Outer Space. Faszination Weltraum

Outer Space. Faszination Weltraum

Veranstalter
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.10.2014 - 22.02.2015

Publikation(en)

Cover
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Outer Space. Faszination Weltraum. Berlin 2014 : Nicolaische Verlagsbuchhandlung, ISBN 978-3-89479-873-4 280 S., 512 Abb., 1 DVD € 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jana Bruggmann, Emmy-Noether-Forschergruppe „Die Zukunft in den Sternen. Europäischer Astrofuturismus und außerirdisches Leben im 20. Jahrhundert“, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Bundeskunsthalle Bonn präsentiert mit der Ausstellung „Outer Space. Faszination Weltraum“ eine interdisziplinäre Schau, in der Wissenschaft, Raumfahrtgeschichte, Kunst und Populärkultur miteinander in Dialog treten. Entsprechend zeigt die von Stephan Andreae und Claudia Dichter kuratierte Ausstellung technische und historische Artefakte aus Raumfahrt und Astronomie zusammen mit künstlerischen Exponaten von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Große Aufmerksamkeit findet nicht zuletzt die Populärkultur, die Weltraumvorstellungen im 20. Jahrhundert maßgeblich prägte.

Während der Weltraum als Ausstellungsthema bereits auf eine gewisse Tradition zurückblicken kann – schon 1927 fand in Moskau die „Erste Weltausstellung von Modellen interplanetarer Apparate und Mechanismen“ statt –, gelingt es den Bonner Kuratoren, sich durch den interdisziplinären Ansatz von früheren Weltraumausstellungen abzuheben. Diese eröffneten meist einen rein kunst-, raumfahrt- oder astronomiebezogenen Zugang, so beispielsweise „Weltraum: Die Kunst und ein Traum“ (Kunsthalle Wien 2011). Oder sie fokussierten auf einen Teilbereich des hier gezeigten Spektrums, wie raumfahrtbezogene Wechsel- und Dauerausstellungen in Technikmuseen. Keinem roten Faden folgend, will „Outer Space“ emotionale Räume schaffen, welche die unterschiedlichen Facetten von Weltraumfaszination nicht nur beleuchten, sondern auch evozieren (Ausstellungsarchitektur: Wilfried Kühn mit Mira Schröder und Thomas Güthler). Zu sehen sind unter den rund 300 Exponaten von über 80 verschiedenen Leihgebern denn auch einige Publikumsattraktionen – das Spektrum reicht von Peter Paul Rubens’ Gemälde „Die Geburt der Milchstraße“ (1636–1638) bis zur „Star-Wars“-Figur „Yoda“, wodurch unterschiedlichste Besucherinteressen bedient werden. Dabei stimmt bereits der Museumsplatz auf die Ausstellung ein: Ein zwölf Meter hohes Modell der Trägerrakete Ariane 5 (Maßstab 1:5) lockt ebenso wie Slogans auf einer Leuchtreklametafel. „Wo wohnt E.T.?“, ist da beispielsweise zu lesen oder der geradezu als Versprechen angelegte und der TV-Serie „Star Trek“ entlehnte Ausruf: „Beam me up, Scotty!“.

Der erste von zwölf Themenräumen lädt mit dem Titel „Lift Off“ schon zum Abheben ein. Die in dunklem Rot gehaltene, sechseckige Kammer präsentiert lediglich wenige Exponate, die exemplarisch für die in der Ausstellung behandelten Schwerpunkte Geschichte, Raumfahrt, Astronomie und Kunst stehen. Anschließend wendet sich die Ausstellung der Raumfahrt zu und führt in die Themenräume „Rakete“ und „Failure is not an option“. Das dröhnende Geräusch eines Sojus-Raketenstarts (ISS-Expedition 38, Baikonur, November 2013) ist bereits im Vorraum zu hören. Als Gegenüberstellung zu Fritz Langs Stummfilm „Frau im Mond“ (1929) wird hier die wechselseitige Beeinflussung von Science Fiction und Science Fact angesprochen. Denn der Stummfilm nahm den nunmehr bei Raketenstarts in der westlichen Welt üblichen Countdown vorweg (Katalog, S. 38). Das Beispiel des 1927 in Breslau gegründeten Vereins für Raumschiffahrt (VfR) und die spätere Verbindung einzelner seiner Mitglieder mit dem Nationalsozialismus verweist hingegen auf politische Implikationen und kriegerische Ambitionen, welche die Entwicklung der Raketentechnologie in ihrer Pionierphase bestimmten. Der Raum „Failure is not an option“ legt den Schwerpunkt auf die Nachkriegszeit und ist dem ‚Space Race’ gewidmet. Artefakte der sowjetischen Raumfahrtgeschichte werden hier jenen der amerikanischen Seite gegenübergestellt. Nach der Erkenntnis „Der Mond ist jetzt ein Ami“ („Bild“-Zeitung, 21. Juli 1969) verzweigen sich die Räume – der Besucher steht vor einer Weggabelung („Vom Runden“ und „Outer Space“).

Der achteckige, in schwarz gehaltene Raum „Outer Space“ wird von einer großen Vitrine dominiert, welche von Figuren aus populären Science-Fiction-Filmen bevölkert ist. „Outer Space“ wird damit – willentlich? – auf das Imaginäre gemünzt. So grüßen hier popkulturelle Ikonen wie E.T., der Roboter R2-D2 und Yoda aus „Star Wars“ oder der Prototyp von H.R. Gigers „Alien“ aus dem gleichnamigen Film (1978/79). Neben der Begegnung mit außerirdischen Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts sind unter anderem Zeichnungen aus dem späten 19. Jahrhundert zu sehen, die Einblicke in frühere Weltraumimaginationen gewähren. Erwähnenswert sind zudem Lou Zinsstags Fotoalben aus den 1950er-Jahren, welche Fotos von gestellten sowie angeblich echten UFO-Sichtungen versammeln. Während hier das Unheimliche und Fantastische gleichsam den Status des Realen und wissenschaftlich Verbürgten einzufordern scheint, präsentiert sich der angrenzende Themenraum „Alltag“ eher unspektakulär. Abgesehen von Zeichnungen der Architektin Galina Balashova, die beispielsweise Farbstudien für den Innenraum der Sojus 19 anfertigte, verrät der Raum leider nur wenig Unbekanntes über den tatsächlichen Alltag der Astronauten.

Während rund die Hälfte der Ausstellungsräume auf Raumfahrt und Science Fiction bezogen ist, widmen sich die anderen Themenschwerpunkte eher philosophisch-abstrakten Aspekten – wenngleich auch hier fast durchgehend Artefakte aus der Raumfahrt präsent sind. „Vom Runden“ zeigt – man kann es kaum anders formulieren – allerlei Rundes vorrangig aus den Bereichen Astronomie und Kunst: Ein Himmelsglobus von Willem J. Blaeu aus dem Jahre 1616, Marsgloben (um 1900), Camille Flammarions „Carte générale de la Planète Mars“ (1894) sowie astronomische Fotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert gesellen sich zu Werken des Franzosen Odilon Redon (1840–1916) und des Russen Pavel Pepperstein (geb. 1966), die wiederum mit ausgewählten Raumfahrtfotografien kombiniert sind. Die hier geschaffenen Konstellationen und Gegenüberstellungen sowie ein Zitat des Philosophen Peter Sloterdijk machen die Anlehnung an dessen „Sphärologie“ deutlich. Sloterdijks Trilogie „Sphären“ (1998–2004), die als eine umfassende Raum- oder Raumerkundungsphilosophie angelegt ist, scheint den Kuratoren als Schirm zu dienen, unter welchem sich Kreisformen, Hohlräume und Rundkörper nach dem Prinzip der Formalanalogie zwar augenfällig, aber wenig aussagekräftig vereinen lassen. Blickfang ist das prominent platzierte Werk „O“ (2010) des Japaners Hiroyuki Masuyama: eine für Besucher begehbare Kugel aus 4.200 Holzstücken, in deren Innern ein realistisch wirkender Sternenhimmel zu entdecken ist – was die Phänomenologie des Runden auf Fragen nach Original und Simulation zuspitzt.

Die nächsten beiden Räume widmen sich dem Spiel von „Licht und Schatten“ – beleuchtet werden Sonne und Mond als Sehnsuchtsorte und Projektionsflächen – sowie „23°“. Der Besucher begegnet unter anderem Max Ernsts Bronzeskulptur „Moonmad“ (1944), Galileo Galilei vor dem Konzil (Friedrich Karl Hausmann: Galileo Galilei vor dem Konzil der Dominikaner, Öl auf Leinwand, 1852), astronomischen Instrumenten zur Himmelsbeobachtung sowie August Strindbergs „Celestografien“ von 1893/94. Auf Strindberg bezieht sich auch der eher kryptische Raumtitel „23°“. Der schwedische Autor und Künstler vertrat die These, die Sonne zeichne einen imaginären Kreis auf das Himmelsgewölbe, der einen Winkel von 23° auf dem Himmelsäquator bilde, ähnlich wie sich auch im Auge ein runder gelber – einzig lichtempfindlicher – Fleck 23° über dem Eintritt des Sehnervs befinde (Katalog, S. 214f.). Ob dieser spekulative Zusammenhang für den Besucher von richtungsweisender Relevanz ist, sei dahingestellt. Deutlich wird aber der eigentliche Schwerpunkt dieser beiden Räume: die Faszination an der Himmelsbeobachtung von der Frühen Neuzeit bis in die jüngste Gegenwart, die Wissenschaftler und Künstler gleichermaßen dazu inspirierte, den Horizont des Bekannten zu überschreiten.

Dass das Extraterrestrisch-Unbekannte jedoch nicht nur Sehnsüchte und Hoffnungen schürt, sondern auch Ängste, die in Geschichte und Gegenwart zahlreiche Bedrohungsszenarien heraufbeschworen, thematisieren die Räume „Schweben und Stürzen“, „Richtkräfte“ und „Kollision“. Die glockenförmige amerikanische Raumkapsel „Liberty Bell 7“ steht exemplarisch für eine Beinah-Katastrophe in der Geschichte der Raumfahrt, die den Astronauten Virgil Grissom 1961 beinahe das Leben kostete. Er selbst wurde nach einer zu frühen Sprengung der Luke gerettet, die Raumkapsel sank aber auf den Meeresgrund und konnte erst 1999 geborgen werden. Neben Risiken der Raumfahrt verweist ein Raumanzug aus dem US-amerikanischen Katastrophenfilm „Armageddon“ (1998) auf das imaginative Potential kosmischer Katastrophenszenarien. Poetisch wirkt hingegen die Arbeit „All the Dead Stars“ (2009) der britischen Künstlerin Katie Paterson, die auf einer Aluminium-Karte alle 27.000 beobachteten Sterntode verzeichnete.

Für eine Überraschung sorgt der schwarz gehaltene, runde Raum „Triebwerk und Tierkreis“, der szenografisch einer Kultstätte gleicht. Das in der Mitte platzierte Viking-5c-Haupttriebwerk einer Ariane 4 ist umstellt von patinierten Bronzeportraits der „Zwölf Sternzeichen“ (1979/80) der Schweizer Künstlerin Eva Aeppli. Die auf das Triebwerk blickenden Köpfe laden das Artefakt nicht nur ästhetisch, sondern geradezu mythisch auf. Spätestens hier wird deutlich, was die Ausstellung dezidiert nicht will: Weltraum und Raumfahrt entmythisieren. Vielmehr steht, wie der Titel bereits ankündigt, die „Faszination Weltraum“ im Zentrum der Schau. Denn Informationen könne man heute ohne Probleme im Internet abrufen, argumentiert der Kurator Stephan Andreae. Die Chancen des Formats Ausstellung lägen im Zeitalter der Virtualität vielmehr im Schaffen emotionaler Räume. Angestrebt wird, laut Claudia Dichter, eine „assoziative Erzählung der technokulturellen Weltraumgeschichte“, eine „Suche nach sinnlicher Erkenntnis“ (Einleitung zum Katalog, S. 16). Ergänzt wird die Ausstellung denn auch durch einen umfangreichen und schön gestalteten Katalog, der sich unabhängig von der Ausstellung als Nachschlagewerk benutzen lässt. Allerdings hilft er bei der Vertiefung in die Materie nur bedingt weiter: Die lexikalische Strukturierung der ersten Hälfte des Bandes liefert zwar Kurzinformationen zu zahlreichen Begriffen von „Abendstern“ bis „Zwergplanet“ (dies entstand in Kooperation mit Wikimedia Deutschland), enthält jedoch lediglich vereinzelte Beiträge, welche die menschliche Beschäftigung mit dem Weltraum breiter erörtern.

Geschlossen wird der Rundgang durch ein zeitgenössisches Memento mori: Gianni Mottis „Big Crunch Clock“ (1999) zählt die Zeit – ca. fünf Billionen Jahre – bis zur Explosion der Sonne herunter und ruft damit sowohl die Konstanz wie auch die Vergänglichkeit unseres Sonnensystems ins Bewusstsein. Insgesamt zeigt sich der interdisziplinäre Ansatz als die größte Stärke der Schau, wenngleich das Potential des Dialogs zwischen den Disziplinen nicht vollends ausgeschöpft wird. Der Verzicht auf eine lineare Darstellung verhindert zwar, Geschichte(n) lediglich zu illustrieren. Gleichzeitig läuft die Ausstellung aber Gefahr, durch die assoziativ-kaleidoskopischen Räume und Objektzusammenstellungen stellenweise beliebig zu wirken. Je mehr die Exponate ihren ursprünglichen historischen und fachlichen Kontexten entrissen sind, sie als ästhetische Objekte isoliert und in neue Zusammenhänge gestellt werden, umso wesentlicher wären ausstellungsstrukturierende Fragen oder Thesen, welche jedoch stets implizit bleiben. Dennoch gelingt es den Kuratoren, das Thema Weltraum aus unterschiedlichen Blickwinkeln sicht- und erfahrbar zu machen. Die Ausstellung eröffnet anhand einer Fülle von kuriosen bis hochkarätigen Exponaten Einblicke in kollektiv verankerte Narrative, Objekt- und Bildwelten, die im Schnittpunkt von Wissenschaft, Raumfahrt, Kunst und Populärkultur unsere Weltraumwahrnehmung konstituieren. Im Spannungsfeld von „Outer“ und „Inner Space“ lässt sich damit letztlich auch die Frage klären, wo E.T. seinen Wohnsitz hat: in unseren Köpfen.