Jüdisches Museum Oslo

Veranstalter
Jüdisches Museum Oslo
Ort
Oslo
Land
Norway
Vom - Bis
08.09.2008 - 31.12.2009

Publikation(en)

Oslo Jewish Museum (Hrsg.): Freedom is never won once and for all. . Oslo 2009 : Selbstverlag des Herausgebers 46 S. NOK 50,00 (€ 5,50)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Lillteicher, Willy-Brandt-Haus Lübeck

Die Errichtung eines Jüdischen Museums in Oslo mag den Laien wundern. Norwegen ist dem breiten Publikum weder als ein Land bekannt, in dem Juden lebten, noch als Ort der Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs. Die erste norwegische Verfassung von 1814 hatte Juden und Jesuiten den Grenzübertritt verboten. Der lutheranische Protestantismus wurde zur Staatsreligion erklärt. Es ist dem Engagement des Lyrikers und Nationaldichters Henrik Wergeland (1808–1845) zu verdanken, dass das norwegische Parlament 1851 den betreffenden Paragraphen aus der Verfassung strich und damit Juden die Ansiedlung ermöglichte. In den Jahren 1880 bis 1920 wuchs die Anzahl der Juden in Norwegen von ungefähr 50 auf 1.300, und die erste jüdische Gemeinde wurde in den 1890er-Jahren gegründet. Das religiöse Leben teilte sich in zwei Kongregationen. 1920 weihte die mosaische Religionsgemeinschaft die erste Synagoge in Norwegen ein. Die Synagoge in der Calmeyers gate, in der sich heute das Jüdische Museum befindet, wurde 1921 von der Israelitischen Kongregation gegründet.

Wie überall in Europa machte der von Nazi-Deutschland geführte Vernichtungskrieg auch der jüdischen Existenz in Norwegen ein Ende. Auf Befehl deutscher Stellen verhaftete die norwegische Polizei in den Monaten Oktober und November 1942 überall im Land Juden. Viele wurden zunächst per Schiff nach Stettin deportiert und von dort per Zug weiter nach Auschwitz. Der letzte Transport auf der D/S Gotland verließ am 24. Februar 1943 den Hafen von Oslo. Die Synagoge in der Calmeyers gate blieb in Benutzung, bis die Quisling-Regierung sie 1942 schließen ließ. Von den 28 Juden, die im Vorderhaus der Synagoge lebten, wurden 19 deportiert und ermordet.

Das am 8. September 2008 mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit eröffnete Jüdische Museum Oslo ist nicht nur zu einem Zentrum für jüdische Geschichte geworden, sondern hat sich rasch zu einem wichtigen Treffpunkt für Juden in Norwegen und zu einem Ort der historischen Selbstvergewisserung entwickelt. Mit Sinn fürs Detail haben die Restauratoren in Teilen des früheren Beit HaKnesset die alte Wandmalerei freigelegt. Selbst die sanitären Anlagen sind Teil der neuen Ausstellung geworden. Eine innovative Präsentation jüdischer Witze macht den Gang zum stillen Ort zu einem besonderen Erlebnis. Für die jetzige Ausstellung steht allerdings noch nicht die ganze ehemalige Synagoge zur Verfügung. Finanziert wurden Umbau und Ausstellung vom norwegischen Staat und der Stadt Oslo mit rund 3 Millionen NOK (ca. 339.000 Euro). Beide tragen im Verhältnis 40 zu 60 Prozent die laufenden jährlichen Kosten – darunter vier feste Stellen – in Höhe von 5,5 Millionen NOK (ca. 621.000 Euro), so dass das Jüdische Museum auch in Zukunft seinen Aufgaben in Forschung und Pädagogik nachkommen kann. Das Haus fügt den Erzählungen der zwei anderen großen Einrichtungen in Oslo – dem HL-senteret (Zentrum für Holocaust-Studien und religiöse Minderheiten in Norwegen) und dem Norges Hjemmefront Museum (Widerstandsmuseum) – eine dritte Erzählung über Krieg und Besatzung hinzu, diesmal jedoch aus jüdischer Perspektive.

Betrachtet man andere jüdische Museen in Europa, so würden die Besucher auch in Oslo eine ständige Ausstellung über das jüdische Leben von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute erwarten. Die Museumschefin und ihre Kuratoren haben sich jedoch gegen das gängige Konzept entschieden und den Museumsbetrieb mit einer Ausstellung eröffnet, die nicht auf Dauer gezeigt werden soll. Unter dem Titel „Friheten vinnes ikke bare én gang“ (Freedom is never won once and for all / Freiheit wird nie ein für allemal gewonnen) zeigt die Ausstellung das Engagement und den Beitrag herausragender jüdischer Persönlichkeiten für die norwegische Gesellschaft. An diesen Biographien entlang werden wichtige Kapitel der norwegisch-jüdischen Geschichte entwickelt. Die Ausstellung verzichtet also auf eine explizite Vermittlung von Kontexten und erzählt diese implizit.

Die Schau des Jüdischen Museums Oslo teilt sich in zwei Sphären, in denen Juden maßgeblich wirkten: im Kulturleben Norwegens und im Kampf gegen die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Unter den Widerstandskämpfern sind es vor allem jüdische Angehörige der alliierten Streitkräfte bzw. der Anti-Hitler-Koalition, die im Vordergrund stehen. Keineswegs werden nur Personen porträtiert, deren Familiengeschichte bis in das Norwegen des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Auch die Einwanderung in das Nachkriegsnorwegen spielt eine Rolle.

Mit den thematischen Schwerpunkten haben die Kuratoren bewusst positive Akzente gesetzt, die Juden wie Nichtjuden gleichermaßen einen Blick auf die Geschichte ermöglichen. Der fundamentale Einschnitt von Zweitem Weltkrieg und Holocaust vermittelt sich wiederum eher indirekt. So erscheinen die Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges im Lichte von Biographien des couragierten bewaffneten jüdischen Widerstands. Die Schau bietet also viele Möglichkeiten der positiven Identifikation. Ein jüdisches Museum kann und soll kein Holocaust-Museum ersetzen – gerade auch in Oslo nicht, wo die ständige Ausstellung des HL-senteret in der Villa Grande (dem ehemaligen Dienstsitz von Vidkun Quisling) diese Geschichte zeigt. Dennoch darf man fragen, ob die jüdische Perspektive auf Krieg und Besatzung zwingend diejenige des bewaffneten Widerstands sein muss. Hier wird die historische Darstellung vielleicht zu sehr den Bedürfnissen der Gegenwart unterworfen. Ebenso sollte man sich fragen, ob die Besucher nach dem Gang durch faszinierende Lebensläufe tatsächlich den historischen Kontext verstanden haben. Der biographische Zugang erleichtert vieles, doch kann er die Auseinandersetzung mit den Kontexten nicht vollständig ersetzen.

Unter den präsentierten jüdischen Künstlern sei hier die Geschichte von Ernst Glaser (1904–1979) hervorgehoben. Glaser kam in den 1920er-Jahren nach Norwegen; damit stand er am Ende einer langen Reihe deutscher Musiker, die seit den 1880er-Jahren nach Norwegen einwanderten. Der Geiger wurde schon mit 24 Jahren Mitglied des Osloer Philharmonischen Orchesters. Nach Erhalt der norwegischen Staatsbürgerschaft 1933 konnte er sich zu den besten Violinisten Norwegens zählen. Sein musikalisches Wirken wurde nach dem deutschen Einmarsch in Norwegen immer schwieriger. Dies führte ihm ein Konzert mit dem Philharmonischen Orchester von Bergen am 26. Februar 1941 unmissverständlich vor Augen. Als Glaser auf die Bühne trat, brach im Publikum ein von Nazischergen initiierter Protest aus. Flugblätter flogen von den Rängen. Es gab gewaltsame Ausschreitungen, die der damalige Dirigent Harald Heide nur durch Anstimmen der Nationalhymne beenden konnte. Die deutschen Besatzungsbehörden verlangten nach diesem Vorfall die Entfernung des Geigers von seiner Position als Konzertmeister, was durch ein Zusammenwirken maßgeblicher Kräfte im norwegischen Musikleben jedoch verhindert werden konnte. Im Herbst 1942 floh Glaser mit seiner gesamten Familie nach Schweden, wo er Krieg und Holocaust überlebte. Ernst Glaser blieb ein Stern am norwegischen Musikhimmel. Seine Kinder Liv und Simon Glaser sind bis heute wichtige Akteure in der klassischen Musikszene Norwegens.

Aus der Sektion Widerstandsgeschichte sei die Geschichte von Hermann Hirsch Becker erwähnt, der 1920 in Norwegen geboren wurde. Sein Vater war 1914 von Smolensk nach Norwegen emigriert. Becker erfuhr seine Ausbildung zum Navigationsoffizier als Mitglied des norwegischen Geschwaders der Royal Air Force in Kanada. Er flog seine ersten Einsätze auf einem Catalania-Wasserflugzeug, das zur Bekämpfung von U-Booten eingesetzt wurde. Den letzten Einsatz hatte Becker am 21. März 1945. Sein Fliegergeschwader sollte das Gestapo-Hauptquartier in Kopenhagen zerstören. Schlechtes Wetter und schlechte Sicht sorgten für schwierige Bedingungen. Obwohl die Einheit das Gestapo-Gebäude empfindlich traf, fielen aufgrund eines Missverständnisses Bomben auf eine Schule. Beckers Maschine wurde auf dem Rückflug von einer deutschen Flugabwehreinheit getroffen und stürzte ins Meer. Das Telegramm der norwegischen Luftwaffe, welches über Hermanns Tod informierte, erreichte seine Familie nicht mehr. Seine Eltern und seine Geschwister, darunter seinen Bruder Israel mit Frau und Baby, hatte die SS schon deportiert und in Auschwitz ermordet. Beckers Leichnam wurde an Land gespült und auf dem Kirchfriedhof in Tranebjerg begraben. Seit dem Jahr 2000 befindet sich dort auch ein Grabstein, der seinen Namen trägt.

Auf einer Fläche von nur 165 qm ist den Kuratoren und Ausstellungsdesignern eine eindrückliche Schau gelungen. Informationstafeln aus Alu Dibond sind in eine ansprechende Architektur aus mitteldichten Holzfaserplatten (so genannte MDF-Platten) integriert – Werkstoffe, die sich in der Ausstellungsarchitektur immer größerer Beliebtheit erfreuen und schlichte metallische Eleganz mit den Warmtönen des Holzes verbinden. So sind integrierte Glasvitrinen mit originalen Objekten bestückt, wie beispielsweise den Utensilien des Entertainers Herberth. Schubladen und drehbare Holztafeln erlauben einen interaktiven Zugang zu den Objekten. Obwohl die Ausstellung nur temporär gezeigt werden soll, finden sich Elemente neuerer Ausstellungstechnik wie Film- und Multimediastationen. So können die Besucher den Einsatz von Hermann Hirsch Becker in Kopenhagen filmisch nacherleben: Aus der Glaskuppel eines Flugzeugs wurde das Bombardement des Gestapo-Hauptquartiers gefilmt.

Die Ausstellungstexte sind gänzlich auf Norwegisch verfasst. Es ist allerdings ein ansprechend gestalteter Katalog auf Englisch erhältlich, welcher der Struktur der Ausstellung folgt und fast alle Texte in Übersetzung bietet.1 Die Ausstellung informiert, erfüllt aber auch eine wichtige geschichtspolitische Funktion für die norwegische Gesellschaft. Eine jüdische Perspektive auf die norwegische Geschichte seit Mitte des 19. Jahrhunderts fehlte bisher. So bleibt dem Museum nur zu wünschen, dass es vielen die Augen darüber öffnet, welchen wichtigen Beitrag norwegische Juden in Kultur und Widerstand leisteten.

Anmerkung:
1 Ausländische Besucher erhalten den Katalog gratis mit dem Kauf eines Eintrittstickets. Auf Anfrage per E-Mail wird der Katalog auch ins Ausland verschickt.

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