Zwischen Katheder, Thron und Kerker

Zwischen Katheder, Thron und Kerker

Veranstalter
Stadtmuseum Bautzen (13964)
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13964
Ort
Bautzen
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2002 - 31.12.2002

Publikation(en)

Stadtmuseum Bautzen – Regionalmuseum der sächsischen Oberlausitz; Zwischen Katheder, Thron und Kerker (Hrsg.): Leben und Werk des Humanisten Caspar Peucer 1525-1602. Katalog der Ausstellung im Stadtmuseum Bautzen 25. September bis 31. Dezember 2002. Bautzen 2002 : Domowina Verlag, ISBN 3-7420-1925-2 € 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. Matthias Rogg, Militärgeschichtliches Forschungsamt

Selbst unter manchen Fachhistorikern gilt die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts immer noch als relativ bedeutungslos und langweilig. Wie sehr man dieser Epoche damit Unrecht tut, beweist die in vielfacher Hinsicht bemerkenswerte und noch bis Jahresende im Stadtmuseum Bautzen zu besichtigende Sonderausstellung „Zwischen Katheder, Thron und Kerker. Leben und Werk des Humanisten Caspar Peucer 1525-1602.“ Aus Anlass des 400. Todestages widmet sie sich dem Leben eines der interessantesten Charaktere des deutschen Späthumanismus, dem Mathematiker, Astronomen, Mediziner, Diplomaten und Schriftsteller Caspar Peucer. Mit dem Blick auf den schillernden Lebensweg dieses Universalgelehrten, seine vielfältigen verwandtschaftlichen und beruflichen Verbindungen und seinen umfassenden Einfluss aber auch seinen jähen Sturz ergeben sich erhellende Einblicke in die politischen, religiösen und geistigen Konflikte des späten 16. Jahrhunderts. Diese vielfältigen Verknüpfungen sind Grund genug, sich näher mit einer von der Forschung bislang kaum wahrgenommenen Persönlichkeit zu befassen und die Erträge in einem umfangreichen Begleitkatalog zu präsentieren. Wer war also Caspar Peucer?

1525 als Sohn einer wohlhabenden Bautzener Familie geboren, wurden seine intellektuellen Fähigkeiten schnell erkannt und gefördert. 1540 nahm er das Studium der Medizin, Astronomie und Mathematik an der Universität Wittenberg auf. Durch Empfehlung wurde er in das Haus des Wittenberger Reformators Philipp Melanchthon – eine Verbindung, die sein Denken und Handeln zeitlebens grundlegend beeinflussen sollte – aufgenommen. 1550 heiratete Caspar Peucer Melanchthons jüngste Tochter Magdalena. 1553 erhielt er an der Universität Wittenberg die Professur für Mathematik und ein Jahr später für Philosophie. Er verfasste bedeutende Schriften über die Vermessung der Erde („De dimensione terrae“ – 1550) und Grundlagen der Geometrie und der Astronomie („Elementa doctrinae de circulis coelestibus – 1551). Peucer war der erste und für lange Zeit der einzige Gelehrte, der sich mit dem zeitgleich entwickelten Weltbild des Nikolaus Copernikus auseinandersetzte. Während er dessen heliozentrisches Modell klar ablehnte, schätzte er hingegen die mathematischen Berechnungen seines Königsberger Kollegen. Peucer unerhielt dabei enge Kontakte u.a. zu Tycho de Brahe und dem Landgrafen Wilhelm IV., einem führenden Astronom seiner Zeit. Ein ähnlich hohes Ansehen genoss er als Mediziner. Stark beeinflusst von seinem Schwiegervater Melanchthon richtete sich Peucer streng nach den Regeln einer gemäßigten Lebensweise, folgte dem kanonisierten Konzept der Humoralpathologie („Viersäftelehre“) und öffnete sich bereits für die neuen Erkenntnisse des zeitgenössischen Anatomen Andreas Vesal. Obgleich Peucer die wegweisenden empirischen Lehren von Paracelsus schroff ablehnte, darf seine medizinhistorische Bedeutung nicht unterschätzt werden. Als Professor für Medizin seit 1560, langjähriger Dekan der medizinischen Fakultät und dreimaliger Rektor der Universität, beeinflusste er die akademische Lehre einer der angesehensten Universitäten des 16. Jahrhunderts entscheidend. Sein Ruhm verschaffte ihm schließlich 1570 die Stellung eines Leibarztes am kursächsischen Hof und brachte ihn unversehens ins Zentrum der politischen Macht.

Unter der damaligen Regierung des Kurfürsten August von Sachsen (1553-1586) spitzte sich die konfessionelle Frage in den Territorien und im Reich immer weiter zu. Entgegen früheren Auffassungen spielte der Kurfürst dabei für die Reichspolitik eine wichtige, vielleicht sogar entscheidende Rolle. Um die junge Kurwürde nicht zu gefährden und den weiteren Landesausbau voranzutreiben war Kurfürst August massiv an einer stabilen Konfessionspolitik im Reich interessiert. Im Streit der scheinbar unversöhnlichen Lager der Lutheraner und Calvinisten setzte der Kurfürst anfangs konsequent auf Männer des Ausgleichs. Zu dieser Gruppe, der nach Philipp Melanchthon benannten sogenannten „Philippisten“, gehörte auch Caspar Peucer. Seine universale Bildung, seine vielfältigen internationalen Kontakte, vor allem aber seine vermittelnde theologische Position prädestinierten ihn für eine Vertrauensstellung bei Hofe. Rasch folgten Ehrerweisungen wie die Erhebung in den Adelsstand 1566 und die Übernahme der Taufpatenschaft für den kurfürstlichen Prinzen Adolf 1571.

Die bis dahin ausgesprochen flexible und auf Stabilität orientierte Religionspolitik des Kurfürsten August fand vor dem Hintergrund einer immer bedrohlicheren konfessionellen Eskalation in Europa ein jähes Ende. Der brutale Schlag gegen die hugenottische Elite in der sogenannten „Bartholomäusnacht“ 1572 war ein einschneidendes Ereignis, mit weitreichenden Konsequenzen auch außerhalb Frankreichs. In Abstimmung mit dem Habsburger Kaiser Maximilian II. änderte Sachsen nun abrupt seine Konfessionspolitik und schwenkte auf den radikalen Kurs der „Gnesiolutheraner“ (= echte Lutheraner) ein. Die Einheit des Reichsverbandes war dem Kurfürsten nun allemal wichtiger als religiöse Toleranz. Offensichtliche oder verdeckte Anhänger des Calvinismus, sogenannte „Kryptocalvinisten“, wurden im Kurfürstentum praktisch über Nacht zu Staatsfeinden. In diesen Strudel von Verleumdung gerieten auch die moderaten Kräfte der „Philippisten“, zu deren prominentesten Caspar Peucer zählte. Der kurz zuvor noch hochgeschätzte Gelehrte und kurfürstliche Rat, der von seiner religiösen Grundauffassung keinesfalls abweichen wollte, wurde kurzerhand vor Gericht gestellt und auf unbestimmte Zeit in Haft genommen. Über zahlreiche Einzelheiten des Prozesses, die Verhöre und seine langjährige Gefangenschaft sind wir gut unterrichtet. Wann immer sich dazu die Gelegenheit bot, hielt Peucer Ereignisse und Erinnerungen, die Haftbedingungen, und einschneidende Erlebnisse, wie die Nachricht vom Tod seiner Frau Magdalena, schriftlich fest. Die chronologisch geordneten Notizen wurden nach seinem Tod als "Historia Carcerum" gedruckt und bilden heute ein seltenes Dokument frühneuzeitlichen Strafvollzugs aus der Sicht eines Betroffenen. Mit den "Idyllium Patria“ verfasste Peucer in der Haft ein zweites Buch, in dem er seiner Oberlausitzer Heimat in lateinischen Distichen ein literarisches Denkmal setzte. (Das Stadtmuseum Bautzen hat angekündigt, die Schrift Ende des Jahres 2002 im Faksimiledruck und mit kommentierter Neuübertragung herauszugeben). Erst als sich 1586 der anhaltinische Fürst Joachim Ernst massiv für Peucer einsetzte und dieser sich verpflichtete, jede Polemik gegen Kursachsen in Zukunft zu unterlassen, öffneten sich nach zwölfjähriger Haft die Tore seines Gefängnisses. Peucer bekleidete nun am anhaltinischen Hof in Dresden eine ähnliche Stellung wie in Sachsen. Er wurde Leibarzt, Berater des Fürstenhauses, unternahm in dieser Funktion mehrere diplomatische Missionen und war weiterhin schriftstellerisch aktiv. Hochbetagt und geachtet starb er am 25. September 1602 in Dessau.

In der Person Caspar Peucers spiegeln sich die wichtigen historischen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen des konfessionellen Zeitalters also auf spannende Weise. Diese vielfältigen Anknüpfungspunkte bilden auch den inhaltlichen und gestalterischen Rahmen der Bautzener Sonderausstellung. Auf knapp 500 m² ist es den Ausstellungsmachern in stupender Weise gelungen, die unterschiedlichen thematischen Fäden aufzugreifen und zu einem festen Strang zu verbinden. Ausstellungsarchitektur, Farbgestaltung und Wegführung und nicht zuletzt die Auswahl der Exponate ergänzen sich auf hervorragende Weise. Zentrale Ausstellungsstücke des Stadtmuseums, wie die Vedute Bautzens von 1620, stehen neben vorzüglichen Leihgaben. Allein das Verzeichnis der Leihgeber zeugt vom hohen Anspruch der Ausstellungsmacher. Die chronologische Struktur, die sich grob an den Lebensstationen Peucers orientiert, wird an einigen Stellen sinnvoll durch thematische Vertiefungen ergänzt. So kann sich der Besucher gezielt mit Fragen der zeitgenössischen Astronomie oder Medizin beschäftigen. Neben der sinnlichen Erfahrung des Erdglobus von Johannes Prätorius (Nürnberg 1568), oder einem der prachtvollsten Bücher des 16. Jahrhunderts, Peter Apians "Astronomicum Caesareum" (Ingolstadt 1540) werden astronomische Geräte, medizinische Handschriften oder pharmazeutische und chirurgische Instrumente gezeigt und ihre Verwendung erklärt. Außer Handschriften und Veröffentlichungen Peucers und seiner Zeitgenossen, gewinnt die Ausstellung durch eine begrenzte, gleichwohl kluge Auswahl und Anordnung weiterer Exponate. In einem Seitenkabinett zum Themenfeld "Streit der Konfessionen" steht liturgisches Gerät neben einem mächtigen Tafelbild von Lucas Cranach d.J. "Allegorie auf den Naumburger Vertrag" (1561). Das Gemälde zeigt die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt durch Melanchthon an Kurfürst August und durch Luther an den ernestinischen Herzog Johann Friedrich. Diesem, ganz im Sinne Peucers, bewussten Bildbekenntnis zu konfessioneller Toleranz steht im gleichen Kabinett Hans Krells "Spottbild auf das Abendmahlsverständnis der Calvinisten" (1577/80) entgegen. Mit beißendem Zynismus werden die Calvinisten hier als Gefolgsleute des Teufels dargestellt, denen der Weg in den Himmel versperrt bleibt. Im Vordergrund sieht man Luther, der expressis verbis das Richtschwert gegen die Anhänger Calvins erhebt. Hier scheint in kaum zu überbietender Deutlichkeit der konfessionelle Fanatismus auf, der die frühmoderne "Vorsattelzeit" entscheidend prägte und den weiteren Weg in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges wies.

Die ikonographisch teilweise sehr komplexen und für unsere Seh- und Lesegewohnheiten ungewohnten Kodierungen werden durch knappe und leicht verständliche Texte entschlüsselt. Ein besonderes Hörerlebnis bietet der kostenlos erhältliche Audioguide, der auch für kenntnisreiche Besucher sehr zu empfehlen ist. Ein Medienkabinett mit Video- und Computerinstallation rundet die Ausstellungstechnik ab. Das museumspädagogische Begleitprogramm offeriert schließlich einen lebendigen Caspar Peucer, der im zeitgenössischen Gewand des Gelehrten, und zur Laute singend, kenntnisreich durch die Ausstellung führt und auch sonst noch manche Überraschung bereit hält. Die vielleicht größte
Verblüffung liefert schließlich der preiswerte Katalog. Wer bis zum Jahresende nicht mehr den Weg nach Bautzen findet, der wird hier durch eine gute Mischung aus fundierten wissenschaftlichen Beiträgen, informativen Exponatbeschreibungen und sehr guten Abbildungen entschädigt.

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