Im Fokus der vierten Tagung der Kommission für Religiosität und Spiritualität (dgv) steht das Verhältnis von Religion/Religiosität/Spiritualität und Recht im Alltag. Der zugrundeliegende Rechtsbegriff ist dabei ein weiter und fasst sowohl „geschriebenes“ gesetztes als auch „ungeschriebenes“ Recht. Anhand konkreter Beispiele aus Vergangenheit wie Gegenwart soll den Bezugs- und Spannungsfeldern von institutionalisierten „geltenden Rechten“ (staatlichen, überstaatlichen, kirchlichen, religionsspezifischen Gesetzen und deren Auslegungen) sowie popularen bzw. lokalen Vorstellungen von Recht und Rechtsempfinden (Stichwort „Rechtspluralismus“) und religiösen bzw. spirituellen Praktiken nachgegangen werden. Nicht zuletzt zeigen sich diese Bezugs- und Spannungsfelder auch in gesellschaftlichen Diskursen darüber.
Der thematische Zuschnitt ist motiviert durch die Beobachtung, dass der Komplex Recht und Alltagskultur in der deutschsprachigen Forschungslandschaft momentan auffallend wenig Beachtung findet. Im Rahmen von themennahen Projekten, wie sie etwa am Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ (Bonn) oder am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung (Halle) realisiert werden, stehen vorrangig größere gesellschaftliche Prozesse und Strukturen im Vordergrund – die alltagskulturelle Mikrodimension wird allerdings weniger berücksichtigt. Das derzeitige Nischendasein einer Rechtsanthropologie mag irritieren, haben ältere Bemühungen seitens der Rechtlichen Volkskunde und der Rechtsethnologie doch aufzeigen können, wie fruchtbar diese Perspektive für die Kulturanalyse im Allgemeinen und die Deutung religiöser und spiritueller Phänomene im Besonderen sein kann; erinnert sei allein an die einschlägigen Arbeiten von Karl-S. Kramer, Rüdiger Schott sowie Keebet und Franz von Benda-Beckmann. Die Tagung eröffnet damit auch die Möglichkeit, einerseits bislang eher wenig beforschte Felder der Kulturwissenschaften entdecken zu können, andererseits aber auch scheinbar „überforschten“ Gebieten neue erkenntniserweiternde Facetten abzugewinnen.
Folgende Themen könnten in den Vorträgen behandelt werden:
- Legitimationsstrategien religiöser und spiritueller Praxen
- symbolische, rituelle und materielle Repräsentation (Bräuche etc.)
- Kontrolle, Macht und Sanktion in religiösen und spirituellen Kontexten
- Kontroversen um Rechtgläubigkeit
- (geltende) Rechtspraxis und ethnographisches Wissen
- gesellschaftliche Normdiskurse (z.B. Religionsfreiheit etc.)
- Diversität von Rechtssphären
- Devianz/Widerstand
Eine kulturwissenschaftliche Perspektivierung rückt die handelnden Akteure ins Zentrum des Erkenntnisinteresses und empfiehlt für differenzierte Portraits und Deutungen eher ethnographisch ausgerichtete mikroanalytische Vorgehensweisen. Doch sollen sich auch Forscherinnen und Forscher angesprochen und zur Teilnahme an der Tagung ermutigt fühlen, die aus anderen disziplinären Blickwinkeln und mit anderem methodischen und theoretischen Rüstzeug der „gesellschaftlichen Wirkung von Recht“ (Benda-Beckmann 2007) nachspüren. Ein interdisziplinärer Gedankenaustausch ist somit ausdrücklich erwünscht. Die Tagung bietet die Möglichkeit, laufende Projekte und bislang nicht publizierte Forschungen vorzustellen. Neben einer thematischen Vielfalt sollen auch unterschiedliche Zugänge zu produktiven Diskussionen über die Potentiale und Probleme der Erforschung religiöser/spiritueller Phänomene im Alltag anregen.
Wir bitten um Zusendung eines Abstracts (ca. 2.000 Zeichen) und eines kurzen CV bis zum 01.02.2018 an Mirko Uhlig (uhlig@uni-mainz.de) und Dominique Conte (conte@uni-mainz.de). Eine Publikation der Beiträge in Buchform ist vorgesehen.