18.5.2017, 18.30 Uhr
Daniel Baranowski (Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Berlin):
Der eigenartige Mensch da draußen. Das „Archiv der anderen Erinnerungen“
Das Interviewprojekt "Archiv der anderen Erinnerungen" der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld vermittelt Biografien von Menschen, deren Lebenswelt sich im Hinblick auf Geschlecht, Sexualität, PartnerInnenwahl, soziale Klasse oder Lebensumfeld mit der Erfahrung des „Anders“-Seins verbindet. Es umfasst die Vorbereitung, Durchführung, Sicherung, Nachbereitung und Erschließung von lebensgeschichtlichen Videointerviews mit Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender, Inter und queeren Menschen (LSBTTIQ). Anhand von ausgewählten Beispielen stellt der Vortrag das vom Bundesministerium der Justiz geförderte Projekt vor und beleuchtet spezifische Themen dieser Interviews, wie die mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen des §175 StGB, das Leben mit Homosexualität im Alter, die Erlangung eines homosexuellen Selbstbewusstseins oder die Unsichtbarkeit von lesbischen Lebensweisen. Es soll auch problematisiert werden, ob die Interviewten sich selbst als „Opfer“ begreifen und inwieweit deren Biografien als Erfolgsgeschichten zu verstehen sind.
1.6.2017, 18.30 Uhr
Almut Leh (Institut für Geschichte und Biographie, Fernuniversität Hagen):
„Nicht alle Blütenträume reiften“. Erfahrungen mit einem Oral-History-Projekt zur Universitätsgeschichte
Aus Anlass des 40-jährigen Bestehens der FernUniversiät in Hagen beauftrage das Rektorat das Institut für Geschichte und Biographie mit der Durchführung einer Befragung von Zeitzeugen der Universitätsgeschichte. Befragt werden sollten Menschen, die an verantwortlicher Stelle die Geschicke bestimmt hatten, die an grundlegenden Entscheidungen beteiligt waren, kurz: die das Gesicht der FernUniversität nach innen und nach außen geprägt haben. Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten wurden Kurzfassungen der Interviews filmisch präsentiert sowie Poster mit Kernaussagen für eine Ausstellung erstellt. In lebensgeschichtlichen narrativen Interviews hatten die Befragten die Gelegenheit, ihre Erfahrungen und Sichtweisen ausführlich darzustellen. Darüber hinaus wurden die vollständigen Interviews im Archiv „Deutsches Gedächtnis“ der FernUniversität archiviert, wo sie für Forschungszwecke genutzt werden können. Wie konnte ein solches Projekt die Jubiläumsfeierlichkeiten der Universität prägen? Welche Eigendynamik entfaltete die Methode des biographischen Interviews? Entstanden nur unterhaltsame Kurzfilme oder konnte darüber hinaus ein Erkenntnisgewinn durch die Interviews zur Universitätsgeschichte erzielt werden?
15.6.2017, 18.30 Uhr
Stefan Moitra und Katarzyna Nogeira (Stiftung Geschichte des Ruhrgebietes, Bochum):
Was bleibt? Das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus und die Erinnerungskultur
Ende des Jahres 2018 schließen die beiden letzten deutschen Steinkohlenbergwerke. Damit geht eine der klassischen Industrien ihrem Ende entgegen. In den Steinkohlerevieren prägte der Bergbau über weite Strecken die Arbeits- und Lebenswelt. Aber was bleibt vom industriellen Erbe? Wie wird in den betroffenen Regionen an den Bergbau erinnert, und wie erinnern sich die Menschen selbst an die Arbeit und das Leben unter und über Tage? Wie wurde der Prozess der De-Industrialisierung in den Bergbaugemeinden erlebt und interpretiert? Ausgehend von dem derzeit in Bochum betriebenen Oral-History-Projekt „Menschen im Bergbau“ gibt der Vortrag einen Überblick über die Erinnerungskultur um den Bergbau und wird dabei insbesondere auf die lebensgeschichtlichen Erinnerungen und Deutungen früherer Bergleute und ihrer Angehörigen eingehen.
22.6.2017, 18.30 Uhr
Anna Junge (Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin):
„Also hier im Dorf ist keiner totgeprügelt worden.“
Erinnerungen an Verfolgung und Rückkehr jüdischer NachbarInnen im ländlichen Raum – am Beispiel Hessen
In Hessen existierten vor der Shoah viele kleine jüdische Landgemeinden. Heute zeugen davon jüdische Friedhöfe, eingezwängt hinter dem Einkaufszentrum oder zugewachsen am Waldrand, und einige Synagogengebäude oder jüdische Schulen, die bisweilen seit 1938 unverändert als Scheune genutzt oder bewohnt werden. Die OrtsbewohnerInnen duldeten diese Spuren bei gleichzeitiger, zum Teil noch bis heute bestehender Abwehr öffentlicher Auseinandersetzung oder Tradierung. Wie im städtischen gab es auch im ländlichen Raum keine „Stunde Null“ – es gab ein Wiedersehen: Jüdische Soldaten besuchten ihre Herkunftsdörfer und Friedhöfe, Jüdinnen und Juden überlebten in „Mischehen“, andere kehrten aus Konzentrations- oder Vernichtungslagern zurück, auf der Suche nach Verwandten, aber auch, um wieder langfristig sesshaft zu werden. Doch die Geschichte jüdisch-nichtjüdischer Nachkriegskonfrontationen und -nachbarschaften wurde vielerorts in das örtliche Schweigen eingeschlossen. Anna Junge berichtet in ihrem Vortrag von Interviewerfahrungen mit nichtjüdischen ZeitzeugInnen zur jüdisch-nichtjüdischen Nachkriegsgeschichte am Beispiel einiger Ortschaften in Hessen. Welche Geschichten werden wie erzählt und gedeutet? Und welchen Vereinnahmungsgefahren sind Lokalforschungen zu Nationalsozialismus und jüdischer Geschichte heute ausgesetzt?