„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ – Was er dann erzählt und vor allem wie er es tut, sagt oftmals mehr über ihn selbst aus als über die besuchten Orte und Länder. Das klingt trivial, und doch hat es lange gebraucht, um Reiseliteratur in diesem Sinne zum Sprechen zu bringen. Zuvor vielfach als Steinbruch missbraucht, sind die unterschiedlichsten Zeugnisse des ebenso umfangreichen wie heterogenen Genres in den vergangenen Jahrzehnten vielfach neu gelesen und als Quelle zur Kultur- und zur Mentalitätsgeschichte ausgewertet worden. Dabei ist mit der kultur- und sozialhistorisch ausgerichteten Reiseforschung ein neuer, interdisziplinärer Forschungszweig der historischen Wissenschaften entstanden.
Die geplante Tagung möchte einen Schritt hinter diesen Ansatz zurücktreten bzw. mit diesem theoretischen Rüstzeug gewappnet danach fragen, wie Zeitgenossinnen und Zeitgenossen vergangener Jahrhunderte die alltäglichen Herausforderungen des Reisens gemeistert haben oder ob sie schier an ihnen verzweifelten. Es geht dabei um gleichermaßen Alltägliches wie Grundlegendes: um die Voraussetzungen, das rahmende Umfeld und im weiteren Sinne auch die „Realien des Reisens“, die von der Forschung bislang eher vernachlässigt wurden und denen für den Erfolg oder Misserfolg der Reise doch ungemein große Bedeutung zukommt.
Mögliche Themen sind z.B. die Reiseplanung und Reisevorbereitungen, die Logistik des Reisens und die Bewältigung bürokratischer und finanzieller Hürden, und natürlich auch der Alltag des Unterwegsseins: Fortbewegungsmittel und Gasthäuser, Orientierung und Verständigung unterwegs, Kommunikation und Nachrichtenübermittlung, Gefahren des Reisens, präventive Maßnahmen zum Schutz von Leib und Leben, Methoden der Aufzeichnung und Sammlung von Reiseerfahrung in Schrift und Bild sowie in Form von materiellen Zeugnissen.
Neben gedruckten Reiseberichten als klassische Zeugnisse des Reisens sowie unpublizierten Reisejournalen und Reisebriefen werden dabei auch andere Quellenzeugnisse zu berücksichtigen sein - Reiseinstruktionen, Reisehandbücher im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Geleitschreiben und Pässe, Reiserechnungen (die uns zum Teil ungemein präzise Einblicke in den Alltag der Reisenden eröffnen), Notiz- und Skizzenbücher, Souvenirs und vieles mehr.
Es wäre schön, wenn wir das zugegeben weite Feld konzeptionell ausloten und mit Blick auf die vielfältige Quellenüberlieferung Anregungen sammeln und weitergeben könnten. In diesem Sinn dürften auch vermeintlich bekannte Reisende noch für Überraschungen gut sein. Insofern dürfte sich der „Schritt zurück“ am Ende vielleicht sogar als eine produktive Annäherung an ganz zentrale Aspekte des Gegenstands entpuppen. So ist es zumindest intendiert.