RAF – Terror im Südwesten

RAF – Terror im Südwesten

Veranstalter
Haus der Geschichte Baden-Württemberg <http://www.raf-ausstellung.de>
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.06.2013 - 23.02.2014

Publikation(en)

Cover
Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.): RAF – Terror im Südwesten. . Stuttgart 2013 : Haus der Geschichte Baden-Württemberg, ISBN 978-3-933726-45-2 158 S., zahlr. Abb. € 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gisela Diewald-Kerkmann, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Die Stuttgarter Sonderausstellung „RAF – Terror im Südwesten“ ist nach Angaben des Museumsleiters Thomas Schnabel „die erste große historische Ausstellung zu diesem Thema in Deutschland“ (Katalog, S. 5). Zusätzlich weist die Ausstellungsleiterin Paula Lutum-Lenger darauf hin, dass die Berliner Kunst-Werke bereits 2003 der Roten Armee Fraktion eine historisch-politische Ausstellung widmen wollten, die jedoch aufgrund erheblicher Proteste verhindert bzw. schließlich anders akzentuiert wurde (S. 9f.). Gerade Angehörige der Opfer hatten eine Mystifizierung der RAF befürchtet. Mit einer veränderten Konzeption wurde zwei Jahre später eine Ausstellung eröffnet, die sich unter dem Titel „Zur Vorstellung des Terrors“ ganz auf die Verarbeitung des bundesdeutschen Terrorismus in der Kunst konzentrierte.1

Dass die RAF als Gegenstand einer Ausstellung auch jetzt noch brisant ist, darf nicht außer Acht gelassen werden. So stehen im Mittelpunkt der Stuttgarter Sonderausstellung auch nicht die Täterinnen und Täter, sondern gesellschaftsgeschichtliche und sozialpsychologische Fragen: „Wie entstand die Gewalt? Wie reagierte der Staat? Was bedeutete die Gewalt für die Familien der Todesopfer?“ – alles mit Bezug auf den Südwesten.2 Die regionalgeschichtliche Perspektive wird damit begründet, dass nicht nur überproportional viele RAF-Mitglieder aus Baden-Württemberg stammten (etwa Gudrun Ensslin, Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Stefan Wisniewski), sondern im Südwesten auch zahlreiche Anschläge erfolgten – wegen der Präsenz der US-Truppen und der bundesstaatlichen Justizbehörden in Karlsruhe. Ferner fand in Stuttgart-Stammheim das Strafverfahren gegen die RAF-Gründungsmitglieder statt. Stammheim war zudem die Haftanstalt, wo die führenden Mitglieder in Untersuchungshaft einsaßen und einige später Suizid begingen. Dennoch erscheint der beschränkende Titel der Ausstellung problematisch. Der Terrorismus der RAF war eben kein baden-württembergisches Phänomen, sondern eine Herausforderung für die gesamte bundesdeutsche Gesellschaft. Darüber hinaus hat – wie Andreas Platthaus feststellt – „die bisweilen zwanghafte Betonung der spezifisch südwest-deutschen Aspekte des Themas ein G’schmäckle […] – als wäre es ehrenvoll, Heimstatt des Terrors gewesen zu sein“.3 Andererseits ist anzuerkennen, dass das Haus der Geschichte Baden-Württemberg hier eine Lücke füllt, da das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und das Deutsche Historische Museum bislang keine umfassenderen Sonderausstellungen zur RAF organisiert haben.

Seit 2010 haben die Stuttgarter Ausstellungsleiterin und ihr Team zahlreiche Exponate gesammelt – angefangen von Briefen, Prozessunterlagen, Zeitungsausschnitten, Bildern über Bekennerschreiben, Fahndungsplakate bis zu Nachrichtensendungen, Film- und Tondokumenten. Die mehr als 220 Exponate beispielsweise vom Bundeskriminalamt (BKA), aus den Asservatenkammern der Polizei oder aus Privatbesitz sind in dieser Breite bisher noch nicht ausgestellt worden. Gezeigt werden auch Originalobjekte: etwa eine Suzuki GS 750 (von diesem Motorrad aus wurde der Generalbundesanwalt Siegfried Buback am 7. April 1977 erschossen), Tatwerkzeuge wie die „Panzerfaust RPG7“ vom Anschlag auf den Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Europa 1981 in Heidelberg oder Gefängnishinterlassenschaften der RAF-Mitglieder wie der „Knast-Pizzaofen“ von Jan-Carl Raspe und die kleine Minox-Kamera von Andreas Baader, die nach Stammheim eingeschmuggelt wurde.

Die Ausstellung – bestehend aus zwei Räumen im Tiefgeschoss – ist unterteilt in elf Themenbereiche: „Gewalterfahrungen im Südwesten 1967–1972“, „Gewalttaten“, „Aufruf zur Gewalt“, „Trauer“, „Gewaltmonopol“, „Vollzug“, „Radikalisierung“, „Eskalation“, „Absage an die Gewalt“, „Ausstieg aus der Gewalt“ und „Ist die Gewalt der RAF Geschichte?“. Vor allem das Raumkonzept der Berliner Ausstellungsarchitektin Ruth Schroers ist hervorzuheben.4 Sie hat im großen Raum einen 36 Meter langen roten Trichter inszeniert, der sich zur Spitze hin immer weiter verengt und die Gewalt von 1971 bis zum „Deutschen Herbst“ 1977 symbolisieren soll. Doch bevor man den Ausstellungssaal betritt, stößt man auf große Bildschirme, die unkommentiert Artikelseiten des „Stern“ zeigen – jeweils von einem virtuellen Finger umgeblättert. Es handelt sich um Fotos, die den zeithistorischen Kontext verdeutlichen sollen, die gerade für jüngere Besucher/innen aber wohl kaum selbsterklärend sind: Vietnam, Rudi und Gretchen Dutschke, Mercedes-Benz-Anzeigen, Benno Ohnesorg, Brigitte Bardot, Biafra, Drogenkonsum in der Bundesrepublik, Mondlandung. Erst danach betritt man den rot-schwarz inszenierten Raum und wird unmittelbar mit der Installation einer Explosion konfrontiert. Auf von der Decke hängenden polygonalen schwarzen Tafeln sowie in Vitrinen werden markante Daten der Anschläge und der 34 Opfer der RAF im Zeitraum von 1971 bis 1993 dokumentiert. Diese Tafeln, wie durch eine Bombe gezackte Splitter, enthalten präzise Angaben über Tat, Opfer, Ort, aber auch Beweismittel wie Polizeifotos und Quellen des BKA.

Mitten im roten Ausstellungssaal steht ein weißgrauer Quader als Sinnbild für den Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt Stammheim. In den hierzu gehörenden schmalen Vitrinen werden Fotos der inhaftierten RAF-Mitglieder gezeigt, ihre Freizeitgestaltung, Bücherlisten. Die Minox-Bilder von Andreas Baader oder das Waffenversteck von Volker Speitel werden in einem Schnellhefter präsentiert. Dass die Mehrzahl der weiblichen und männlichen Mitglieder vor allem im Zeitraum von 1972 bis 1974 in strenger Einzelhaft saß – etwa Ulrike Meinhof, Astrid Proll und Gudrun Ensslin in Köln-Ossendorf –, unter Bedingungen, die es vorher in bundesdeutschen Haftanstalten noch nicht für eine Gruppe gegeben hatte, wird mehr oder weniger ausgeklammert. Wichtig wäre der Hinweis gewesen, dass die verbesserten Haftbedingungen in Stammheim gerade eine Folge der heftigen Auseinandersetzungen in der bundesdeutschen Gesellschaft und nicht zuletzt der medizinischen Stellungnahmen waren.

Beim Weitergehen verengt sich der Raum bis zu einer schmalen Vitrine, in der vier Polaroid-Fotos des von der RAF entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zu sehen sind. Um in den weiß-schwarz gehaltenen Nebenraum zu gelangen, müssen die Besucher einige Schritte zurückgehen und den seitlichen Ausgang aus dem Trichter benutzen. Relativ überraschend liest man dann auf einem großen Transparent den bekannten Satz des Bürgerrechtlers Martin Luther King jr.: „We must choose nonviolence or nonexistence“ und sieht großflächige Plakate der Friedensbewegung. An acht Tischen können Interviews per Kopfhörer verfolgt werden – beispielsweise ein Gespräch zwischen Karola Bloch (der Frau des Philosophen Ernst Bloch) und dem evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer 1988, eine Diskussion mit der Grünen-Politikerin Antje Vollmer 1987, ein Beitrag des ehemaligen RAF-Mitglieds Klaus Jünschke 1988. Zu sehen ist auch die Auflösungserklärung der RAF von 1998. Aufschlussreich ist gerade das Interview zwischen Bloch und Gollwitzer, da hier – leider erst zum Ende der Ausstellung – der Gewaltbegriff problematisiert wird. Schon zu Beginn wäre diese Auseinandersetzung hilfreich gewesen, weil Fragen der Legitimation und Anwendung von Gewalt die gesamte Präsentation durchziehen.

Dass wichtige Aspekte in der Stuttgarter Ausstellung ausgeblendet werden, verdeutlicht exemplarisch der Fall des Studenten Johannes Thimme. Zwar wird die Reaktion des Staates auf den bundesdeutschen Terrorismus dargestellt, aber in ihrer Wirkungsgeschichte nicht ausreichend beleuchtet. Zu sehen ist der Schulaufsatz des 17-jährigen Thimme, in dem er Gemeinsamkeiten von RAF und Michael Kohlhaas thematisiert, jeweils versehen mit Anmerkungen des Deutschlehrers. Radikalisiert – nicht zuletzt durch die Kontroversen um die Haftbedingungen der RAF-Mitglieder – wurde er zweimal inhaftiert, obwohl er nicht an Anschlägen beteiligt gewesen war. Weil Thimme in der Mensa ein Flugblatt zum damaligen Hungerstreik der RAF verteilt hatte, verurteilte ihn der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart 1981 wegen „Werbung für eine terroristische Vereinigung“ zu 18 Monaten Gefängnis. 1985 sprengte er sich „bei einem Bombenanschlag auf ein Rechenzentrum in Stuttgart-Möhringen selbst in die Luft“5 – ein Unfall, weil die Bombe zu früh explodierte.

Insgesamt handelt es sich zweifellos um eine vielschichtige Dokumentensammlung, wobei der Fokus der Sonderausstellung auf der Gewalt, den Opfern und dem Südwesten liegt. Dass dieser Zugang einengt, ergibt sich fast zwangsläufig. Sichtbar werden weder die Genese der Gewalt und der breitere zeithistorische Kontext noch das Wechselverhältnis zwischen Staat, Justiz, Öffentlichkeit, Medien und RAF. Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die Anmerkungen einzelner Besucher im Gästebuch, beispielsweise: „Ich finde, die Ausstellung ist ein Sammelsurium von Einzelstücken. Geschichte wird nicht erklärt“ oder „ein absolut lohnenswertes Thema, aber eine verpasste Chance […]. Hilfreich wäre eine Einführung: Wie kam es zur Bildung der RAF?“. Am Ende der Ausstellung steht das bereits erwähnte „Täter-Motorrad“ des Buback-Mords von 1977. Betrachtet man dieses Objekt wie auch zuvor bereits die Panzerfaust, die selbstgebastelte Rakete der Stalinorgel (versuchter Anschlag auf die Bundesanwaltschaft) oder das von einer Sprengfalle demolierte Autowrack des BMW (Ermordung des Siemens-Managers Karl Heinz Beckurts und seines Begleiters Eckhard Groppler 1986), wird die beispielsweise von Platthaus geäußerte Kritik nachvollziehbar. Für ihn ist der „Schauder, den diese Terror-Relikte auslösen, […] ein voyeuristischer. Sie appellieren an unsere Faszination für Gewalt. […] Dass die Präsentation dieser Faszination dann selbst noch einmal auf den Leim geht, ist ein Manko.“6 Wie sich Terror und Gewalt im Medium einer zeithistorischen Ausstellung zeigen und erklären lassen, bleibt weiter zu diskutieren.

Abschließend sei hingewiesen auf den von den Kuratoren Sabrina Müller und Rainer Schimpf erstellten ausgezeichneten Ausstellungskatalog sowie auf das Begleitprogramm. Hier finden sich wichtige Diskussionsveranstaltungen (etwa „Die RAF-Prozesse: Desaster oder Stärkung des Rechtsstaats?“), Zeitzeugengespräche und eine Filmreihe. Das große Publikumsinteresse zeigt, dass der Linksterrorismus der 1970er-Jahre, seine Ursachen und seine Folgen weiterhin nicht als abgeschlossene Geschichte gelten können – sondern eher als eine (Zeit-)Geschichte, „die noch qualmt“.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Diskussionsbeiträge unter <http://www.zeitgeschichte-online.de/themen/die-raf-als-kunst-werk> (22.12.2013).
2 Siehe auch die gut aufbereitete, mit einem Zeitstrahl kombinierte interaktive Karte unter <http://www.raf-ausstellung.de/raf-karte/die-rote-armee-fraktion-im-suedwesten/> (22.12.2013).
3 Andreas Platthaus, Die Trümmer des Terrors, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.7.2013, S. 25, URL: <http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/raf-ausstellung-in-stuttgart-die-truemmer-des-terrors-12268576.html> (22.12.2013).
4 Als filmischen Einblick in die Ausstellungsräume siehe <http://www.youtube.com/watch?v=Na35yDij-08> (22.12.2013).
5 Süddeutsche Zeitung, 26.1.1985.
6 Platthaus, Trümmer. Zu einer anderen Bewertung gelangen etwa Roman Deininger, Hinter dem Mythos, in: Süddeutsche Zeitung, 14.6.2013, S. 15, und Wolfgang Prosinger, Beweisstücke der Wahrheit, in: Tagesspiegel, 15.6.2013, S. 3, URL: <http://www.tagesspiegel.de/zeitung/beweisstuecke-der-wahrheit/8353646.html> (22.12.2013).