Ökonomische Krisen als Chance? Kooperation und Regulation in historischer Perspektive

Ökonomische Krisen als Chance? Kooperation und Regulation in historischer Perspektive

Veranstalter
Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg; Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern, Sebastian Knoll-Jung, Arne Schott
Veranstaltungsort
Internationales Wissenschaftsforum Heidelberg der Universität Heidelberg
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.07.2020 - 03.07.2020
Deadline
15.01.2020
Website
Von
Sebastian Knoll-Jung

[English version below]

Wirtschaftskrisen sind seit dem 19. Jahrhundert entgrenzt. Sie betreffen Staaten ebenso wie jeden Einzelnen. Entsprechend vielfältig und vielschichtig sind die Reaktionen auf solche Krisen. Sie reichen von der Angst vor Arbeitsverlust und Streiks (Arbeitnehmer/Innen), über Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung (Gewerkschaften), Kurzarbeit und Rationalisierungsschübe (Unternehmen) bis hin zu Subventions- und Deflationspolitik und Forschungs- und Förderprogrammen (Politik).

Bisher standen vor allem die durch Krisen ausgelösten Konflikte der Interessensgruppen im Fokus wissenschaftlicher Betrachtung. Weniger Aufmerksamkeit erregten hingegen jene Formen der Kooperation, die darauf zielten, Wandlungs- und Innovationsprozesse in Gang zu setzen, um korporatistische Krisenlösungen zu induzieren.

Hier setzt das durch die Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Aushandlung und Teilhabe im Programm ‚Humanisierung des Arbeitslebens‘“ an der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Heidelberg an. Es erforscht Möglichkeiten und Grenzen der politischen Steuerung in ökonomischen Krisenverläufen. Anhand der Umsetzung des HdA-Programms bei der Peiner AG, einem Maschinen- und Schraubenunternehmen mit Staatsbeteiligung, untersucht es Aushandlungsprozesse bei der Implementation von Veränderungen.

Zum Abschluss der Forschungsarbeit präsentiert das Projekt seine Ergebnisse und lädt dazu ein, Formen der Kooperation und Regulation im Kontext von Wirtschaftskrisen in historischer Perspektive zu diskutieren.

Ziel der Tagung ist es, Pluralitäten und Differenzen in der Aneignung und Umsetzung von Kriseninterventionsmaßnahmen sichtbar zu machen. Hierfür stellen fünf Sektionen verschiedene Akteursgruppen und Perspektiven in den Vordergrund:

1. Veränderung der Machtverhältnisse? – Staatliche Regulation und Korporatismus

Dieses Panel fokussiert Gesetze, Reformen und Förderprogramme, ihre Wirkung auf Gewerkschaften und Unternehmen sowie deren Beitrag zur Gestaltung der staatlichen Initiativen. Es geht darum, Kooperationsarrangements aufzuzeigen und die Veränderung von Machtverhältnissen durch staatliche Interventionen und Regulationen zu analysieren. Diese Arrangements können an eine Traditionslinie des Korporatismus anschließen, zu der sich die Zentralarbeitsgemeinschaft (1918-1924), die Konzertierten Aktion (1967-1978) und auch das HdA-Programm (1974-1989) zuordnen lassen. Vorschläge dieses Panels nehmen zeit-, diskurs- oder ideengeschichtlich Perspektiven auf.

2. Mobilisierung von Expert/Innenwissen in Staat, Gewerkschaften und Unternehmen

In diesem Panel wird untersucht, welche Rolle Expert/innen und ihrem Wissen in Krisen zukommt. Zur Diskussion steht, wie sie sich in unterschiedlichen Organisation einbringen; wie sie dazu beitragen, bestimmte Wissensinhalte zu kanonisieren und andere zu verwerfen; wie sie dabei mit den anderen Akteuren vom Arbeiter bis zur Ministerin, vom Unternehmensmanagement bis zum Sachverständigenrat interagieren. Die Strukturen des Wissenschaftsbetriebs mit ihren Abhängigkeiten, ihren möglichen Wirkungen und Potentialen für aktuelle Programme werden hier thematisiert. Beiträge können biographisch angelegt, vergleichend oder wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtet sein.

3. Technische Innovationen als sozialer Konfliktstoff? – Rationalisierung, Automatisierung, Digitalisierung

Rationalisierung, Automatisierung und Digitalisierung sind wichtige technische Entwicklungen mit denen auf Krisen reagiert wird oder diese auslösen. Sie verändern Arbeitswelten und damit auch die industriellen Beziehungen tiefgreifend. Diese Sektion zielt darauf ab, das Spannungsfeld zu vermessen, das Technik als Triebkraft für Veränderungen einerseits und als Verursacher von Problemen wie Arbeitslosigkeit oder Arbeits- und Umweltbelastungen erzeugt. Hier können sowohl Erfahrungen und Praktiken auf individueller Ebene als auch Diskurse über die sozialen Konflikte infolge technischer Innovation behandelt werden.

4. Lernen von den Anderen? – Transnationale Kooperation und internationaler Vergleich

Diese Sektion widmet sich einerseits dem transnationalen Austausch über Kooperationsformen und bietet andererseits die Möglichkeit, Kriseninterventionsmaßnahmen unterschiedlicher Akteure und Organisationen international zu vergleichen. Hier können Kooperationspotentiale in verschiedenen Konfliktkulturen thematisiert werden. Sowohl länder- als auch systemvergleichende Beiträge sowie globalgeschichtliche Perspektiven sind hier willkommen. Außereuropäische Kontexte sind ausdrücklich erwünscht.

5. Ausschlüsse durch Differenz? – Intersektionale Perspektive auf die Verteilung von Arbeit

Von Krisen und Kriseninterventionen sind zumeist die unteren Hierarchieebenen in Unternehmen in besonderem Maße betroffen. Doch auch hier zeigen sich Binnendifferenzierung. Die vermehrte Freisetzung weiblicher Arbeitskräfte in Krisenzeiten ist ein Beispiel dafür. Deshalb diskutiert diese Sektion die Bedeutung von Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildung und körperlicher Integrität auf die Positionierung von Personen oder Personengruppen in Krisenverläufen sowie die Rolle, die Staat, Gewerkschaften und Unternehmen bei der Verteilung von Arbeit in diesen Kontexten spielen.

Haben wir Ihr Interesse geweckt. Möchten Sie sich mit einem Beitrag an der Tagung beteiligen? Dann senden Sie uns bis zum 15.01.2020 einen Vorschlag für einen 30-minütigen Vortrag in Formen eines Exposés (max. 3000 Zeichen) inklusive eines Curriculum Vitae zu. Bitte ordnen Sie Ihren Beitrag im Exposé einer der Sektionen zu. Senden Sie uns die Unterlagen in elektronischer Form, möglichst als zusammenhängendes PDF. Die Reise- und Übernachtungskosten der Vortragenden werden übernommen. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Ein Tagungsband ist geplant, in dem ausgewählte Beiträge nach einem peer-review-Verfahren veröffentlicht werden.

[English version]

Call for Papers: Economic Crises as an Opportunity? Cooperation and Regulation in Historical Perspective

Conference from 01-03 July 2020, Heidelberg, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Economic crises have abounded since the 19th century, affecting states as well as every individual. The responses to such crises are therefore understandably diverse and complex, ranging from the fear of loss of work and strikes (workers), to measures to secure employment (unions), short-time work and rationalisation (companies), to subsidy and deflation policies, research and funding programs (politics).

Until now the conflicts of interest groups triggered by crisis have been the focus of scientific observation, with less attention paid to those forms of cooperation aimed at initiating processes of change and innovation in order to induce corporatist crisis solutions.

This is the research gap that the project “Negotiation and Participation in the Program ‘Humanisation of Working Life (HdA)’”, sponsored by the Hans Böckler Foundation, at the Chair of Economic and Social History at the University of Heidelberg aims to fill. It explores the possibilities and limits of political governance in economic crises. Based on the implementation of the HdA program at Peiner AG, a state-owned machine and screw company, it examines negotiation processes in the implementation of changes.

As a conclusion to the research, the project will present its results and invites others to discuss forms of cooperation and regulation in the context of economic crises in a historical perspective.

The aim of the conference is to make visible the pluralities and differences in the acquisition and implementation of crisis intervention measures. For this purpose, five sections focus on different groups of actors and perspectives:

1. Change in the balance of power? State regulation and corporatism

This panel focuses on laws, reforms and funding programs, their impact on unions and companies, and their contribution to shaping government initiatives. It is about showing cooperation arrangements and analysing the change in power relations through state interventions and regulations. These arrangements can be connected to a tradition of corporatism, to which the Central Working Community (Zentralarbeitsgemeinschaft 1918-1924), the Concerted Action (Konzertierten Aktion 1967-1978) and the HdA program (1974-1989) can be assigned. Proposals for this panel should address the perspectives of time, discourse or ideas.

2. Mobilising expert knowledge in the state, trade unions and companies

This panel examines the role of experts and their knowledge in crises. Up for discussion is how they bring in different organisations; how they help to canonise certain knowledge regimes and discard others; how they interact with other actors, from the worker to the minister, from company management to the expert council. The structures of the scientific enterprise with their dependencies, their possible effects and potential for current programs are to be discussed here. Contributions can be biographical, comparative or science-oriented.

3. Technical innovations as a social conflict? Rationalisation, automation, digitisation

Rationalisation, automation and digitisation are important technical developments that respond to or trigger crises. They change working environments and thus also industrial relations profoundly. This section aims to measure the field of tension that generates technology as a driver of change on the one hand and as the cause of problems such as unemployment or labour and environmental burdens. Here, both experiences and practices on an individual level as well as discourses on the social conflicts resulting from technical innovation can be discussed.

4. Learning from others? Transnational cooperation and international comparison

On the one hand, this section is dedicated to the transnational exchange of forms of cooperation and, on the other hand, offers the opportunity to compare crisis intervention measures of different actors and organisations internationally. Here cooperation potentials in different conflict cultures can be addressed. Both country- and system-comparative contributions as well as perspectives on global history are welcomed here. Non-European contexts are expressly desired.

5. Exclusions by difference? Intersectional perspective on the distribution of work

Of crises and crisis interventions, the lower hierarchy levels in companies are the most affected. However, here too, internal differentiation is evident. The increased release of female workers in times of crisis is an example of this. Therefore, this section shall discuss the importance of gender, age, background, education and physical integrity in positioning people or groups of people in crises, as well as the role of the state, unions, and companies in distributing work in these contexts.

Have we piqued your interest? Would you like to participate in the conference? Then send us a suggestion for a 30 minute presentation in the form of an exposé (max 3000 characters) including a CV until January 15, 2020. Please assign your contribution to one of the sections above. Send us the documents in electronic form, preferably as a PDF. The travel and accommodation costs of the speakers will be provided. The conference languages shall be German and English. Following the conference we plan to publish selected contributions after a peer review process.

Programm

Kontakt

Sebastian Knoll-Jung, M.A.

Historisches Seminar der Universität Heidelberg
Grabengasse 3-5
69117 Heidelberg

sebastian.knoll-jung@zegk.uni-heidelberg.de