Komplexität und Wahrheit – Wissenschaft im Spannungsfeld von Beschreibung, Deutung und Verzerrung

Komplexität und Wahrheit – Wissenschaft im Spannungsfeld von Beschreibung, Deutung und Verzerrung

Veranstalter
Dr. Thomas Exner / Dr. Gerrit Dworok
Veranstaltungsort
Ort
Würzburg / Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.03.2017 -
Deadline
31.03.2017
Website
Von
Dr. Gerrit Dworok

„Krieg ist Frieden
Freiheit ist Sklaverei
Unwissenheit ist Stärke“

Mit diesen Parolen aus dem Roman „1984“ brachte George Orwell ein wirkungsmächtiges Phänomen seines Jahrhunderts auf den Punkt: die Ausübung von Deutungsmacht durch das Besetzen von Begriffen und das Erschaffen von Gegenrealitäten. Er bezog sich dabei auf eine vielfach von Ambivalenzen und Widersprüchen geprägte politische Praxis, welche ganze Volksmassen durch die Doktrinen der Lüge und Gewalt elektrisierte, tradierte Orientierungen in Frage stellte sowie die aufklärerischen Errungenschaften von Vielfalt und Toleranz subversiv zerstörte. Auch Teile der Wissenschaften erlagen diesem folgenreichen Prozess: So definierten beispielsweise marxistische Hardliner, aber auch Sozialwissenschaftler und Historiker den Begriff Faschismus – eigentlich eine Eigenbezeichnung italienischer Faschisten – sinnentfremdend als Sammelbegriff für „kapitalistische“ Staaten auf der ganzen Welt, um politische Gegner (nicht jedoch zwingend Faschisten) zu bekämpfen. Ebenso wankelmütig zeigte sich die Definition von Recht und Gesetz je nach den vorherrschenden ideologischen Rahmenbedingungen im „Europäischen Bürgerkrieg“. Als 1990 das Zeitalter der Ideologien zu Neige zu gehen schien und Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ apostrophierte, war dies verbunden mit der Hoffnung auf Freiheit, Vielfalt und Wahrhaftigkeit gemäß westlicher Wertvorstellungen. Tatsächlich jedoch deutet sich seit geraumer Zeit eine sich zuspitzende politische sowie ideelle Krise „des Westens“ an. So wird ein Niedergang westlicher Werte behauptet – Freiheit, Vielfalt und Wahrhaftigkeit würden zwar postuliert, seien jedoch alltäglich im Abnehmen begriffen.

In Zeiten komplexer Probleme, vor allem dem Spannungsverhältnis zwischen Nationalstaat und Globalisierung in all seinen Facetten, werden vielfach einfache Lösungen gefordert und versprochen. Der globale Kommunikationsraum verspricht eine Vielzahl von Meinungen und Handlungsmustern, doch bei Themen wie dem internationalen Terrorismus, globalen Flüchtlingsströmen, der digitalen Arbeitsrevolution, der Krise der EU, dem Klimawandel und subkutan wuchernder Kapitalmärkte lässt sich eine bemerkenswert Polarisierung der gesellschaftlichen Debatten beobachten, welche jedem Pluralismus zuwiderläuft.
In Bezug auf diese Ambivalenzen stellt sich die Frage, ob und wie Wissenschaft der Komplexität einer zunehmend vernetzten Welt gerecht werden und dabei auswegloser Polarisierung entgegenwirken kann. Inwieweit können in einem globalen System mit unterschiedlichen Erinnerungstraditionen, Sprachen und Mentalitäten akkurate Begriffe Erkenntnis fördern und Untersuchungsgegenstände frei von ökonomischen und politischen Interessen real beschreiben? Welche individuellen und institutionellen Wege werden beschritten, um Wissenschaft im jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Umfeld zu reflektieren? Und schließlich: Inwieweit ist das Streben nach Erkenntnis und Wahrheit an sich krisenfest, wie also behauptet es sich etwa gegen die Phänomene Ideologie, Populismus und Kultur?
Der CFP möchte, bezogen auf das 20. und 21. Jahrhundert, disziplinübergreifende Ansätze zur Thematik sammeln und in einem Aufsatzband vereinen. Es wird sowohl nach grundsätzlichen Betrachtungen als auch nach Einzelfall-Beispielen auf den Gebieten der
- Geschichtswissenschaft,
- Politikwissenschaft,
- Philosophie,
- Rechtswissenschaft,
- Sozialwissenschaft und
- Medienwissenschaft
gesucht. Ziel ist es, einen interdisziplinären Zugriff auf die Rolle der Wissenschaft im (Spannungs)verhältnis von Beschreibung, Deutung und Verzerrung von Realitäten zu erarbeiten. Dabei sollen sowohl fächerübergreifende Gemeinsamkeiten herausgefiltert als auch fachimmanente Grenzen ausgelotet werden. Die Beiträge sollten ca. 20 Seiten (TNR, Schriftgröße 12) umfassen. Um die Übersendung eines Themenabrisses im Umfang von 400 Wörtern wird bis zum 31. März 2017 gebeten.

Programm

Kontakt

Gerrit Dworok

Weidenröschenweg 9, 30855 Langenhagen

gerrit.dworok@uni-wuerzburg.de