Das „demokratische Europa?“ Demokratie- und Parlamentarismusgeschichte Europas seit 1970

Das „demokratische Europa?“ Demokratie- und Parlamentarismusgeschichte Europas seit 1970

Veranstalter
Silke Mende, Caroline Rieger, Thomas Raithel (Institut für Zeitgeschichte München – Berlin); in Kooperation mit der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e.V. Berlin (KGParl)
Veranstaltungsort
Institut für Zeitgeschichte München – Berlin, Leonrodstraße 46 b, 80636 München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.11.2018 - 16.11.2018
Deadline
22.05.2018
Website
Von
Dr. Silke Mende und Caroline Rieger M.A., Institut für Zeitgeschichte München – Berlin

Debatten um Parlamentarismus und Parteiendemokratie bestimmen aktuelle politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen und haben gleichzeitig Anlass zu einer Reihe wissenschaftlicher Gegenwartsdiagnosen gegeben, die sich unter dem Schlagwort einer „Krise der repräsentativen Demokratie“ subsumieren lassen. Dieser Befund wird nicht nur mit Blick auf einzelne, meist westliche Nationalstaaten formuliert, sondern darüber hinaus vielfach innerhalb des (weit gesteckten) Themenfeldes „Europa“ aufgerufen. So sind es nicht nur die EU-Mitgliedsstaaten Ostmittel- und Südosteuropas, in denen die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat mit großer Sorge betrachtet wird, sondern auch dem institutionalisierten Europa wird in aktuellen Krisendiskursen immer wieder ein markantes „Demokratiedefizit“ attestiert. Kritisiert werden etwa die Überformung nationalstaatlicher Souveränität durch unzureichend legitimierte europäische Institutionen sowie die vermeintlich mangelnden Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse eines direkt gewählten Europäischen Parlaments. Damit ist in jüngster Vergangenheit wiederum ein über lange Zeit weitgehend unhinterfragtes Bezugssystem ins Wanken geraten, welches die Vorstellungen von „Europa“ in den Jahrzehnten zuvor stark geprägt hatte: eine häufig als unauflöslich wahrgenommene und auch offensiv präsentierte Verbindung von „Europa“, Demokratie, Rechtsstaat und Parlamentarismus.

Der Topos vom „demokratischen Europa“ als gedachter Ordnung bildet den Ausgangspunkt des vom Institut für Zeitgeschichte in Kooperation mit der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien (KGParl) veranstalteten Workshops, der die „Demokratie- und Parlamentarismusgeschichte Europas seit 1970“ zum Gegenstand hat. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem demokratischen Selbstverständnis und der politischen Praxis in verschiedenen europäischen Staaten sowie innerhalb des europäischen Institutionengefüges. Besonderes Augenmerk soll dabei den Phasen europäischer Erweiterung gelten, genau genommen jenen beiden großen Erweiterungsrunden, die mit dem Wandel politischer Systeme einhergingen bzw. diesen folgten: die europäische Süderweiterung nach der Transition der autoritären Regime in Griechenland, Portugal und Spanien in den 1970er Jahren sowie die Transformation der sozialistischen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas seit den 1990er Jahren. In beiden Phasen haben wir es mit Systemwechseln hin zu parlamentarischen Demokratien zu tun, die einige Jahre später Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union wurden. Der Workshop möchte die jeweiligen Transformationsphasen sui generis untersuchen, sie aber auch aufeinander beziehen. Das übergeordnete Erkenntnisinteresse zielt zum einen auf eine stärkere Binnendifferenzierung der Epoche „nach dem Boom“, indem das Verhältnis zwischen den Wandlungsprozessen der 1970er Jahre und der Zäsur von 1989/91 ausgelotet werden soll. Zum anderen möchte der Workshop zu einer differenzierteren Aufschlüsselung von „Europa“ als dynamischem Bezugs- und Imaginationsraum beitragen, indem er jenseits vereinfachter und dichotomischer Vorstellungen von „Zentrum“ und „Peripherie“ nach wechselseitigen Transferprozessen fragt.

Folgende Themenbereiche und Frageperspektiven sind denkbar:
- Wie war es um das vielfach angenommene Zusammenwirken von Demokratisierung bzw. Parlamentarisierung und Europäisierung bestellt? Lässt sich gar von einer „europäischen Verfassungskultur“ sprechen? Gab es (außer-)europäische Vorbilder, die als „role model“ für die Ausgestaltung von Demokratisierungs- und Parlamentarisierungsprozessen im Kontext der Transformationen dienten?
- Inwiefern beeinflussten die Debatten um europäische Erweiterung und demokratische Transformation nicht nur die Gesellschaften in den jeweiligen Beitrittsländern, sondern auch die Vorstellungen über Parlamentarismus in den jeweiligen „Kernländern“ der Europäischen Gemeinschaft bzw. Europäischen Union?
- Welche Erwartungen und Bedingungen wurden an die Beitrittskandidaten herangetragen? Inwiefern stellte die Süderweiterung einen Erfahrungsraum für die Osterweiterung dar?
- Inwiefern wurden vermeintlich gemeinsame europäische Vorstellungen von Parlamentarismus, Demokratie und Europa im Zuge der jeweiligen Transformations- und Erweiterungsprozesse (neu) konstruiert und verändert?
- Welche Bedeutung hatten die jeweiligen einzelstaatlichen bzw. nationalen Traditionen und Erfahrungsbestände – sowohl in den europäischen Mitgliedsstaaten als auch den Beitrittsländern –, die in nunmehr als gesamteuropäisch gefasste Diskurse und Erzählungen über das „demokratische Europa“ eingebracht wurden?
- Welche Rolle spielten die europäischen Institutionen, insbesondere das Europäische Parlament, in diesen Prozessen?
- Welche Bedeutung hatten zivilgesellschaftliche Akteure wie Oppositionsbewegungen, aber auch politische Stiftungen und Parteien?
- Welche Rolle kam den jeweiligen internationalen Bezügen, Rahmenbedingungen und Strukturen zu?
- Schließlich: Wie ist es gegenwärtig um das Demokratisierungspotential und die Demokratisierungsstrategien Europas bestellt? Und welche Rolle kommt Demokratie und Parlamentarismus im Selbstverständnis und der politischen Praxis Europas heute zu?

Die Vorträge können sich sowohl auf nationale Fallbeispiele als auch auf übergeordnete Fragestellungen beziehen. Selbstverständlich sind weitere, darüber hinaus gehende Vortragsvorschläge aus dem Themenfeld der Demokratie- und Parlamentarismusgeschichte Europas seit 1970 willkommen.

Vorschläge für Vorträge (20-25 Minuten) werden in Form eines ca. einseitigen Abstracts sowie einer kurzen biographischen Notiz bis zum 22. Mai 2018 erbeten. Wir freuen uns insbesondere über Vorschläge aus (laufenden) Forschungsprojekten von Doktorandinnen und Postdoktorandinnen. Beiträge aus benachbarten Disziplinen (z.B. Politik-, Rechts- und Sozialwissenschaften) sind ebenfalls sehr willkommen. Eine Rückmeldung über die Auswahl der Vorträge erfolgt bis zum 30. Juni 2018.

Der Workshop wird u.a. durch das GraduateCenter der LMU München gefördert. Zu den Reise- und Übernachtungskosten für Vortragende kann ein Zuschuss gewährt werden.

Für weitere Informationen und Rückfragen wenden Sie sich gerne an: Silke Mende (mende@ifz-muenchen.de) und Caroline Rieger (rieger@ifz-muenchen.de).

Programm

Kontakt

Dr. Silke Mende und Caroline Rieger M.A.
Institut für Zeitgeschichte München – Berlin
Leonrodstraße 46b
80636 München

mende@ifz-muenchen.de
rieger@ifz-muenchen.de