. nicht nur sich selbst die Macht des Großfürsten der Goldenen
Horde zusprach, sondern zugleich das Erbe des Byzantinischen Reiches für Moskau
beanspruchte. Das Moskauer Reich wurde dadurch zum Imperium, dass es sich von
Peripherie zu Zentrum umdeutete und die daraus abgeleitete imperiale Mission über die
nächsten Jahrhunderte nicht nur halten, sondern auch ausbauen konnte.

Der Name „Imperium“ wurde Russland allerdings erst verliehen, als der junge Zar Peter
1703 ein neue Hauptstadt bauen ließ und sein Reich nach dem Vorbild der absolutistischen Königreiche Westeuropas reformieren wollte. Das Imperium stand nun für
ein ehrgeiziges politisches Programm, durch das Russland „modernisiert“ werden sollte. In
den Eliten des Reiches entstand daraus das intellektuelle Bedürfnis, Russland immer
wieder, in Abhängigkeit von westlichen Vorbildern, als „rückständig“ wahrzunehmen und
Wege zu propagieren, wie diese Rückständigkeit zu überwinden sei. Die Verortungen
Russlands schwankten dabei zwischen der vorbehaltlosen Unterwerfung unter das
westliche Vorbild („Westler“) und dem konsequenten Beharren auf kultureller
Eigenständigkeit („Slawophile“).

Nun wird dabei allerdings häufig übersehen, dass diese Diskussionen und die daraus
entwickelten Lösungswege weite Teile des Landes gar nicht erreichten. Die Bemühungen
des Zentrums, die imperiale Weite zu beherrschen und in ihrem Sinne zu „modernisieren“,
liefen oftmals ins Leere oder vollzogen sich nicht so, wie sich das die Minister und
Beamten in Moskau und St. Petersburg vorstellten. Dadurch entstanden Freiräume
unterschiedlichen Ausmaßes, die wiederum auf das Zentrum zurückwirkten und von
diesem Reaktionen einforderten. Diese Reaktionen konnten repressiv und brutal sein, sie
konnten aber auch einen ausgeprägten Pragmatismus widerspiegeln und zu verblüffenden
Lösungen führen, wenn es darum ging, die Loyalität der verschiedenen Regionen zu
sichern. Es zeigte sich dabei, dass der russländische Staat immer wieder von seinen
Modernisierungsprämissen abweichen konnte, wenn es darum ging, die Stabilität seiner
Herrschaft in den Peripherien zu sichern.

Im Fachkurs soll das russische Staatskonstrukt in Vergangenheit und Gegenwart
untersucht werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Bemühungen russischer
Intellektueller, Russland in der Welt und mit Blick auf „den Westen“ zu verorten, sowie der
Interaktion zwischen Zentrum und Peripherie. Der Fachkurs besteht aus zwei Seminaren,
die auf einander aufbauen. Um diese gruppieren sich Vorträge, die von führenden
HistorikerInnen und PolitologInnen aus Voronezh und anderen Städten gehalten werden.
Auch PolitikerInnen und VertreterInnen (zivil-)gesellschaftlicher Initiativen aus der Region
sollen zu Wort kommen. Die TeilnehmerInnen werden vorab mit einer Literaturliste
versorgt, die die gezielte Vorbereitung auf die Sommerschule erleichtern soll. Für beide
Seminare wird ihnen ein Reader zur Verfügung gestellt.

Seminar 1 „Russland und der Westen: Imperiale Ambitionen, Konkurrenz und
Anziehung“ – Leitung: Dr. Sergej G. Allenov: Im Mittelpunkt des Seminars steht das
widerspruchsvolle Verhältnis Russlands zum - nicht immer konkretisierten - Westen.
Dieser stand den imperialen Bestrebungen Russlands im Wege, und es konkurrierte mit
ihm in zahlreichen Bereichen. Gleichzeitig übte der Westen, vor allem Westeuropa, auf
Russland eine starke Anziehungskraft aus, was auch umgekehrt zutraf. Im Seminar wird
nach den wechselseitigen Einflüssen seit dem Mittelalter, nach der Wahrnehmung des
Westens im gesellschaftlichen Denken in Russland im 19. und 20. Jahrhundert, nach dem
Wechselverhältnis zwischen der „Europäisierung Russlands“ und der „Russifizierung“
Europas sowie nach der Wahrnehmung des jeweils Anderen in der Gegenwart gefragt. Im
Zentrum stehen ideen- und kulturgeschichtliche Fragestellungen.

Seminar 2 „Staat und Peripherien“ – Leitung: Rodrigo von Horn, M.A.: Schwerpunkt
dieses Seminars ist ein historiographischer Blick auf die imperialen Herrschaftskonzepte
des Russichen Reiches und der Sowjetunion sowie die in ihnen praktizierte Interaktion
zwischen Zentrum und Peripherie. Ausgangsfragen sind, wie Herrschaft vom Zentrum aus
ergriffen und ausgeübt, wie diese jenseits von Moskau und Petersburg angenommen oder
abgelehnt wurde, und welche Konsequenzen sich daraus in den Regionen, im Zentrum
und letztlich im gesamten Imperium ergaben. Im Rahmen des Seminars sollen Fragen
nach „dem Wesen des russischen Staates“, nach der Bedeutung von Regionen und
Peripherien in der russischen Geschichte und Gegenwart und nach historisch bedingten
Problemen des heutigen Staates und der Gesellschaft diskutiert werden.

Vortragsprogramm: Im Rahmen des Vortragsprogramms halten ausgewiesene
WissenschaftlerInnen Vorträge zu verschiedenen Aspekten des Themas der
Sommerschule. Insbesondere geht es um die Geschichte des imperialen Denkens in
Russland, um Geschichte und Gegenwart des Zentralen Schwarzerdegebietes, um das
Spannungsfeld zwischen dem Machtzentrum Moskau und den russischen Regionen im
gegenwärtigen Transformationsprozess sowie um die Perspektiven für die Gesellschaft.
Für weitere Vorträge sollen PolitikerInnen und Vertreter der regional aktiven
gesellschaftlichen Gruppen als ReferentInnen gewonnen werden. Außerdem werden die
Studierenden mit Problemen und Besonderheiten der russischen Wissenschafts- und
Studienkultur vertraut gemacht.

Exkursionsprogramm: Das Exkursions- und Kulturprogramm umfasst neben einer
Stadtführung durch Voronezh auch diverse Ausflugsziele im zentralen Schwarzerdegebiet,
die intensive Einblicke in die Geschichte und Landschaft der Region ermöglichen und die
verschiedenen Facetten des gesellschaftlichen Lebens im heutigen Russland erfahrbar
machen. Zum festen Programm der Sommerschule gehören beispielsweise das Kloster
von Zadonsk, ein Zentrum der russisch-orthodoxen Kirche, die am Don gelegene Stadt
Pavlovsk, deren Gründung untrennbar mit dem Flottenbau Peters I. verbunden ist, sowie
ein Besuch des Naturschutzgebietes in Divnogor'e. Ferner sind Exkursionen zu
verschiedenen Gedenkorten geplanten, die die öffentliche Auseinandersetzung mit dem
Erbe des Stalinismus und des Zweiten Weltkrieges in der Region widerspiegeln.

Kontakt

Rodrigo von Horn

Staatliche Universität Voronezh, Historische Fakultät, Universitetskaja pl. 1, 394006 Voronezh / Rus

r.vonhorn@gmail.com

http://www.vsu.ru/intschule/xi_summer_school.pdf
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung