Jenseits des Zeitstrahls: Wie wir die Geschichte (auch des Mittelalters) anders schreiben können

Jenseits des Zeitstrahls: Wie wir die Geschichte (auch des Mittelalters) anders schreiben können

Veranstalter
Professur für Mittelalterliche Geschichte, Universität Erfurt, Prof. Dr. Sabine Schmolinsky, Julia Seeberger, Prof. Dr. Markus Vinzent, Max-Weber-Kolleg Erfurt/King’s College London, Marie Anne Vannier, Université Metz, und Prof. Dr. Dietmar Mieth, Leiter der Meister-Eckhart-Forschungsstelle Erfurt
Veranstaltungsort
Internationales Begegnungszentrum (IBZ), Michaelisstraße 38, 99084 Erfurt
Ort
Erfurt
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.09.2020 - 16.09.2020
Deadline
15.02.2020
Website
Von
Julia Seeberger

Zur allgemeinen menschlichen Lebenserfahrung gehört, dass Entwicklungen von früheren zu späteren Zuständen geschehen. Diese Verläufe werden daher gern vom weiter zurückliegenden zum zeitlich näheren Zeitpunkt erzählt. Eine derart chronologisch voranschreitende Geschichtsschreibung wird im Allgemeinen akzeptiert, obwohl theoretisch-methodisch anerkannt ist, dass die Erforschung und die Erzählung vergangener Sachverhalte immer von einer Gegenwart aus rückblickend erfolgen. Die Frage ist allerdings, wie intensiv reflektiert wird, dass dabei eine kausal determinierte Rezeptionsgeschichte impliziert ist und nicht nur die Einflüsse der eigenen, gegenwärtigen Standpunkte und Vorstellungen methodisch einbezogen sind.

Der Patristiker und Mediävist Markus Vinzent hat kürzlich diese Rezeptionsgeschichte bei der Erzählung von Vergangenem problematisiert. In seinem 2019 erschienenen Buch „Writing the History of Early Christianity. From Reception to Retrospection“ (Cambridge University Press) vertritt Vinzent die Idee der Retrospektion als eine kritische Methode der Historiografie und exemplifiziert sie an mehreren Beispielen aus der Anfangszeit des Christentums. Grundgedanke der Retrospektion ist es, die Geschichte nicht vorwärts, im Sinne einer voranschreitenden Chronologie zu (re-)konstruieren und damit zu erforschen, und sie nicht nur rückwärtsgewandt zu betrachten, sondern sie auch anachronologisch zu schreiben. Kontinuitäten und Linearitäten werden dabei eine Absage erteilt. Vinzents historiografische Methode der Retrospektion kennt keine Quellen mehr, keinen Urtext, keine Originale und keine Autoritäten (auctoritates). Vielmehr wird durch die Retrospektion der Autor/die Autorin der historiografischen Produktion selbst zum Subjekt der Geschichte, das verschiedene Objekte in Angriff nimmt.

Bedeutet Retrospektion, den Zeitstrahl einfach umzudrehen und die Richtung der Geschichtsschreibung zu ändern, oder verändern sich dadurch sowohl die Geschichtsschreibung als auch das zu entwerfende Geschichtsbild? Kann sich die Geschichtswissenschaft – ohne Gegenwehr – von der Unterscheidung der Kategorien der Quelle und der Forschungsliteratur verabschieden? Sind nicht der Zeitstrahl und seine Chronologie elementare Bestandteile historischen Arbeitens?
Jenseits einer chronologisch ausgerichteten Geschichtsschreibung will der Workshop vor allem am Beispiel der mittelalterlichen Geschichte unterschiedliche Methoden diskutieren, wie Geschichte geschrieben werden kann. Mögliche Themenbereiche sind:

(1) In welche Richtung schreiben?: Welche Auswirkungen hat die Schreibrichtung der Geschichte auf ihre Erzählungen? Wie können wir die Schreibrichtung von Geschichte verändern?
(2) Jenseits des Zeitstrahls: Was bedeutet Zeit für und in einer historiografischen Konzeption? Zu welchen Veränderungen führt die Methode der Retrospektion in der Historiografie? Wie gestaltet sich retrospektives Arbeiten in der Geschichtswissenschaft? Zu welchen Veränderungen im Geschichtsbild führt die Retrospektion, besonders mit Blick auf das Mittelalter?
(3) Narrativität und Zeit: Welchen Mehrwert haben narrative Elemente in der historiografischen Textproduktion? Was bedeuten z.B. Flashbacks und Flashforwards in der Narration von Geschichte? Welche Erkenntnisse vermittelt das kontrafaktische Erzählen einer virtual history? Was passiert, wenn historisch Forschende selbst zu Akteuren und Akteurinnen der Geschichte werden?

Der Workshop will Beiträge aus der Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft, Philosophie, Religionswissenschaft und Kulturanthropologie in einen Dialog bringen. Insbesondere NachwuchswissenschaftlerInnen sind eingeladen sich zu bewerben.

Der Workshop findet auf der Basis von pre-circulated papers statt. In diesen Debattenbeiträgen, die im Vorfeld an die Teilnehmenden versendet werden, sollen kurze, aussagekräftige Stellungnahmen zu Aspekten der oben aufgeworfenen Fragen erfolgen. Bei dem Workshop selbst sollen die papers nur kurz von dem Verfasser/der Verfasserin vorgestellt werden und anschließend soll eine Diskussion eröffnet werden. In einem Abendvortrag wird Prof. Dr. Markus Vinzent sein neues Buch vorstellen.

Interessierte sind eingeladen, Themenvorschläge mit einer kurzen Skizze (ca. 500 Wörter) einzureichen. Ihre Vorschläge können Sie auf Deutsch oder Englisch verfassen. Die Konferenzsprachen werden Deutsch und Englisch sein.

Wir bemühen uns um eine Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten.
Bitte senden Sie Ihren Vorschlag bis zum 15. Februar 2020 an Julia Seeberger: julia.seeberger@uni-erfurt.de.

Programm

Kontakt

Julia Seeberger

Universität Erfurt - Mittelalterliche Geschichte

julia.seeberger@uni-erfurt.de


Redaktion
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