„Naturgetreue Objekte“? Moulagen und Modelle im Spannungsfeld von Wissenschaft und Ästhetik

„Naturgetreue Objekte“? Moulagen und Modelle im Spannungsfeld von Wissenschaft und Ästhetik

Veranstalter
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, in Kooperation mit dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité
Veranstaltungsort
Medizinhistorisches Museum Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52, 20246 Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.03.2016 - 05.03.2016
Deadline
31.10.2015
Von
Henrik Eßler

Zum Thema

Als medizinische Lehr- und Forschungsobjekte, aber auch als Exponate populärwissenschaftlicher Ausstellungen haben Moulagen in jüngster Zeit verstärkt das Interesse der kultur- und wissenschaftshistorischen Forschung geweckt. Moulagen (frz. mouler - etw. abformen) sind Nachbildungen von Krankheitsbildern auf dem Körper. Im 19. Jahrhundert etablierte sich diese Objektgattung insbesondere im neu konstituierten Spezialfach der Dermatologie. 1 Im Kontext einer „hygienischen Volksaufklärung“ erlangten sie z.B. in Wanderausstellungen im 20. Jahrhundert gar gesellschaftspolitische Bedeutung.

Auf Gipsabdrücken realer Patientinnen und Patienten beruhend, wird Moulagen ein „Zwitter-Status“ zugeschrieben: Als „naturgetreues“ Abbild repräsentieren sie das Individuum, als Lehr- und Forschungsmodell das „Charakteristische“ einer Krankheit. 2 Nicht selten von Künstlern gefertigt, erlebten diese Objekte ihre Blütezeit ausgerechnet in eben jener Epoche der Wissenschaft, die eigentlich dem mechanischen, scheinbar objektiven Bild gehörte.

Im Rahmen des Forschungsprojektes „Naturgetreue Objekte“ im Spannungsfeld zeitgenössischer medizinischer Wissenschaft und Repräsentationsformen, knüpft die Tagung thematisch an der vorangegangenen Konferenz „Wachsmoulagen als Kulturgut. Erforschen, Erhalten und Restaurieren" 2009 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden an. 3 Im Vordergrund stehen Fragen nach der zeitgenössisch-ästhetischen Kontextualisierung der Moulage sowie ihrer jeweiligen Bedeutung aus historisch-epistemologischer Sicht.

Die interdisziplinär ausgerichtete Konferenz stellt das Objekt Moulage als aktuelles Lehrmodell, kulturhistorisches Artefakt und museales Exponat in den Mittelpunkt. Eingeladen sind Forscher/innen aus der Medizin, der Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte ebenso wie Museumsfachleute, -pädagog/innen und Restaurator/innen.

1 Einen Überblick zur Geschichte, Technik und Verbreitung der medizinischen Wachsmoulage liefert Thomas Schnalke: Diseases in wax. History of the medical moulage. Chicago 1995.
2 Vgl. Thomas Schnalke, Navena Widulin: Zwischen Modell und Porträt. Zum Status der Moulage, in: David Ludwig, Cornelia Weber, Oliver Zauzig (Hg.): Das materielle Modell. Objektgeschichten aus der wissenschaftlichen Praxis, Paderborn 2014, S. 261-270 sowie Victoria Asschenfeldt, Antje Zare: Die Sammlung als Modell. Dermatologische Wachsmoulagen als Forschungs- und Lehrinfrastruktur, in: Stephan Faust, Kerstin Poehls (Hg.): Sammeln. Geschichte und Gegenwart einer alltäglichen, musealen und wissenschaftlichen Praxis, Hamburger Journal für Kulturanthropologie 1, 2015 (eingereicht). Zum Begriff der „Naturtreue“ und des „Charakteristischen“ vgl. grundlegend Lorraine Daston, Peter Galison: Das Bild der Objektivität, in: Peter Geimer (Hg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie. Frankfurt a. M. 2002:, S. 29-99.
3 Vgl. hierzu die Publikation von Susanne Roeßiger, Sandra Mühlenberend, Johanna Lang (Hg.): Körper in Wachs. Moulagen in Forschung und Restaurierung. Dresden 2010.

Programm

Geplante Sektionen

Ästhetik & Moulage
Ausgehend von den Fragestellungen des Rahmen gebenden Forschungsprojektes wird die Moulage als ästhetisches Objekt betrachtet. Die Vorträge widmen sich den Gestaltungsformen der Moulage in Beziehung zu ihrem jeweiligen kulturellen Kontext, erörtern Interpretationsmöglichkeiten aus kunsthistorischer Perspektive bzw. im Rahmen einer materiellen Kulturforschung. Welche maßgeblichen künstlerischen Einflüsse können ausgemacht werden? Lassen sich zeitgenössische Körperbilder ausmachen? Ist eine politisch-ikonographische Analyse von Moulagen möglich?

Moulage und Modell als epistemisches Objekt
Im Rahmen der Sektion wird der Status der Moulage, verstanden als „epistemisches Objekt“ nach Hans-Jörg Rheinberger, und ihr Potenzial aus wissenschaftshistorischer Perspektive diskutiert: Welchen Anteil hat die Darstellung von Krankheiten in der Moulage an der Generierung medizinischen Wissens? Welchen Einfluss haben die technischen Aspekte der Moulagenfertigung auf ihre Interpretation (im Vergleich etwa mit Zeichnung, Aquarell, Fotografie)? Welche Aspekte von Wissenstransfer lassen sich an Moulagen festmachen? Welche Rolle spielten die jeweiligen Akteure (Ärzte, Patienten, Moulagenbildner)?

Moulagen und Modelle in der Medizingeschichte
Die medizinhistorische Perspektive betrachtet die Moulage als akademisches Lehrmittel, fragt aber etwa auch nach dem repräsentativen Charakter von Moulagensammlungen für die sich etablierende dermatologische Fachdisziplin. Welche Rolle spielten Moulagen in der akademischen Medizin, verglichen mit anderen Wachsmodellen und Visualisierungs-techniken? Welche Akteure und Institutionen förderten oder behinderten die Einführung und Nutzung von Moulagen in der Medizin?

Moulagen in Bildung, Vermittlung und Lehre
An vielen Standorten sind Moulagensammlungen heute aus den Zuständigkeitsbereichen der Kliniken herausgelöst worden und in die Bestände von Museen oder zentralen Kustodien übergegangen. Im Rahmen der Sektion werden Möglichkeiten erörtert und diskutiert, das vielfältige Potenzial der Moulagen weiterhin zu nutzen. Dabei soll die dermatologische Lehre ebenso thematisiert werden wie der Einsatz als museumspädagogisches Objekt oder Ausstellungsexponat. Zu fragen wäre hier auch, welche konservatorische und ethische Aspekte für diese in verschiedener Hinsicht besonders „sensiblen“ Objekte eine Rolle spielen.

Moulagen in der Öffentlichkeit
Wie die Untersuchungen des Forschungsprojektes erhärten konnten, waren Moulagen bereits frühzeitig auch öffentlich zugänglich: in privaten pathologisch-anatomischen Museen und Schulen als didaktisches Objekt, als Exponat in Ausstellungen zur Gesundheitsaufklärung, aber auch auf Jahrmärkten und Messen zur Befriedigung der Schaulust. Die Sektion fragt z.B. nach der wechselnden performativen Inszenierung der Objekte und ihrer Rezeption, verknüpft mit den jeweiligen kulturellen bzw. gesellschaftlichen Kontexten.

Sammeln, Bewahren, Restaurieren
Die fachgerechte Aufbewahrung und der jeweilige Umgang mit Moulagen stellt die Verantwortlichen von Moulagensammlungen stets vor große Herausforderungen. Ein Konflikt zwischen konservatorischen Zielen und der Nutzung in Lehre oder Ausstellung ist beinahe vorprogrammiert. Das Panel stellt ein Forum zur Diskussion dar, soll aber insbesondere auch Lösungsmöglichkeiten aufzeigen und neue Wege im Umgang mit Moulagen und der Erhaltung von Moulagen als kulturelles Erbe präsentieren. Darüber hinaus können Ansätze von Reproduktion und Digitalisierung vorgestellt und diskutiert werden.

Konferenzsprachen: deutsch und englisch

Für Referent/innen ist eine Erstattung der Kosten für Unterkunft und An-/Abreise möglich.

Reichen Sie Ihre Vortragsangebote (Abstracts max. 500 Wörter) bitte bis zum 31.10.2015 ein!

Wissenschaftliches Komitee:
Prof. Dr. Heinz-Peter Schmiedebach (Hamburg)
Prof. Dr. Thomas Schnalke (Berlin)
Dr. Victoria Asschenfeldt (Hamburg)
Henrik Eßler M.A. (Hamburg)

Kontakt

Henrik Eßler, M.A.
Tel. 040/7410-57225
Email: h.essler@uke.de

Dr. Victoria Asschenfeldt
Email: v.asschenfeldt@uke.de

http://www.uke.de/institute/medizinhistorisches-museum/index_105185.php