Gemeinschaften im venezianischen Staat und der venezianischen Gesellschaft des 14.-17. Jahrhunderts

Gemeinschaften im venezianischen Staat und der venezianischen Gesellschaft des 14.-17. Jahrhunderts

Veranstalter
Hans Aurenhammer, Universität Frankfurt; Michael Matheus, Universität Mainz; Ermanno Orlando, Universität Padua; Gherardo Ortalli, Universität Caʼ Foscari Venedig; Oliver Jens Schmitt, Universität Wien. Ein Kooperationsprojekt von: Deutsches Studienzentrum in Venedig, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Universität Wien
Veranstaltungsort
Ort
Venedig
Land
Italy
Vom - Bis
09.03.2017 - 11.03.2017
Deadline
09.03.2017
Website
Von
Michael Matheus

Gemeinschaft ist ein Schlüsselbegriff zur Analyse sozialer Strukturen. Der breite Charakter des Begriffs ermöglicht dabei die Erschließung zahlreicher gesellschaftlicher Phänomene, verlangt aber auch nach einer klaren Bestimmung. Die soziologische Debatte über den Gemeinschafts-Begriff ist in ihren Anfängen mit Namen wie Ferdinand Tönnies, Émile Durkheim und Max Weber verbunden. Tönnies´ Konzept beruhte auf der Gegenüberstellung von Gesellschaft und Gemeinschaft, wobei letztere eine reale und organische Einheit im Gegensatz zu der als mechanisch und weniger affektiv erfassbaren Gesellschaft dargestellt wird. Gemeinschaft ist gekennzeichnet durch auf emotional geprägter Solidarität und Loyalität beruhende Beziehungen, die einen starken inneren Zusammenhang gewährleisten und soziale Einstellungen und Handlungen als Ausfluss gemeinschaftlicher Interessen hervorbringen (Durkheim, Weber). Die jüngere Diskussion legt wie z.B. Benedict Andersons Konzept der „imagined communities“ den Schwerpunkt weniger auf innere Mechanismen, sondern auf soziale und kulturelle Praktiken, besonders der Selbstdarstellung nach außen und der Eigenwahrnehmung, die den Mitgliedern einer Gemeinschaft Zugehörigkeit und Zugehörigkeitsgefühle ermöglichten. Die anthropologische Kritik an älteren Gemeinschafts-Konzepten legt den Schwerpunkt auf die Dimension der Alltagspraxis, auf Rituale und Symbole der Zugehörigkeit. Die symbolisch-imaginäre und die auf soziale Praxis konzentrierte Forschungsrichtungen bestimmen heute noch die Forschung. Gemeinschaft wird oft als Attribut von Soziabilität verstanden und als wichtiges Element in der Diskussion um Identitäten und Identifikationen. Dennoch entzieht sich der Begriff einer einfachen und allgemeingültigen Definition bzw. begrifflichen Modellierung; vielmehr wächst das Bewusstsein, dass Gemeinschaft und Gemeinschaftsbewusstsein vor allem in der gesellschaftlichen Praxis, gefühlsmäßigen Bindungen und in konkreten sozialen Handlungen ausgedrückter Solidarität fassbar wird. Interpersonale Beziehungen und ihr Raum (als physischer Ort, soziale und kulturell-symbolische Dimension) rücken so in den Mittelpunkt der Deutung. In der Nachfolge der Untersuchungen des Anthropologen Fredrik Barth beschäftigt sich ein sozialanthropologischer Ansatz mit der Erforschung der Grenzen und Abgrenzungen von Gemeinschaft, mit einem besonderen Schwerpunkt auf mehrfacher Zugehörigkeit zu Gemeinschaften und den Modalitäten eines solchen multiplen Systems. Gemeinschaften werden dabei nicht als diachron stabile Einheiten verstanden, sondern sind Veränderungen und Aushandlungsprozessen unterworfen. Zugehörigkeit kann eingefordert, erstritten und auch bestritten werden. Eigen- und Fremdwahrnehmung sind grundlegend für die Bildung von Gemeinschaft und Formen der Zugehörigkeit, die kommunitäre Prozesse grundlegend beeinflussen. Bei der Untersuchung von Gemeinschaft ist schließlich auch das Verhältnis von Individuum, Gemeinschaft – verstanden als intermediärer Struktur – und Gesellschaft von Bedeutung, wobei mehrfachen Zugehörigkeiten besondere Aufmerksamkeit gilt. In unterschiedlich eingehender Beschäftigung mit sozialwissenschaftlichen und anthropologischen Debatten entwickelte sich die geschichtswissenschaftliche Erforschung von Gemeinschaften. Seit den 1890er Jahren hat sich in der italienischen Forschungstradition eine Debatte herausgebildet, die Gemeinschaft eng mit Staatlichkeit verbindet – so vertreten von Edoardo Grendi, Luca Mannori, Giuseppe Petralia, Osvaldo Raggio und Angelo Torre -, die den Staat in stetem dialektischem Verhältnis mit Gemeinschaften sieht, mit denen quasi-vertragsmäßige Beziehungen etabliert wurden.
Die Tagung untersucht vor diesem Hintergrund Dimensionen des Gemeinschaftsbegriffs und kommunitäre Praxis im venezianischen „Commonwealth“, das heißt dem gesamten Gebiet des venezianischen Staates von Oberitalien bis in das östliche Mittelmeer vom 13. bis 18. Jahrhundert, beginnend mit Gemeinschaften, die eine deutlich erkennbare (verfassungs-)rechtliche Struktur aufweisen. Städtische Gemeinschaften waren als Kommunen organisiert, als Schwurgemeinschaften freier Männer in einer rechtlichen und territorialen politischen Solidaritätseinheit. Die innere Differenzierung nach Patriziern und Popolani folgte ebenfalls rechtlichen Kriterien. Andere Verwaltungsstrukturen unterschieden nach beruflichen (Zünften), karitativen (Scuole) und migrationsbedingten (albanische, dalmatinische Scuolen, Zuwanderergemeinschaften wie Deutsche oder Griechen) Kriterien. Kloster- und andere religiöse Gemeinschaften stellen schließlich einen klassischen Typus organisierter und nach verschriftlichen Regeln strukturierter Gemeinschaften dar. Die meisten der verrechtlichten Gemeinschaften haben reiche Archivbestände hervorgebracht und sind traditionell Gegenstände historischer Forschung. Gemeinschaften aber beruhen nicht immer auf rechtlich klar umrissener Basis. Gemeinsame Interessen wirtschaftlicher Art (Kaufmannsgemeinschaften), gesellschaftlicher Art (Bruderschaften), religiöser Art (häretische Gemeinschaften) oder politischer Art wirken ebenfalls gemeinschaftsbildend. Gemeinschaften von Kriminellen sind ebenfalls deutlich fassbar. Kleidung, Gesten, Symbole, Rituale, Sprache und besondere Formen der Präsenz im öffentlichen Raum (zum Beispiel gemeinsame Treffpunkte) machen Gemeinschaft lesbar und visuell wahrnehmbar.
Die Tagung analysiert daher Gemeinschaft auf drei Ebenen:
- Auf einer formal-rechtlichen, als Element, das Staatlichkeit, Gesellschaft und Raum strukturiert.
- Auf einer gesellschaftlichen, als Analyse von inneren wie äußeren diskursiven Zuschreibungen.
- Auf einer kulturellen, als Analyse der kulturellen Praxis und deren Bedeutung für übergeordnete gesellschaftliche Mechanismen und Strukturen.
Die Zusammenschau dieser drei Ebenen ermöglicht die Analyse der Rückkoppelung von Gemeinschaft(en) auf übergeordnete Großstrukturen wie Staat oder Gesellschaft. Die Tagung untersucht in diesem Sinne Strukturen, Diskurse und Praktiken gemeinschaftlicher Lebensformen als gliederndes Prinzip des venezianischen Staates und fragt, wie diese zur Stabilisierung des staatlichen und gesellschaftlichen Aufbaus des venezianischen „Commonwealth“ beitrugen. Bewusst werden dabei Annäherungen aus mehreren Fachrichtungen gewählt, wobei Geschichte und Kunstgeschichte im Mittelpunkt stehen. Eine Schlüsselfrage wird sein, wie der Staat Gemeinschaftsstrukturen zur Schaffung übergeordneter Formen der Zugehörigkeit verwendete, die sich über das gesamte Staatsgebiet erstreckten (Symbolen, Rituale, Zeremonien, Visualisierung von Macht, Bruderschaften, monastische Gemeinschaften). Wichtig ist auch der Einfluss des Staats auf die Herausbildung von Gemeinschaften und die rechtliche Strukturierung des Verhältnisses zwischen staatlicher Macht und Gemeinschaften.

Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Spezialforschungsbereichs Visions of Community (FWF).

Programm

Programma:
Giovedì 9 marzo 2017, ore 18.00
Centro Tedesco di Studi Veneziani
Saluti di apertura:
Michael Matheus, Presidente del Centro Tedesco di Studi Veneziani
Gherardo Ortalli, Presidente dell’Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
Prolusione:
Oliver Jens Schmitt, Universität Wien, VISCOM project, Centro Tedesco di Studi Veneziani, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
“Comunità: orizzonti di un concetto nella venezianistica”

Venerdì 10 marzo 2017, ore 9.30
Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
I sessione
Gian Maria Varanini, Università degli studi di Verona, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
“Tendenze recenti della storiografia italiana negli studi sulle comunità (tardo medioevo prima
età moderna)”
Comunità politiche
Moderatore: Oliver Jens Schmitt, Universität Wien, VISCOM project, Centro Tedesco di Studi Veneziani, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
Egidio Ivetic, Università degli studi di Padova, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
“Tra appartenenza e contrattazione: le comunità dello Stato da mar”
Luciano Pezzolo, Università Ca’ Foscari Venezia
“Identità, solidarietà, partecipazione: le comunità dello Stato da terra”
Alessandra Rizzi, Università Ca’ Foscari Venezia
“Essere comunità nelle istruzioni ai rettori veneziani in Istria e Dalmazia (secc. XIII-XV)”
Ermanno Orlando, Università per stranieri di Siena, VISCOM project, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
“Strutture di interazione di una comunità urbana: Spalato nel XV secolo”

Venerdì 10 marzo 2017, ore 14.30
Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
II sessione
Moderatore: Giuseppe Gullino, Università degli studi di Padova, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
Comunità socio-professionali
Claire Judde de Larivière, Université de Toulouse
“I popolani a Venezia: identità e appartenenze di una comunità sfuggente”
Gherardo Ortalli, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
“Una comunità in terra islamica: la colonia veneziana di Tunisi”
Nella Lonza, Accademia croata di Scienze e Arti
“Il ruolo catalizzatore del dominio veneziano nell’ articolazione di alcune comunità popolane e contadine dalmate”
Fabian Kümmeler, Universität Wien, VISCOM project
“Herdsmen as a Socio-Professional Community in Late Medieval Dalmatia”
Sabato 11 marzo 2017, ore 9.30
Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
III sessione
Moderatore: Gherardo Ortalli, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
Comunità etnico-religiose
Thierry Ganchou, Collège de France, Paris
“La communauté vénitienne de Constantinople à l’épreuve de la chute de la cité impériale
(1453), à la lumière de nouveaux documents”
David D’Andrea, Oklahoma State University
“Ospitalità e assistenza: confraternite e ospedali tra Venezia e Treviso”
Philippe Braunstein, Paris
„Deutsche in Venedig“
Andrea Zannini, Università degli studi di Udine
“Le comunità straniere a Venezia e le dinamiche di inclusione /esclusione in città”

Sabato 11 marzo 2017, ore 14.30
Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
IV sessione
Moderatore: Hans Aurenhammer, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Centro Tedesco di Studi Veneziani
“Comunità e produzione artistica”
Rebecca Müller, Universität Augsburg, Centro Tedesco di Studi Veneziani
“La corporazione dei pittori a Venezia nel Tre e Quattrocento. Costrizioni e libertà d’azione
in una comunità professionale”
Valentina Sapienza, Université de Lille, laboratoire IRHiS
“L’ Arte dei pittori a Venezia fra Quattro e Cinquecento: una comunità? Alla ricerca
di un’identità tra apprendistato e pratiche di mestiere”
Martin Gaier, Universität Basel, Centro Tedesco di Studi Veneziani
“Aspirazioni accademiche nella comunità artistica veneziana del Cinquecento?”
Gianmario Guidarelli, Università degli studi di Padova
“Una comunità benedettina e l’architettura monastica: il caso dell’abbazia di Praglia”
Martina Frank, Università Ca’ Foscari Venezia
“Accademie, casini e salotti nella Venezia tra Sei e Settecento: quale comunità?”

Tagungsorte / sedi del convegno:
Centro Tedesco di Studi Veneziani
Deutsches Studienzentrum in Venedig
Palazzo Barbarigo della Terrazza
S. Polo 2765/A, Calle Corner
I-30125 Venezia
www.dszv.it

Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti
Palazzo Loredan
Campo Santo Stefano
I-30124 Venezia
www.istitutoveneto.it

Kontakt

Michael Matheus

Deutsches Studienzentrum in Venedig,

matheus@uni-mainz.de


Redaktion
Veröffentlicht am
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Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Italienisch
Sprache der Ankündigung