Katholische Aufklärung in Europa und Nordamerika

Katholische Aufklärung in Europa und Nordamerika

Veranstalter
Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts / Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Veranstaltungsort
Fürstbischöfliches Schloss Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.09.2017 - 15.09.2017
Deadline
10.12.2016
Von
Prof. Dr. Jürgen Overhoff

Für lange Zeit galt es als ausgemacht, dass man die an Rationalität und freiheitlichem Denken orientierten Prinzipien der Aufklärung mit einer katholischen Glaubensfrömmigkeit würde schwerlich in Einklang bringen können: Bereits von den wirkmächtigsten Schriftstellern und Philosophen des 18. Jahrhunderts wurden Bedingungen und Potentiale einer genuin katholischen Aufklärung in sehr skeptischer oder sogar ablehnender Weise beurteilt – und vielfach wurde eine solche negative Einschätzung dann von Generation zu Generation weitergereicht. Auch die Aufklärungsforschung machte da bis weit ins 20. Jahrhundert keine Ausnahme. Doch nach den ersten Revisionsversuchen, die Notker Hammerstein (Aufklärung und katholisches Reich, 1977) und Elisabeth Kovács (Katholische Aufklärung und Josephinismus, 1979) ab den 1970er Jahren unternahmen, ist die Katholische Aufklärung vor allem dank der bahnbrechenden Studien von Harm Klueting (Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland, 1993) im letzten Vierteljahrhundert sukzessive als ernstzunehmender Gegenstand der Forschung anerkannt und gewürdigt worden.
In der vergangenen Dekade sind zudem zunehmend Studien durchgeführt worden, welche die Katholische Aufklärung als ein gesamteuropäisches Phänomen zu beschreiben versuchen (Michael Printy u.a.: A Companion to the Catholic Enlightenment in Europe, 2010). Noch ganz am Anfang befinden sich hingegen Forschungen mit dem ambitionierten Anspruch, die Katholische Aufklärung als eine weltweit wirksame Reformbewegung des 18. Jahrhunderts zu deuten. Eine zwar recht grobe, aber doch auch sehr anregende und weiterführende Kartographierung des möglichen globalen Forschungsfeldes zur Thematik wurde gerade erst von Ulrich L. Lehner vorgelegt (The Catholic Enlightenment. The Global History of a Forgotten Movement, 2016). Lehner weist hier vor allem Nordamerika und die jungen Vereinigten Staaten als die vielversprechendsten Gebiete einer aktualisierten Erforschung der Katholischen Aufklärung aus. In diesen Forschungskontext – mit seinen weit gefassten transnationalen Bezügen – fügt sich nun die DGEJ-Jahrestagung 2017 ein.
Die Tagung will insbesondere – wenn auch nicht ausschließlich – den transatlantischen Raum als einen die Kontinente übergreifenden, bedeutenden Wirkungskreis katholisch-aufklärerischer Bestrebungen erkunden. Denn es waren ja nicht zuletzt die britischen Kolonien Maryland und Pennsylvania, in denen aufgeklärte Katholiken, die sich aus Europa als Missionare, Lehrer oder Künstler nach Amerika aufgemacht hatten, mit großem Erfolg wirkten. Als dann 1776 die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet wurden, konnten aufgeklärte Katholiken dort noch während des ausgehenden 18. Jahrhunderts unter Beweis stellen, dass der von ihnen gelebte Katholizismus mit einem von den Grundsätzen der politischen Aufklärung geprägten republikanisch-demokratischen Staatswesen vollständig in Einklang zu bringen war. Dies blieb dann auch für das katholische Selbstverständnis in Europa nicht ohne Wirkung. Auch für den Münsteraner Premierminister Franz von Fürstenberg – der einer der bedeutendsten Repräsentanten einer originär Katholischen Aufklärung war – boten die jungen Vereinigten Staaten ein überaus anregendes Beobachtungsfeld; einige katholische Geistliche aus seinem unmittelbaren Umfeld standen mit den dortigen Kirchenvertretern gar in brieflichem Austausch.
Mit Blick auf diese Ausführungen verfolgt die Tagung im Wesentlichen drei Ziele: Zum einen soll die Untersuchung der Katholischen Aufklärung einmal mehr verdeutlichen, dass die Aufklärungsbewegung ein vielschichtiges Phänomen war und es eine idealtypische Aufklärung (z.B. protestantischer Lesart) nicht gab. Gerade wenn man aber trotz der gegebenen Vielfalt den wenigen Kernprinzipien der Aufklärung (wie Rationalität oder Toleranz) auf die Spur kommen will, ist es unerlässlich, möglichst viele Varianten dieser geistigen und sozialen Reformbewegung des 18. Jahrhunderts um ihrer selbst willen gut zu kennen, um dann ihre wesentlichen Inhalte von den regionalen Besonderheiten – oder eben konfessionellen Ausprägungen – trennen zu können. An der Erforschung der Katholischen Aufklärung sollten demnach nicht nur Katholiken interessiert sein, sondern immer auch Protestanten oder Konfessionslose und all die anderen, die ein vertieftes Verständnis erlangen möchten für das, was man als die kulturellen Signaturen des 18. Jahrhunderts, des Zeitalters der Aufklärung, bezeichnen könnte.
Zweitens ist es nicht minder bedeutsam, den immer auch gegebenen transnationalen Zusammenhang der Aufklärung nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn dass die Aufklärung in verschiedenen Varianten existierte, heißt ja nicht, dass ihre Vertreter nicht grundsätzlich davon überzeugt gewesen wären, an der Erstellung universal gültiger Regeln des Zusammenlebens und der Wahrheitsfindung zu arbeiten. Die Aufklärer verstanden sich durchaus als Mitglieder einer internationalen, miteinander korrespondierenden république des lettres, eines commonwealth of learning. Ihr international geführter Aufklärungsdiskurs wurde allerdings zwischen Europäern und Nordamerikanern in besonders intensiver Weise geführt. Auch Reformkatholiken und katholische Aufklärer, die das Prinzip der religiösen Toleranz vorbehaltlos anerkannten, erblickten auf dem nordamerikanischen Kontinent innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens der USA ganz neue Möglichkeiten der weltweiten Ausbreitung eines modernisierten Katholizismus. Als die führenden Protagonisten der Französischen Revolution das hoffnungsvolle Zusammenspiel von katholischer Frömmigkeit und Aufklärung in Europa radikal in Frage stellten oder gar sabotierten, boten die Vereinigten Staaten von Amerika, die aus einer gelungenen und vollendeten Revolution hervorgegangen waren, aufgeklärten Katholiken ganz hervorragende Wirkungsmöglichkeiten. So wurde im Revolutionsjahr 1789 das Erzbistum Baltimore als erstes katholisches Bistum in den USA errichtet. Es kann also die Katholische Aufklärung als internationales Phänomen nur dann besonders gut erforscht werden, wenn sie, wie es die Tagung vorsieht, als transatlantische Gegebenheit behandelt wird. Dennoch sind Beiträge, die außer Nordamerika und Europa auch Lateinamerika, China oder Indien als Wirkungsräume katholischer Aufklärer im Blick haben, allein schon aus komparatistischer und transferorientierter Perspektive höchst willkommen.
Schließlich dient die Erforschung der Katholischen Aufklärung auch immer der Klärung der bis heute relevanten Frage, wie sich religiöse Traditionen und Überzeugungen mit den Einsichten und normativen Prinzipien einer säkularen Weltordnung vereinbaren lassen. Mit der notwendigen Distanz zu aktuellen religiös-politischen Problemfeldern wird durch die Bearbeitung ganz ähnlich gelagerter Konfliktlinien im 18. Jahrhundert die Möglichkeit zu einer angemessenen Reflexion geschaffen. Dabei ist gerade auch die Einbeziehung der Forschungen zum katholischen Bildungswesen im traditionellen Einwanderungsland Nordamerika vielversprechend, weil hier auch aktuelle Fragen nach dem Umgang mit religiösen Minderheiten, mit Zuwanderung und mit der Wahrnehmung fremder Kulturen aufgeworfen werden. Vergleiche zwischen Katholischer Aufklärung, jüdischer Aufklärung (Haskala) und islamischen Aufklärungsbestrebungen im 18. Jahrhundert bieten sich hier in besonderer Weise an.
Sechs große Themen- und Fragenkomplexe, die in einer entsprechenden Anzahl von Sektionen aus internationalem und interdisziplinärem Blickwinkel beleuchtet werden sollen, ergeben sich zunächst aus diesem Aufriss (weitere Sektionen können aber, falls geeignete Vorschläge eingehen, durchaus noch gebildet werden):

Sektion I: Erziehung und Bildung:

Die traditionsreichen Universitäten der katholischen Staaten des frühneuzeitlichen Reiches (Köln, Mainz oder Ingolstadt) sind und bleiben ein bevorzugter Gegenstand der Forschung zur Katholischen Aufklärung. Die dort im Verlauf des 18. Jahrhunderts vollzogenen Reformen sollten in dieser Sektion jedoch noch stärker mit ähnlichen Entwicklungen auf internationaler Ebene verglichen werden. Auch jene Universitäten, die wie Münster (1773) oder Georgetown, Washington DC (1789) als vollständige katholische Neugründungen des Aufklärungszeitalters errichtet wurden, sollten unter diesem Gesichtspunkt erneut betrachtet werden. Doch auch die Entwicklung der Gymnasien und Elementarschulen, die in den katholischen Herrschaftsbereichen des Zeitalters der Aufklärung ebenfalls einen radikalen Wandel erlebten, sollte in gleicher Weise berücksichtigt werden. Von Interesse sind nicht zuletzt das pädagogische Denken, die im 18. Jahrhundert entstehende Erziehungswissenschaft und die Frage, ob es eine Theorie der Bildung im Geiste der Katholischen Aufklärung gab.

Sektion II: Religion und Theologie

Noch immer gibt es nicht sehr viele Studien, die eine Theologie der Katholischen Aufklärung auf erhellende Weise zu beschreiben vermögen. Vielfach hat man sich bisher auf den italienischen Geistlichen Lodovico Antonio Muratori, auf den französischen Abbé Henri Grégoire oder auf den amerikanischen Bischof John Carroll bezogen, wenn man nach einer verständlichen Darlegung der theologischen Prinzipien einer katholisch geprägten Aufklärung suchte. Doch haben möglicherweise weniger prominente Autoren nicht minder bedeutsame Schriften zur Thematik vorgelegt. Die Sektion will aber auch danach fragen, ob ein Zusammengehen von Aufklärung und Volksfrömmigkeit überhaupt denkbar war. Welche Teile der Liturgie oder des Festkalenders schienen den Aufklärern nicht länger tolerierbar zu sein, an welchen überkommenen Glaubensformen hielten sie jedoch überzeugt fest? Und welche Chancen hatte die Vermittlung einer aufgeklärten Theologie und Religiosität bei den Laien? Gab es bevorzugte und erfolgreiche Formen der Vermittlung der neuen Lehren?

Sektion III: Politik und Staatstheorie

Je neu erkundet werden muss, ob bedeutende katholische Monarchen und Fürstinnen – wie Kaiser Joseph II. oder seine Mutter Maria Theresia – ihr Handeln an den Prinzipien der Aufklärung ausrichteten. Vielfach waren es jedoch vor allem bedeutende katholische Premierminister – wie Franz von Fürstenberg (Münster) oder Maximilian von Montgelas (Bayern) – die an der Spitze der Regierung der bedeutendsten katholischen Staaten des Reiches einschneidende Reformen durchführten. Ihr aufklärerisches Handeln stieß nicht immer auf Gegenliebe bei den Hauptvertretern der geistlichen Orden, deren Rechte und Privilegien sie im Sinne der Säkularisation auf politischer Ebene rigoros beschnitten. Die Sektion will danach fragen, welche unterschiedlichen Entwürfe einer explizit katholischen Staatstheorie in Deutschland, Europa, Nordamerika oder auch anderen Staaten (und Kolonien) der Welt vorgelegt wurden. Überwogen beim Formulieren der politischen Ziele der katholischen Staaten nationale Interessen und war man bereit, sich von den Vorgaben aus Rom zu lösen. Oder verstanden sich manche katholische Staaten gar als Teil eines globalen politischen Verbundes?

Sektion IV: Musik und Theater

Das Theater war im 18. Jahrhundert gerade auch bei den Aufklärern eine nicht unumstrittene Einrichtung. Der Calvinist Rousseau – der ja für einige Jahre zum Katholizismus konvertiert war –, reüssierte einerseits als Komponist einer auch am französischen Hof erfolgreichen Oper (Le devin du village), kritisierte hernach aber im seinem berühmten Brief an D’Alembert das Schauspiel heftig. Der daran anschließende Diskurs über die Bildungsmacht der dramatischen Literatur – aber auch über die Wirkung fiktionaler Erzählprosa (Roman, Erzählungen, Satire, autobiographische Dichtungen, Lyrik) – bot katholischen Aufklärern ein weites Feld für ihre schriftstellerischen Versuche. Die Sektion will zudem danach fragen, wie die internationale Katholische Aufklärung zu Oper und geistlicher Musik stand. Wie viele katholische Komponisten gab es, die, wie etwa Leopold Mozart, die intellektuell voll erfassten und bejahten Prinzipien der Aufklärung in die berührende Sprache der Musik zu überführen wussten? Lässt sich Katholische Aufklärung hörbar machen?

Sektion V: Malerei und Skulptur

Das 18. Jahrhundert hat unzweifelhaft einige der bedeutendsten Plastiken der Geschichte hervorgebracht, und nur selten einmal wurde der Mensch in seiner Würde und Fragilität in so vollendeter und bewunderungswürdiger Weise gestaltet wie im bildhauerischen Werk des französischen Künstlers Jean-Antoine Houdon – der 1785 auch in die USA reiste und dort unter anderem George Washington porträtierte. Houdon war Katholik und Aufklärer, er schuf Skulpturen zu antiken und religiösen Themenkreisen. Schuf er deswegen katholisch-aufgeklärte Kunst? Unter Anwendung der gleichen Fragestellung könnte man auch die Werke aller anderen katholischen Bildhauer des 18. Jahrhunderts betrachten. Und auch mit Blick auf die Malerei könnte man ähnlich lautende Fragen formulieren: War der in Venedig, Würzburg und Madrid wirkende italienische Maler Giovanni Battista Tiepolo ein Repräsentant einer katholisch-aufgeklärten Malerei des Rokoko? Wie sinnvoll ist es überhaupt, in der Formensprache der Kunst nach einer konfessionellen Prägung Ausschau zu halten?

Sektion VI: Architektur

Kirchengebäude, die im 18. Jahrhundert errichtet wurden, geben mitunter nicht nur in ihrer Ausstattung, sondern auch in ihrer architektonischen Ausführung zu erkennen, dass sie nach dem Willen ihrer Erbauer und Auftraggeber Vorstellungen und Zielsetzungen der Aufklärung widerspiegeln. Dies gilt für europäische Kirchenbauten genauso wie für die ersten katholischen Kirchen der britischen Kolonien Nordamerikas (Old St. Joseph’s, Philadelphia, 1733/1757). Aber auch weltliche Bauten, wie Adelssitze oder Schlösser der Regenten, können durchaus Elemente katholischer Symbolik und aufklärerischer Bilderwelten vereinen. In diesem Zusammenhang wird das von Johann Conrad Schlaun entworfene, zwischen 1767 und 1787 erbaute Residenzschloss des Fürstbischofs von Münster – das somit als kongenialer Tagungsort fungiert – in ganz besonderer Weise der sowohl thematische wie auch räumliche Mittelpunkt der DGEJ-Jahrestagung sein.

Ihre Teilnahme an der Tagung haben bereits zugesagt:

Prof. Dr. Dr. Harm Klueting (Köln)
Prof. Dr. Norbert Miller (Berlin)
Dr. Birgitta Ringbeck (Berlin)
PD Dr. Vanessa de Senarclens (Berlin)
Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger (Münster)

Zur Teilnahme an der Tagung können sich außer den Wissenschaftler/innen, die der DGEJ angehören, selbstverständlich und gerne auch alle anderen Forscher/innen aus dem In- und Ausland bewerben (Bewerbungen von Nachwuchswissenschaftler/innen sind sehr willkommen), die in den unterschiedlichsten Fächern zur Erforschung des langen 18. Jahrhunderts beitragen.

Bewerbungen mit einem Exposee, das den Titel gemeinsam mit einem kurzen Abstract (max. 4000 Zeichen inkl. Leerzeichen) und einer bio-bibliographischen Notiz aufführt, werden bis zum 10. Dezember 2016 erbeten. Vorgetragen werden kann in deutscher, englischer und
französischer Sprache.

Bitte senden Sie Ihre Bewerbungen an folgende Mailadresse:
juergen.overhoff@uni-muenster.de

Programm

Kontakt

Andreas Oberdorf M.A., M.Ed.

WWU Münster, Institut für Erziehungswiss., Arbeitsstelle für Deutsch-Amerikanische Bildungsgesch.
Georgskommende 26, D-48143 Münster
+49-(0)251-83-24255
+49-(0)251-83-24184
andreas.oberdorf@uni-muenster.de

http://dgej.hab.de und http://go.wwu.de/dgej2017
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