Sammelband: Das Geschlecht der Menschenrechte von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart

Sammelband: Das Geschlecht der Menschenrechte von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart

Veranstalter
Roman Birke, Carola Sachse (beide Universität Wien, Institut für Zeitgeschichte)
Veranstaltungsort
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
10.07.2016 -
Deadline
10.07.2016
Von
Roman Birke

///english version below///

Sammelband:
Das Geschlecht der Menschenrechte
von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart

Call for Articles

Historisierung der modernen Menschenrechte

Historische Menschenrechtsforschung prosperiert seit einigen Jahren als Feld der Geschichtswissenschaft. In einer Vielzahl von Beiträgen wurden grundlegende Fragen zu klären versucht, insbesondere solche nach der historischen Periodisierung und Kontextualisierung von Menschenrechtsdiskursen, -kampagnen und -kodifizierungen im 20. Jahrhundert. In einigen Aspekten hat sich ein weitgehender Konsens herausgebildet: Erstens sind Menschenrechte kein überzeitliches und in sich juristisch oder philosophisch kohärentes Phänomen, sondern wandelbare und mitnichten widerspruchsfreie politische Konzepte von handelnden Personen, Gruppen und Institutionen. Zweitens unterscheiden sich das nordamerikanische und westeuropäische Verständnis der Menschenrechte im späten 18. Jahrhundert (Bill of Rights, Déclaration des droits de l'homme et du citoyen) und dasjenige, das sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen eingeschrieben hat, markant. Während die frühen revolutionären Deklarationen das Verhältnis zwischen den Staaten und ihren Bürgern zu regeln versuchten, postulierte die Deklaration von 1948 die supranationale, universale Geltung grundlegender Freiheits- und Sicherheitsansprüche aller Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Drittens gelten die 1970er Jahre als Phase des Durchbruchs dieses universalen Verständnisses der Menschenrechte (Bedeutungsgewinn der Menschenrechte für oppositionelle Bewegungen und internationale Organisationen wie Amnesty International, Menschenrechte als Leitmotiv der US-Außenpolitik unter Jimmy Carter, Schlüsselbegriff im Kalten Krieg, insb. für die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa).

Geschlechtergeschichte der Menschenrechte

Wie die Arbeiten von Lynn Hunt, Joan Scott und anderen gezeigt haben, wurden die frühneuzeitlichen Bürger- und Menschenrechtskonzepte von Vorstellungen über das Geschlechterverhältnis ebenso geformt, wie sie diese gestalteten. Dies gilt, wie u.a. Jean Quataert gezeigt hat, für die späteren Konzepte universaler Menschenrechte in anderer, aber nicht weniger prägender Weise. Hier jedoch tut sich eine noch kaum bearbeitete Leerstelle vor allem der zeit- und gegenwartshistorischen Menschenrechtsforschung auf.

Der Arbeitsbereich „Wissen – Macht – Geschlecht“ (Leitung: Univ.-Prof. Dr. Carola Sachse) am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien beschäftigt sich seit längerem mit der Geschlechtergeschichte der Menschenrechte (vgl. Carola Sachse, Atina Grossman, Hg.: „Human Rights, Utopias, and Gender in Twentieth-Century Europe“, Central European History 44/1, 2011; Carola Sachse: „Leerstelle: Geschlecht. Zur Kritik der neueren zeithistorischen Menschenrechtsforschung “, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, 25/1, 2014). Im Anschluss an die an der Universität Wien abgehaltenen Ring-Vorlesung „Das Geschlecht der Menschenrechte von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart“ im Sommer 2015 (http://gender-humanrights.univie.ac.at) bereiten wir für 2017 die Veröffentlichung eines Sammelbandes vor.

Der Sammelband soll Beiträge versammeln, die aus einer dezidiert geschlechterhistorischen Perspektive Nachfragen an die zentralen Thesen der neueren historischen Menschenrechtsforschung stellen. Ein zentraler Ausgangspunkt ist dabei die Tatsache, dass Menschenrechte sowohl als Rechte von Individuen, als auch als Rechte von Familien, nationalen, ethnischen oder kulturellen Gruppen eingefordert werden und verfasst sind. Dieses latente Spannungsverhältnis von individuellen und kollektiven Menschenrechten manifestiert sich vor allem, aber nicht nur am Status von Frauen: Als Menschen mag ihnen Gleichberechtigung zuerkannt werden; als Mitglieder von Familien und anderen Kollektiven sind sie jedoch zumeist in nicht-egalitäre und häufig benachteiligende Machtstrukturen eingebunden, die ihrerseits durch kollektive, kulturelle, soziale oder religiöse Selbstbestimmungsrechte legitimiert werden. Besonderes Interesse haben wir an Beiträgen, die sich unter anderem mit folgenden Fragen beschäftigen:

- Welche implizite oder explizite Rolle spielte die Kategorie Geschlecht in der Formulierung und Institutionalisierung von Menschenrechten in unterschiedlichen historischen Kontexten? Wie veränderte sich diese Rolle? Und in welcher Beziehung stand die Kategorie Geschlecht zu anderen Kategorien der Differenz wie „race“, „class“ oder sexueller Orientierung?

- Inwieweit und in welchen historischen Kontexten hat die Bezugnahme auf Menschenrechte die Chancen verbessert, geschlechterpolitische Forderungen durchzusetzen und damit Transformationsprozesse in Gang zu setzen? Konnten sich auch jene gesellschaftlichen/politischen Kräfte auf Menschenrechte beziehen, die bestehende Ordnungsstrukturen und Geschlechtervorstellungen verteidigen wollten?

- In welchem Verhältnis standen Nationalstaaten und internationale Institutionen? Unter welchen Bedingungen konnten internationale/europäische, der Durchsetzung der Menschenrechte verpflichtete Institutionen genutzt werden, um Frauenrechte bzw. weitergehende geschlechterpolitische Agenden auch im nationalstaatlichen Rahmen voranzutreiben?

- In vielen Menschenrechtsdeklarationen nach 1945 wurden sowohl Rechte für Individuen, als auch für Kollektive (Familien, Paare, kulturelle und religiöse Gruppen, Gewerkschaften etc.) definiert. Darüber hinaus beinhalten die meisten Deklarationen Artikel, die, wie etwa Artikel 29 in der UN Deklaration aus 1948, auf „Pflichten gegenüber der Gemeinschaft“ verweisen. In welcher Form und in welchen historischen Kontexten werden Spannungen zwischen diesen individuellen und kollektiven Rechtsverständnissen sichtbar? Welche Kollektive wurden zu einem Bezugspunkt in Diskurs und Rechtssetzung?

- Nicht immer formulierten soziale Bewegungen Forderungen nach Rechten für Frauen, Homosexuellen oder anderen Gruppen in der Sprache der universalen allgemeinen Menschenrechte. Wo und wann wurden menschenrechtliche oder aber sonderrechtliche resp. gruppenspezifische Begründungen gewählt? Welche politischen, kulturellen und rechtlichen Konsequenzen waren damit verbunden? Wie erfolgreich waren die gewählten Begründungsstrategien in ihren jeweiligen historischen Kontexten?

Zeitlicher und regionaler Rahmen

Der zeitliche Schwerpunkt des Bandes wird auf den menschenrechtlichen Diskursen nach 1945 liegen. Wir möchten aber auch ausdrücklich Beiträge einladen, die längerfristige Kontinuitäten aufzeigen oder Brüche markieren und die Frage stellen, ob aus geschlechterhistorischer Perspektive etablierte Periodisierungen bestätigt oder modifiziert werden müssen. Regional sollen sowohl westliche und östliche sowie postkoloniale Fallstudien vertreten sein, wobei vergleichende Studien besonders willkommen sind.

Form der Einreichungen

- Abstracts, max. 500 Wörter (Beschreibung des Untersuchungsbereichs, der Fragestellung, Methode und Quellen, auf die im Artikel zurückgegriffen werden)
- Kurzer CV mit den wichtigsten Publikationen (max. 10 Titel)

Zeitplan

- 10. Juli: Ende Einreichungsfrist
- 31. Juli: Bekanntgabe der ausgewählten Artikel
- 31. Jänner 2017: Abgabe Artikel

Sprache

Der Band wird auf Deutsch erscheinen. Übersetzungskosten für englische und ggf. auch anderssprachige Beiträge werden beantragt.

////////

Edited Volume:
Gender and Human Rights
From the Early Modern Period to the Present

Call for Articles

Historicising Modern Human Rights

The historical study of human rights has prospered as a field of history in recent years. There have been a multitude of contributions attempting to answer fundamental questions, especially in relation to the historical periodization and contextualization of human rights discourses, campaigns and codifications in the 20th century. In some aspects wide consensus has been achieved: Firstly, the subject of human rights is not a supratemporal phenomenon, judicially and philosophically coherent in itself, but is represented by changeable and at times contradictory political concepts of the acting individuals, groups and institutions. Secondly, the North American and Western European idea of human rights in the late 18th century (Bill of Rights, Déclaration des droits de l'homme et du citoyen) differs markedly from the concept written into the UN Universal Declaration of Human Rights at the end of World War II. While the early revolutionary declarations tried to establish a set of rules governing the relationship between states and their citizens, the declaration of 1948 postulated that the right to fundamental freedom and safety was universal for all people regardless of their nationality. Thirdly, the 1970s are seen as a breakthrough phase for this universal idea of human rights (increasing importance of human rights for oppositional movements and international organisations like Amnesty International, human rights as a guiding theme for US foreign policy during the Carter administration, a key term during the Cold War, especially at the Conference on Security and Co-operation in Europe).

A gender history of human rights

As the works by Lynn Hunt, Joan Scott and others have shown, early modern concepts of citizen and human rights were as much formed by ideas of gender relations as they shaped them. This is also true, as Jean Quataert and others have shown, in a different but equally significant way for later concepts of universal human rights. However, research on human rights in contemporary history is still showing a gap in this place.

The study group “Knowledge – Power – Gender” (guidance: Univ.-Prof. Dr. Carola Sachse) at the Institute of Contemporary History at the University of Vienna has been concerned with the gender history of human rights for some time (cp. Carola Sachse, Atina Grossman, Ed.: „Human Rights, Utopias, and Gender in Twentieth-Century Europe“, Central European History 44/1, 2011; Carola Sachse: „Leerstelle: Geschlecht. Zur Kritik der neueren zeithistorischen Menschenrechtsforschung “, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, 25/1, 2014). Following the lecture series „The Gender of Human Rights from the Early Modern Period to the Present” in the summer of 2015 at the University of Vienna (http://gender-humanrights.univie.ac.at) we are preparing the publication of an edited volume for 2017.

This volume is to collect contributions which, from the perspective of gender history, inquire into the central theses of recent research into the history of human rights. The fact that human rights are claimed and constituted as rights of individuals on the one hand as well as rights of families, national, ethnical or cultural groups on the other represents a central starting point. This latent tension between individual and collective human rights manifests itself primarily, if not only, in the status of women: As human beings they may be granted equality; as members of families and other collectives, however, they are mostly tied up in non-egalitarian and frequently disenfranchising power structures, which in their turn are legitimized through collective cultural, social or religious rights of self-determination. We are especially interested in contributions concerned, among others, with the following questions:

- Which implicit or explicit role did the category of gender play in the formulation und institutionalisation of human rights in different historical contexts? How did this role change? What was the relationship between the category of gender and other categories of difference like “race”, “class” or sexual orientation?

- To what extent and in which historical contexts did the reference to human rights improve the chances of putting through gender-political demands and thus spur on transformational processes? Were those social/political powers aiming to defend existing normative structures and gender concepts also able to refer to human rights?

- What was the relationship between national states and international institutions? Under which conditions could international/European institutions dedicated to the advancement of human rights also be used to promote women’s rights or gender-political agendas within the national framework?

- In many declarations of human rights after 1945, rights were defined for both individuals and collectives (families, couples, cultural and religious groups, trade unions etc.). In addition to that, most declarations contain articles (like Article 29 in the UN declaration of 1948) referring to “duties to the community”. In which forms and in which historical contexts do tensions between individual and collective concepts of law become visible? Which collectives became reference points in discourse and legislation?

- Social movements did not always formulate demands for the rights for women, homosexuals or other groups in the language of universal human rights. Where and when were the strategies employed in reasoning based on human rights? Where and when where these strategies based on privileges or even group specific characteristics? How successful were the strategies chosen in their respective historical contexts?

Temporal and regional framework

The chronological focus of the volume will be on human rights discourses after 1945. However, we would like to expressly invite contributions which present long-term continuities or highlight discontinuities and discuss whether established periodisation of human rights historiography has to be confirmed or modified when looking at it from a gender historical perspective. Contributions should include both Western, Eastern, and postcolonial case studies, with comparative studies being especially welcome.

Submission format

- Abstract, max. 500 words (outline of topic, questions, methods and sources used in the article)
- Short CV including the most relevant publications (max. 10 titles)

Schedule

- Jul 10, 2016: Deadline for submission
- Jul 31, 2016: Notification of acceptance
- Jan 31, 2017: Deadline for article submissions

Language

The volume will be published in German. We will apply for financing of translations from English or other languages.

Programm

Kontakt

Roman Birke

Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien, Spitalgasse 2-4 (Universitätscampus), Hof 1, Tür 1.13

roman.birke@univie.ac.at

http://www.univie.ac.at/zeitgeschichte/