1914. Der Erste Weltkrieg

1914. Der Erste Weltkrieg

Veranstalter
Militärhistorisches Museum der Bundeswehr
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.08.2014 - 24.02.2015

Publikation(en)

Cover
Bauer, Gerhard; Pieken, Gorch; Rogg, Matthias (Hrsg.): 14 – Menschen – Krieg. Begleitband zur Ausstellung zum Ersten Weltkrieg. Essays und Katalog. Dresden 2014 : Sandstein Verlag, ISBN 978-3-95498-076-5 2 Bde., 308 S.; 409 S. € 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Hammacher, Agentur scopium, Essen

Kein weiteres Thema hat in den letzten Jahren die deutschen Museen so beschäftigt, wie der Erste Weltkrieg, dessen Beginn sich 2014 zum einhundertsten Mal jährte. Quer durch die Republik reihte sich Ausstellung an Ausstellung und ganz gleich ob lokales Heimatmuseum oder überregionale Kunsthalle, fast jedes Haus fühlte sich berufen, hierzu etwas beizutragen. Das überrascht angesichts eines Ereignisses, das, anders als in Frankreich und Großbritannien, bislang in der deutschen Erinnerungskultur nur wenig präsent war, fehlen ihm doch die mediale Repräsentanz dokumentarischer Bilder, wie dies für den Zweiten Weltkrieg gilt, wie auch eine Topographie der Erinnerungsorte im eigenen Land, da fast alle entscheidenden Ereignisse außerhalb Deutschlands stattgefunden haben. Umso mehr stellt sich die Frage, welchen Zugang zu diesem Thema nun die deutschen Museen finden.

Die erste Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Ruhrmuseums in Essen und des LVR-Industriemuseums in Oberhausen und zugleich ein Verbundprojekt, an dem alle Museen des LVR-Dezernats Kultur und Umwelt mit jeweils eigenen Themenausstellungen zum Ersten Weltkrieg beteiligt sind. Ausgestellt wird nicht in den Räumlichkeiten des Ruhrmuseums in der ehemaligen Zeche Zollverein, sondern 500m-Luftlinie davon entfernt, in der ehemaligen Mischanlage der Kokerei Zollverein, einem in seiner ursprünglichen Ausgestaltung erhaltenen und der Nutzung für Ausstellungen zugänglich gemachten Industriebau. An gleicher Stelle war 1999 bereits die Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne – Kultur und Natur der Energie“ gezeigt worden. Als Ausstellungsgestalter zeichnet in beiden Fällen der Schweizer Architekt Jürg Steiner verantwortlich.

Die Ausstellung gliedert sich von oben nach unten, entsprechend den drei Etagen der Mischanlage, in drei thematische Bereiche: der Industrie- und Kulturgeschichte des „Rheinisch-Westfälischen Industriebezirks“ bis 1914, dem Kriegsgeschehen 1914-18 und der Nachkriegszeit in den 1920er-Jahren. Gerahmt wird diese Raum- und Themenabfolge von einem Prolog, der den künstlerischen und politischen Visionen der Jahre um 1900 gewidmet ist sowie einem Epilog, der auf die nationalsozialistische Machtergreifung, den Holocaust und den zweiten Weltkrieg verweist.

Die oberste Etage, die sogenannte Verteilerebene, über die umlaufenden Fensterbänder gleichmäßig mit Tageslicht ausgeleuchtet, präsentiert ein Panorama industrieller und kultureller Leistungen der Jahre vor dem Krieg, die das Industriegebiet zwischen Dortmund und Köln als eine Region technischer Innovationen, gesellschaftlicher Mobilität und globaler Vernetzung ausweisen. Eine Region aber auch, jenseits der „tonangebenden Avantgarde-Metropolen jener Zeit wie Berlin, Paris oder Wien“ (S. 11), wie die Ausstellungsmacher im Katalog betonen. So findet auch die politische Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges, die Gründe, die schließlich in die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts führten, in der Ausstellung keine Thematisierung. Präsentiert werden die zahlreichen Exponate vor allem in raumhohen Ganzglasvitrinen, die zwischen den rudimentär erhaltenen Maschinen der Mischanlage zu thematischen Gruppen arrangiert wurden: 'Wissenschaft und Kunst im Industrieraum', 'Disziplinierung', 'Individuum und Gesellschaft' und 'Konzerne und Kartelle', um nur einige zu nennen. Diese Form der offenen Präsentation erlaubt, begünstigt durch die gleichmäßige Ausleuchtung, über den Raum hinweg immer wieder neue Blickachsen und damit überraschende Bezüge zwischen den ausgestellten Exponaten, zwischen der Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Region herzustellen. Zugleich bleibt die Ausstellung distanziert und nüchtern in ihrer Darstellung, fehlen doch vor allem Zeugnisse, die Einblick in das individuelle Erleben dieser Epoche geben und dem Besucher einen emphatischen Zugang erlauben würden. Das Konzept und seine Umsetzung sind viel mehr einem funktionalistischen Geschichtsverständnis verpflichtet und versuchen zu vermitteln „wie viel uns mit den Zeitgenossen von 1914 noch verbindet, aber auch, was uns von der Epoche trennt.“ (S. 13)

Dem eigentlichen Kriegsgeschehen ist die zweite Etage, die sogenannte Bunkerebene gewidmet. Elf hohe, quadratische und fensterlose Räume, die Wände und Decke aus massivem Beton, der noch die Spuren der ursprünglichen Nutzung aufweist: Das Archaische dieser Räume bestimmt entscheidend die Wahrnehmung dieser Ausstellungseinheit mit. Jeder der elf Bunker ist einem Einzelthema gewidmet. Im Mittelpunkt steht dabei die Rhein-Ruhr-Region als „Waffenschmiede des Reichs“, gezeigt werden aber auch die Auswirkungen dieser Waffen auf Mensch und Landschaft, die Folgen des Krieges für die Heimatfront sowie die propagandistische Vereinnahmung des Totengedenkens. Die symmetrisch angeordneten Bunker sind untereinander über hohe Wandöffnungen zugänglich. Dies erlaubt insbesondere für Großexponate eine Ausrichtung auf Sichtachsen hin, eine Präsentationsform, die Jürg Steiner schon bei seiner Ausstellung 1999 erfolgreich angewandt hatte. Konnte er jedoch damals den Pathos dieser Inszenierungsform durch das verfremdende Arrangement der Exponate ironisch brechen1, so erliegt er hier der martialischen Ästhetik der Exponate, potenziert diese, unter anderem durch den Einsatz von Punktstrahlern, sogar noch, z.B. in der Präsentation einer schweren Feldhaubitze auf der Spitze einer Waffenpyramide oder der Inszenierung einer überlebensgroßen Nagelfigur des „Eisernen Georgs“ aus Krefeld. Zwar werden unter anderem in der Form von Gipsmoulagen entsetzlich verstümmelter Gesichter und einem schon ballettartigem Arrangement von Beinprothesen die destruktiven Wurzeln dieser Propagandabilder thematisiert, doch darf dabei nicht übersehen werden, dass sich diese in das visuelle Gesamtarrangement des Raumes durchaus im Sinne einer „Ästhetik des Schreckens“ mit einordnen, wie sie für die Darstellung des ersten Weltkrieges spätestens seit Ernst Jünger Tradition hat. Hier wäre eine sachlichere und distanzschaffende Inszenierung wie sie z.B. das Historial de la Grande Guerre im französischen Perrone pflegt, wünschenswert gewesen.

Im Untergeschoss wird der Präsentationsmodus der obersten Etage wieder aufgenommen, nun jedoch bezogen auf die 1920er-Jahre. Im direkten Vergleich dieser beiden Räume wird unmittelbar nachvollziehbar, welchen Modernisierungsschub der Erste Weltkrieg insbesondere für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch die Arbeits- und Freizeitwelt in der Rhein-Ruhr-Region ermöglichte und beförderte. Besonders anschaulich wird dies an der Entwicklung der Bekleidung. Die Raummitte ist leer, allein eine Vitrine mit einem Reisekoffer erregt hier die Aufmerksamkeit. Zunächst ordnet man den Koffer einigen Figurinen mit Reisekleidung zu, die in der gleichen Blickachse stehen. Erst der Blick auf die Vitrinenbeschriftung klärt auf, dass es sich hierbei um einen der Koffer handelt, die der abgedankte deutsche Kaiser 1918 für seinen Umzug in das niederländische Exil nutzte. Die räumliche Leere verweist auf ein politisches und gesellschaftliches Vakuum, den Verlust einer vertrauten Ordnung, der schließlich einige Jahre später in eine noch viel größere Katastrophe führen wird.

Auch die zweite zu besprechende Ausstellung im Militärhistorischen Museum Dresden ist ein Kooperationsprojekt, nun jedoch mit dem deutsch-französischen Fernsehsender Arte. Dieser hatte bereits im Mai 2014, drei Monate vor Eröffnung der Ausstellung, in seinem Programm die Dokumentarreihe „14 Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ ausgestrahlt. Aus der Sicht von 14 Zeitzeugen aus acht der am Weltkrieg beteiligten Nationen werden sowohl der Verlauf des Weltkrieges wie auch sehr unterschiedliche Erlebnis- und Wahrnehmungsweisen dieses Krieges geschildert. Diese stützen sich auf Tagebücher und persönlichen Schilderungen der Protagonisten, darunter auch Prominente wie Ernst Jünger und Käthe Kollwitz oder der französische Theologe Yves Congar. Das filmische Format ist eine Kombination aus historischem Filmmaterial und Fotografien sowie nachinszenierten Szenen, sogenannte Reenactment. Im Vordergrund stehen die, die den Krieg unmittelbar erlebten „vor allem die Gefühle und Überzeugungen, welche diese Menschen damals leiteten“.2

Diesem biographischen Ansatz fühlen sich auch die Macher der Ausstellung im Militärhistorischen Museum Dresden (MHD) verpflichtet, den „Menschen von 1914 bis 1918 wieder Gesicht und Stimme zu geben“ (S. 8). Die Ausstellung beginnt bereits im Foyer des Museums emblematisch mit der Präsentation des großen, durch Feuereinwirkung zerstörten Wetterhahns der Kirche im flämischen Ypern, das im November 1914 von deutschen Truppen vollständig zerstört wurde. Sie setzt sich fort im Sonderausstellungsraum des Arsenalgebäudes, der durch drei hohe und versetzt zueinander in der Längsachse des Raumes eingebaute Vitrinenstrecken gegliedert wird. Auf diese Weise ist eine klare lineare Besucherführung vorgegeben, an deren Notwendigkeit auf dem Boden aufgemalte Fußtritte keinen Zweifel aufkommen lassen. So folgt die Ausstellung denn auch weitestgehend dem historischen Ablauf des Krieges, beginnend mit dem Kriegsbeginn in Österreich. Der Focus liegt hierbei auf der militärischen Geschichte des Krieges, der auch die Auswahl der Exponate entspricht: vor allem Uniformen, Waffen, militärisches Gerät im Allgemeinen. Dabei stellt die Ausstellung mitunter hohe Anforderungen an das Vorwissen und Vorverständnis ihrer Besucher, wenn z.B. Exponate bestimmten militärischen Ereignissen zugeordnet werden, ohne dass diese näher erläutert oder historisch eingeordnet werden. Das gilt insbesondere für die Medienpulte, auf denen mittels animierter Karten einzelne militärische Aktionen akribisch nachvollzogen werden. Terminologie und Darstellung lassen erkennen, was das MHD auch ist: eine Aus- und Weiterbildungseinrichtung der Bundeswehr. Positiv muss jedoch vermerkt werden, dass die Ausstellungsmacher den Kriegs als das verstehen, was er ja vor allem war: ein Weltkrieg. So finden nicht nur die Schlachten in Flandern und Frankreich ausführliche Erwähnung, sondern auch die Geschehnisse an der Ost- und Südfront, in den Kolonien, auf der Arabischen Halbinsel sowie der Seekrieg.

Rund um an den Wänden des Ausstellungsraum verlaufen Leuchtdisplays mit den Bildern der Protagonisten aus der Arte-Dokumentation. Hierbei wird jeweils eine Fotografie der historischen Person mit einem Filmstill ihrer Rollenfigur aus dem Film kombiniert und mit biographischen Informationen versehen. Diese werden in den Vitrinen mittels vertiefender Texttafeln zu den Personen wieder aufgenommen, wobei ihnen Exponate mit Bezug zu ihrer jeweiligen Geschichte zugeordnet werden. Hier verläuft also die Schnittstelle zwischen den beiden Medien, die jedoch, schon allein wegen des zeitlichen Abstandes zwischen der Ausstrahlung der Filmreihe und der Eröffnung der Ausstellung für viele der Besucher nicht mehr unmittelbar nachvollziehbar sein dürfte und leider auch im ansonsten vorzüglich edierten Katalog nicht näher erläutert und reflektiert wird. Texttafeln zu weiteren Zeitzeugen des Krieges in den Vitrinen ergänzen diesen biographischen Einschub.

Das größte Exponat der Ausstellung befindet sich in einer separaten Halle des Museumsgeländes. Es handelt sich hierbei um einen begehbaren Nachbau eines Teilstücks des sogenannten Kilianstollens, einer deutschen Grabenanlage im Oberelsass, die am 18. März 1918 von französischen Granaten getroffen und zerstört wurde. Bei archäologischen Ausgrabungen, die 2011 durch das elsässische Landesamt für Archäologie durchgeführt wurden, wurden auch 21 der damals verschütteten deutschen Soldaten und deren Ausrüstung geborgen. Teile dieser Sachreste werden in Vitrinen präsentiert, die in die museale Anlage integriert wurden. Die nüchterne und funktionale Atmosphäre der Halle, in der dieser Nachbau untergebracht ist, bricht wohltuend den Illusionismus dieser Installation. Mit diesem Verzicht auf dramatische Kaschierungen, wie sie in Museen im angelsächsischen Raum oft üblich sind, bleibt die Rekonstruktion als eine solche immer erkennbar. Die sehr zurückhaltende Präsentation der überlieferten, oft sehr persönlichen Objekte, deren ursprüngliche Gestalt durch die Einwirkungen des Krieges und der langen Lagerung in vielen Fällen mehr zu erahnen als zu erkennen ist, gehört zu den eindrücklichsten Momenten dieser Ausstellung, bekommt man doch hier ein erstes Gespür dafür, was Krieg für den einzelnen Soldaten fernab aller militärischen Hybris bedeutete.

Anmerkungen:
1 Siehe z.B. den „Sonnenbunker“ in der Ausstellung 1999 in: Sonne, Mond und Sterne – Kultur und Natur der Energie, Katalog der Ausstellung auf der Kokerei Zollverein, Bottrop 1999, Abb. S. 89.
2 <http://www.14-tagebuecher.de/page/de/about> (04.03.2015).

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