Museum Wolfsoniana: Pubblicità und Propaganda

Museum Wolfsoniana: Pubblicità und Propaganda

Veranstalter
Museum Wolfsoniana
Ort
Genua-Nervi
Land
Italy
Vom - Bis
05.12.2009 - 11.04.2010

Publikation(en)

Barisione, Silvia (Hrsg.): Pubblicità und Propaganda. Ceramica e Grafica Futuriste. Milano 2009 : Silvana Editoriale, ISBN 9788836615650 96 S. € 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antonie Wiedemann, DIRAS / Geschichte der Kunstgeschichte, Universität Genua

Anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Veröffentlichung des Futuristischen Manifests Filippo Marinettis, widmet das Museum Wolfsoniana dem Zusammenhang von Werbung und Propaganda in Grafik und Keramik zwischen 1920 und 1940 eine kleine, aber intelligente Ausstellung. Dem Leitthema der Sammlung folgend, untersucht die Sonderausstellung signifikante Werke der angewandten Kunst in den 1930er- und 1940er-Jahren, die den komplexen Zusammenhang zwischen futuristischer Kunstproduktion und faschistischer Propaganda beleuchtet. Die Ausstellung „Pubblicità und Propaganda“ umfasst circa 80 Werke futuristischer Künstler von 1922 bis 1938 und ist in zwei von der Dauerausstellung farblich abgegrenzten Räumen im zweiten Stockwerk des Museum untergebracht.

Gezeigt werden Grafiken und Keramiken aus der Zeit, in der der Futurismus ansetzte den von Mussolini bevorzugten Klassizismus durch eine „Kunstdiktatur“ zu überwinden. Diesen Wunsch nach einer Erhebung zur offiziellen Kunst des Faschismus, der sich in zahlreichen der gezeigten Werke widerspiegelt, formulierte der führenden Futurist und Journalist Mino Somenzi 1934: „Der Futurismus, heute aktive Kraft des ‘Neuen‘ Italiens, hat noch nicht die öffentliche Würdigung seines Wertes, seiner Kraft und seiner Rechte erfahren.“ 1 Das Zitat illustriert das Spannungsfeld von Kunst, Werbung und Politik, in dem sich die in Genua gezeigten Exponate bewegen. Die Ausstellung zeigt besonders deutlich die Übernahme politischer Ideen und Ausdrucksweisen des Faschismus durch futuristische Kunst. Die Nutzung erprobter kommunikativer Modelle und künstlerischer Ausdrucksweisen der Werbung für politische Propaganda überrascht kaum, wie die gezeigten Plakatkampagnen und politischen Manifeste zeigen. Fortunato Depero, ein bedeutender Vertreter des Futurismus, thematisierte diesen Zusammenhang in einem seiner zahlreichen Manifeste, in der er die Werbung als einflussgebend für die Kunst der Zukunft beschrieb. 2 Dieses Ineinanderfließen von politischer Propaganda und Werbung zeigt sich in evidenter Weise in einem in der Ausstellung gezeigten Werk. Es handelt sich hierbei um einen Plakatentwurf des Künstlers Tato für die „Ala Littoria. Linee Aeree Italiane” 3 aus dem Jahre 1934, der eine Kombination der bereits in der Werbung erprobten Formensprache mit dem politischen Inhalt des faschistischen Kults des Fliegens beinhaltet. Diese Übernahme von Kommunikationsmodellen wird in einem Vergleich des Entwurfs Tatos mit dem hier ebenfalls ausgestellten Plakatentwurf von Nicolai Diulgheroffs (1928) für die Werbekampagne von Bitter Cinzano deutlich. Die Klarheit der Schriftzüge, der Grad der Stilisierung, die grafische Anordnung und die bewusst eingesetzten Farbkontraste verraten trotz der unterschiedlichen Motive ähnliche ästhetische Vorstellungen. Dass Propaganda und Werbung im Futurismus eine doppelte Valenz haben, dokumentiert auch die ausgestellte Veröffentlichung Depero Futurista, wegen seiner Gestaltung auch als „Schraubenbuch“ bezeichnet. Darin feiert Fortunato Depero (1927) seine eigenen futuristischen Aktivitäten der vorhergehenden 14 Jahre. Dies bezeugt einmal mehr die Notwendigkeit des Futurismus sich selbst zu bewerben, die die Bewegung andererseits schon von Beginn an gekennzeichnet hatte.

Die vorliegenden Exponate belegen zudem wie sehr die futuristische Kunst von den faschistischen Ideen in der Themenwahl beeinflusst wurde und Mussolinis Kult des Fliegens bereitwillig aufgriff. Mit seiner Konzentration auf Maschinen und Geschwindigkeit bildete der Kult des Fliegens einen „natürlichen“ Berührungspunkt mit der ersten Phase des Futurismus. In diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben ist die große Zahl der ausgestellten „Aeroceramiche“, aus Albisola, die aus den westlich von Genua gelegenen Werkstätten Casa Mazzotti hervorgingen. Die Aeroceramiche bezeichnen in einer typisch futuristischen Wortschöpfung Kermikarbeiten mit Luftfahrtssujet. Keramik wurde bereits Ende der 1920er-Jahre als besonders geeignet für die Übernahme futuristischer Ausdrucksweisen angesehen. Eine besondere Rolle spielte dabei der Künstler Tullio d’Albisola, der eine Überwindung der klassischen Techniken des Kunsthandwerks durch die Anpassung an die Ästhetik der Maschine und ihren Rhythmus forderte. Besonderen Aufschwung hatte diese Richtung im Zusammenhang mit der Strömung der Aereopittura, also der Malerei mit Luftfahrtssujet, und wurde schließlich 1938 mit einem von Marinetti und Tullio d'Albisola gezeichneten Manifest „della Ceramica e Aereoceramica“ 4 „geadelt“. Die Genueser Ausstellung stellt in diesem Kontext eine exzellente Auswahl dieser Werke vor, wie beispielsweise eine Serie von Majolikakacheln des Künstlers Tato (Pseudonym von Guglielmo Sansoni) die unterschiedliche Flugzeugtypen darstellen. Diese Art der künstlerisch-kunsthandwerklichen Produktion bezeugt zudem das Eindringen der futuristischen Formensprache in die Alltagswelt. Dass darüber hinaus gerade dem faschistischen Regime wichtige Sujets in Keramik umgesetzt wurden, macht die gezeigte Produktion der Fabbrica Artistica Ceramiche Italiane (FACI) deutlich, die bevorzugt Vasen mit afrikanischen bzw. abbissinischen Motiven herstellte. Aber auch eine Reihe von Werbeträgern wie zum Beispiel Aschenbecher, von Tullio D'Albisola für Marken wie Martini und Amaro Cora hergestellt, zeigen die Werbeberufung der Futuristen. Die ausgestellten Likörflaschen für Liquori Vlahov, die wiederum die Abissinienthematik durch afrikanische Motive oder gar mit Flaschen, die wie Köpfe von Schwarzafrikanern geformt sind, aufgreifen, bezeugen zudem das Eindringen der faschistischen Propaganda in die Alltagswelt durch die Werke der Futuristen.

Im Bereich der Keramik zeigt sich erneut der Drang zur Eigenwerbung der futuristischen Künstler, wie die Vase „Fobia anti imitativa di Tullio. Decorazione anti unitaria“ 5 bestätigt. Die eine Hälfte des Objekts ist im klassischen, auf das 16. Jahrhundert zurückgehenden weiß-blauen „antico-Savona"-Muster, das die traditionelle Produktion der Werkstätten Albisolas darstellt, bemalt, während die Vorderseite mit dem typischen futuristischen Lettering, das heißt mit einer großflächigen grafischen, fast lautmalerischen, Gestaltung der Schriftzüge, die eigene Arbeit bewirbt.

Die Ausstellung ist in dem 2005 neueröffneten Museums Wolfsoniana im Stadtteil Nervi in Genua untergebracht. Das Museum widmet sich der angewandten Kunst Italiens zwischen 1880 und 1945. Dies ist besonders bemerkenswert, da die meisten anderen Museen der ligurischen Hafenstadt sich fast ausschließlich dem Glanz des „goldenen Jahrhunderts“ zuwenden. Das Zusammenspiel der aus der Sammlung des amerikanischen Mäzenaten Mitchell Wolfson Jr. entstammenden Objekte 6, stellt die Ausstellung in den Kontext jener italienischen Moderne, die von der Exotikbegeisterung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über das Art Déco und die italienische Sachlichkeit (razionalismo), die Entwicklung des italienischen Industriedesigns im 20. Jahrhundert bestimmte und somit auch in kulturwissenschaftlicher Hinsicht interessant ist.

Ein Manko der Ausstellung sind die äußerst spärlich angebrachten Texte, die dem Laien die Entschlüsselung der inhaltlichen Bandbreite nicht erleichtern. Daher ist der Erwerb des gut gemachten Katalogs, der aber leider nur auf Italienisch vorliegt, zu empfehlen. Zur Klarheit der Ausstellung trägt ebenso wenig der Aufbau bei, da weder chronologisch noch thematisch eine durchgehende Gliederung erkennbar ist, trotz der ästhetisch ansprechenden Darstellung. Dies macht die Ausstellung eher für Kenner als für Laien empfehlenswert. Die Beschränkung auf den reduzierten Themenbereich der Propaganda und die Konzentration auf die zweite Phase des Futurismus, die in der Forschungsliteratur meist eher am Rande behandelt wird, stellt eine originelle Ausnahme in der derzeitigen Ausstellungswelle anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Futuristischen Manifests dar. Trotz der genannten Einschränkungen und des relativ bescheidenen Umfangs ist die Ausstellung „Pubblicità e Propaganda“ für Kenner des Futurismus somit durchaus einen Besuch wert.

Anmerkungen:
1 Übersetzung des Autors, nach: M. Somezi, La politica dell'arte, in Sant'Elia, XI, 4, 15 Februar 1934, S. 1.
2 Fortunato Depero, Manifesto: arte pubblicitaria futurista, in: Futurismo, I, 2, Juni 1932, S. 4.
3 Ala Littoria bezeichnet die 1934 gegründete staatliche Italienische Fluglinie, die in ihrem Namen das faschistische Symbol des Liktorenbündels aufgreift.
4 Tommaso Marinetti / Tullio d’Albissola, Manifesto futurista della Ceramica e Aereoceramica [übersetzt: Futuristisches Manifest der Keramik und Luftkeramik], 7 September 1938.
5 übersetzt: Tullio’s Antiimitationsphobie. Ungleichförmige Dekoration. Diese zweigesichtige Vase drückt die Überwindung der traditionellen Handwerksarbeit und mit ihren immer gleichen Mustern durch eine völlig neuartige, immer einzigartige Ästhetik – daher auch der Titel „Antiimitationsphobie“ – der Keramikkunst.
6 Bereits 1986 entstand das ebenfalls von Wolfson gegründete Museum The Wolfsoniana in Miami.

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