Affekte und Effekte: Perspektiven der sozial- und kulturwissenschaftlichen Gender Studies. Internationale Summer School

Affekte und Effekte: Perspektiven der sozial- und kulturwissenschaftlichen Gender Studies. Internationale Summer School

Veranstalter
Prof. Dr. Paula-Irene Villa, Institut für Soziologie/ LMU
Veranstaltungsort
München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.07.2018 - 27.07.2018
Deadline
31.01.2018
Von
Dr. Imke Schmincke

Von „The Promise of Happiness“ (Ahmed 2010) zu „Cruel Optimism“ (Berlant 2011), von „Scham/Shame” (Neckel 1993) zu „Depression” (Chetkovic 2012), von „Affect Labor” (Hardt 1999) bis zu „Cold Intimacies” (Illouz 2007) - Affekte und (ihre) Effekte sind in den letzten Jahren vermehrt zum forschungsintensiven Thema von Sozial- und Kulturwissenschaften, Gender sowie Queer Studies und Kulturanthropologie geworden. Ob etwa als leibliches Spüren, als Movens des Politischen, als historisch konstituiertes und medial vermitteltes Scharnier zwischen Sozialem und Subjektivem, als Modulation des Sozialen, als Dimension des Konsums oder als kritischer Eigensinn konkreter Praxis… Empirische Studien, theoretische Perspektiven und Begriffe von Gefühlen konstituieren das ermergierende Feld der „Affect Studies“ (u.a. Baier et al 2014; Gregg/Seigworth 2010; fzg 20_2/2014), das multidisziplinär bestückt ist. Die Affect Studies thematisieren dabei eine Fülle empirischer und gesellschaftspolitisch relevanter Fragen zu Arbeit und Kommodifizierung von Emotionen (,emotional labour’), Sozialität und (De-)Legitimierung von Gefühlen (Scham, Ekel, Angst, Trauer, Sicherheit, Exzess, Lust, Frustration, Verwundbarkeit/Angst) oder Tropen und Sozialfiguren („Angry Black Woman”, „snowflakes”). Die Affect Studies tragen u.a. zur Erforschung von „Politikverdrossenheit“ und populistischen Bewegungen, Rassismus, Sexismus und dem Zusammenhang zwischen Gefühlen und Differenz bei. Sie befassen sich mit dem emanzipatorischen und transformatorischen, aber auch lähmenden und regressiven Potenzial von Gefühlen. Kritisch ist dabei gleichwohl zu befragen, ob die forschende Auseinandersetzung mit Affekten als Teil von Sozialität tatsächlich so neu ist. Schließlich gibt es eine lange Tradition in den Geistes- und Kulturwissenschaften, in den feministischen Theorien und in den empirischen Sozialwissenschaften, z.B. Emotionen und Leiblichkeit systematisch ernst zu nehmen.

Wir möchten das lose Konglomerat von Ideen, Theorie, Empirie der „Affect Studies” als Horizont nutzen, vor dem wir gemeinsam und interdisziplinär über Affekte und Effekte, also über die sozialen und politischen Dimensionen von Gefühlen – mit Fokus auf die intersektionale Kategorie ,Gender’ – wissenschaftlich nachdenken. Hierfür laden wir MA-Studierende und Doktorand*innen ein, die ihre Forschungsarbeiten bzw. Studieninteressen im Feld der Gender Studies verorten, sich mit eigenen Projekten für die Summer School „Affekte & Effekte“ der LMU München zu bewerben.

Mögliche Themen können sein: Die gesellschaftliche Relevanz von Gefühlen/Affekten, Formen ihrer Herstellung, Wahrnehmung und (De-)Legitimierung, die leiblich-körperliche Verortung und (Re-)Produktion von Emotionen, Hoffnung, Wut und Enttäuschung als Dimensionen des Politischen, Kategorien und theoretische Perspektiven (z.B. Unterscheidung von Affekt/Emotion/Gefühl/Erleben). Wir hoffen ausdrücklich auch auf Beiträge zu Methodenfragen, d.h. zur Auseinandersetzung oder exemplarischen Darstellung, wie Affekte/Emotionen konkret empirisch erforscht werden können. Wir laden ausdrücklich Studierende und Promovenden ein, sich zu bewerben, die sich mit method(olog)ischen Fragen zur Medialität und Materialität von Gefühlen auseinandersetzen.

Für die Fülle möglicher Dimensionen stehen folgende Themencluster zur Auswahl:

- Arbeit: Insbesondere im Dienstleistungsbereich, aber auch darüber hinaus, wird Gefühlsarbeit (zunehmend?) als fachliche Kompetenz – verstanden als die aktive Herstellung von Gefühlen bei den Kund*innen über Steuerung der eigenen Gefühle – erwartet und vorausgesetzt. Gefühlsarbeit sowohl als „emotional labour” als auch „emotion work” ist mittlerweile konstitutiver Bestandteil von (soziologischen Pespektiven auf) Arbeitsbeziehungen und Arbeitshandeln. Gleichzeitig können Gefühle selbst als Arbeit betrachtet werden. Beides gilt erst recht für Arbeit in Beziehungen und Familien. Sorgearbeiten/Carework sind maßgeblich von Affekten getragen und auf diese hin ausgerichtet. Gefühlsarbeit kann dabei als gemeinsamer Bestandteil produktiver und reproduktiver Arbeit gefasst werden und wird in neueren Forschungsarbeiten verschiedener Theorieströmungen u.a. unter Stichworten wie „immaterielle Arbeit” (Postoperaismus, z.B. Negri/Lazaratto/Virno 1998), „affektives Kapital” (Sauer/Penz 2016) bzw. „invisible heart” (Folbre 2002) aufgearbeitet. Wie lassen sich Arbeit und Gefühle theoretisch und empirisch miteinander denken? Wie lassen sie sich sinnvoll unterscheiden? Wie ist dies in intersektionaler Weise vergeschlechtlicht?

- Politik: Gerade angesichts des großen Zulaufs, den aktuell rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien erfahren, wäre nach der Rolle von Gefühlen wie Angst, Scham oder Enttäuschung für die politische Mobilisierung zu fragen. Welche Bedeutung haben Emotionen für soziale Bewegungen, aber auch für etablierte politische Akteurinnen? Haben spezifische politische Konstellationen auch spezifische Affekt-Regime? Wie ändert sich dies u.U. historisch (vgl. Elias 1939, Frevert 2000, Gotto 2014)? Die zunehmende Personalisierung und Eventisierung der Politik sind ebenfalls als Ausdruck einer stärkeren emotionalen Inszenierung des Politischen zu deuten. Auch Phänomene einer Nachfrage nach einem stärker dezisionistischen Politikstil – ‘dem Macher’ – deuten darauf, dass das Affektive Grundmuster des Politischen durchzieht und sich mit dem Rationalen verschränkt. Welche Bedeutung haben Gefühle und Affekte für die Gestaltung von Politik, für die Erwartung an Politikerinnen oder auch für die Konstitution des politischen Feldes selbst? Welche Rolle spielt Geschlecht/Gender hierfür?

- Körper/Sexualität: Körper bzw. Leiblichkeit sowie Sexualität bilden seit Jahrzehnten ein wesentliches Thema der Gender und Queer Studies. Auch die Körpersoziologie sowie viele andere Disziplinen haben sich nunmehr systematisch mit der somatischen Dimension der sozialen, politischen, kulturellen, medialen, historischen, ökonomischen Wirklichkeit befasst. Dabei werden die Empfindungen des Körpers/Leibes bisweilen zum Authentischen schlechthin überhöht oder, umgekehrt, zum bloßen Ausdruck normativer Imperative des Sozialen degradiert. Womöglich wurden dabei Emotionen/Affekte/leibliches Empfinden bislang nicht hinreichend expliziert? Womöglich könnten aber auch aktuelle ,affect theory’-Perspektiven das breite Fundament bisheriger Forschung stärker berücksichtigen?

- Bewegung/Berührung: Aus einer an Affekten interessierten Perspektive ist der Körper als Wahrnehmungs- und Gestaltungsinstanz von Umwelt zentral. An und mit ihm werden nicht nur Affekte erlebt und gedeutet, sondern auch aktiv hervorgebracht. Dieses Gestaltungs- und gleichzeitige Erlebenspotential gilt es hierbei auch gerade in seiner Verschränkung auszuloten. Wie und welche Affekte werden durch körperliche Bewegungen in bestimmten Konstellationen hervorgebracht? Dies ließe sich vor allem (nicht ausschließlich) in den Bereichen Sport, Tanz und anderen Bewegungskulturen sowie in alltäglichen Bewegungspraktiken analysieren. In einer weiteren Bedeutungsdimension interessiert darin der durch Affekte bewegte Körper: Wie und durch welche Gefühle werden Körper berührt? Wie äußern sich Affekte somatisch? Wie können Grenzen und Verläufe zwischen körperlicher Beherrschung und Kontrollverlust thematisiert werden? Wie lassen sich bspw. Euphorie, Flow oder auch Langeweile in ihrer körperlich/leiblichen Affekt-Dimension beschreiben und wissenschaftlich methodisch fassen?
Affektive Effekte sollen gerade auch von bspw. bewegungsarmen (meditierenden, träumenden, wartenden) Körpern bis hin zu regungslosen (bewusstlosen oder sogar toten) Körpern berücksichtigt werden. Und auch hier ist auszuloten: (Wie) Hat dies mit komplexen Formen der Ent- oder Vergeschlechtlichung zu tun, z.B. als „schöne Leiche” (Bronfen 1999) oder in Formen vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Gewalt (SWS/ASA 2009)?

- Medien/Medialität: Auch Medien sind Orte, Anlässe und Produzent*innen von Affekten, die je nach Form und Art des Mediums unterschiedlich beschaffen sein können. Gerade im Kampf um Aufmerksamkeit bedienen sich Medien einer ganzen Reihe affektiv aufgeladener Strategien, so Dramatisierung, Skandalisierung etc. Gegenstände der Analyse wären hier z.B.: Gefühle (Liebe, Eifersucht, Trauer) in Medien (Buch, TV-Serie, Social Media, Radio, Kino usw.), Gefühle bei der Medienrezeption, affektiv aufgeladene Mediendynamiken wie Hate speech, shitstorms, moral panic oder auch ,künstlich’ erzeugte Emotionen in Virtuellen Realitäten. Darüber hinaus wäre von Interesse, z.B. in Auseinandersetzung mit den Beziehungen Mensch-Tier oder Mensch-Roboter auszuloten, wem Affekte zugeschrieben/zugetraut/zugestanden werden – und wem nicht. Auch hier ist die Geschlechterfrage von zentralem Belang.
Auch hier sind methodische Frage dringlich: Wie lassen sich mediatisierte Affekte (in verschiedenen Disziplinen) erforschen, wie die Medialität von Affekten? Welche Erhebungsmethoden haben sich bewährt? Mit welchen Herausforderungen ist eine empirische Affektforschung konfrontiert?

Die Teilnahme an der Summer School bietet MA-Studierenden und Doktorandinnen die Möglichkeit, das eigene Forschungsprojekt bzw. Studienschwerpunkt mit profilierten internationalen Wissenschaftlerinnen und mit anderen Studierenden/Promovenden zu diskutieren; die Summer School besteht aus täglichen Workshops, in denen intensiv an eigenen Projekten gearbeitet wird, gerahmt von Vorträgen ausgewählter Forscherinnen im Bereich Affect Studies. Manche Vortragende nehmen an den Workshops als Expertinnen teil. Für die Teilnahme werden ECTS Punkte vergeben. Eine kontinuierliche Teilnahme über die gesamte Woche ist obligatorisch.

Bisher bestätigte Vortragende:
Yv E. Nay (Basel), Antke Engel (Berlin), Pascal Eitler (Max-Planck-Institut Berlin); angefragt derzeit u.a. Hilge Landweer (Berlin), Andreas Reckwitz (Frankfurt/Oder), Judith Butler (Berkeley).

Die Veranstaltung ist zweisprachig (Deutsch/Englisch). Die Kosten der Übernachtung in München können übernommen werden (Unterbringung in Doppelzimmern, mit Frühstück). Die Teilnahme ist kostenlos. Studierende/Promovierende der LMU werden bevorzugt zugelassen, doch steht die Summer School ausdrücklich allen Standorten offen.

Bewerbungen in Form eines Abstracts (ca. 300 Wörter) und eines CV (max. 1,5 Seiten) bis zum 31.1.18 an affekte@soziologie.uni-muenchen.de. Die Auswahl der Teilnehmenden erfolgt im März 2018.

Organisiert vom Lehrbereich Allgemeine Soziologie und Gender Studies der LMU München, Prof. Dr. Paula-Irene Villa. http://www.gender.soziologie.uni-muenchen.de
Nachfragen stellen Sie gern bei J. Fritsche; jana.fritsche@soziologie.uni-muenchen.de.


Programm

Kontakt

Jana Fritsche, jana.fritsche@soziologie.uni-muenchen.de

http://www.gender.soziologie.uni-muenchen.de/aktuelles/lehrstuhl/summer_school_2018/index.html
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
Sprache der Ankündigung