Terror in der Provinz Brandenburg. Frühe Konzentrationslager 1933/34

Terror in der Provinz Brandenburg. Frühe Konzentrationslager 1933/34

Veranstalter
Wanderausstellung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten / Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Ort
Brandenburg an der Havel
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.05.2014 - 10.08.2014

Publikation(en)

Morsch, Günter; Ohm, Agnes (Hrsg.): Terror in der Provinz Brandenburg.. Frühe Konzentrationslager 1933/34. Berlin 2014 : Metropol Verlag, ISBN 978-3-86331-211-4 180 S. € 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karoline Georg / Kurt Schilde, Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Die von Iris Hax kuratierte Wanderausstellung „Terror in der Provinz Brandenburg – Frühe Konzentrationslager 1933/34“ ist ein seltenes Beispiel für die Darstellung regionaler Zeitgeschichte im heutigen Bundesland Brandenburg.1 In der Ausstellung und der Begleitpublikation wird zum ersten Mal umfassend an die Geschichte der frühen Konzentrationslager in der damaligen Provinz Brandenburg erinnert. Viele der Haftstätten haben nur wenige Wochen oder Monate bestanden und sind bisher in der NS-Geschichtsschreibung weitgehend unbeachtet geblieben. Leider hat sich daran – bis auf dieses Wanderausstellungsprojekt – bisher wenig geändert. 80 Jahre nach dem Beginn der NS-Herrschaft ist das Wissen über die regionale NS-Geschichte ein Desiderat. Entsprechende Forschungen sind weder am historischen Institut der Universität Potsdam noch am gleichfalls in Potsdam bestehenden Zentrum für Zeithistorische Forschungen verankert, geschweige denn mit Professuren oder Stellen vertreten. Daher gibt es „bisher keine Gesamtdarstellung der Geschichte des Nationalsozialismus in Brandenburg“ (S. 11), wie Günter Morsch in seiner fundierten Einleitung kritisiert. Vielleicht wäre dieses harte Urteil etwas zu relativieren, wenn es eine Rezeption von Publikationen aus der DDR-Zeit geben würde?2

Angesichts dieses unbefriedigenden Kenntnisstandes betritt das Ausstellungsprojekt der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Neuland. Für den Überblick über den frühen NS-Terror 1933/34 in Brandenburg konnte Günter Morsch nur begrenzt auf Sekundärliteratur zurückgreifen. Der Direktor der Stiftung erinnert zunächst an Gemeinsamkeiten mit der Reichshauptstadt Berlin, aber auch an wichtige Unterschiede: Während die NSDAP bei den „bereits größtenteils unfreien Wahlen“ (S. 12) am 5. März 1933 in Berlin keine Stimmenmehrheit erreichen konnte, stimmten in der Provinz Brandenburg 52,4 Prozent für die Partei.3 Das hat wesentlich mit den überwiegend dörflich-ländlichen Strukturen zu tun und eine schnelle „Nazifizierung“ der Verwaltung ermöglicht. „Lediglich einige sozialdemokratische Bürgermeister wurden, wie in Großbeeren und in Rossow bei Pasewalk, durch die SA mit Gewalt aus dem Amt vertrieben.“ (S. 13)

Eine Chronologie des Terrors in der Provinz Brandenburg trägt zum Verständnis der Geschichte der frühen Konzentrationslager bei. Das Kapitel „Politische Akteure der Machtergreifung“ enthält biografische Skizzen von Wilhelm Kube (NSDAP-Gauleiter), Ernst Fromm (Regierungspräsident), Kurt Daluege („säuberte“ das preußische Innenministerium), Graf von Wedel (SA-Oberführer), Graf von Helldorf (richtig: Helldorff!, Potsdamer Polizeipräsident) und Karl Ernst (Führer der SA Berlin-Brandenburg).

Im Zentrum der Ausstellung und der Begleitpublikation stehen die „Lager der Rache“ genannten frühen Konzentrationslager. Ihre Geschichte wird sehr anschaulich anhand von Überblickstexten, zeitgenössischen Dokumenten und Zeitungsartikeln, einer umfangreichen und qualitativ hochwertigen Bebilderung sowie biografischen Zeugnissen präsentiert. Die Darstellung des jeweiligen Konzentrationslagers endet mit eindrücklichen Zitaten ehemaliger Gefangener über ihre Haftzeit. Präsentiert wird die Geschichte bekannter Konzentrationslager wie Oranienburg, Sonnenburg und Brandenburg (die als staatliche KZ galten), aber auch Lager, die in der heutigen Erinnerung kaum eine Rolle spielen: Meissnerhof, Alt-Daber, Börnicke, Havelberg, Perleberg und Senftenberg.

Die kleineren KZ entstanden meist auf Initiative einzelner SA-Standarten oder der lokalen Polizeibehörden. Sie wurden bereits nach wenigen Wochen oder Monaten wieder geschlossen und die Häftlinge in die größeren Lager überführt. Das KZ Oranienburg bestand bis zur Entmachtung der SA im Sommer 1934. Unter Aufsicht der SS standen Brandenburg und Sonnenburg. In die Lager verschleppt wurden zum großen Teil ortsansässige KPD- und SPD-Mitglieder, in den regionalen Parlamenten aktive Politikerinnen und Politiker, Gewerkschafter und andere als politische Feinde Definierte. Der Fall des kommunistischen Häftlings Willi Ruf (junior) zeigt, worin sich die KZ-Haft im ländlichen Gebiet von einer Großstadt wie Berlin unterschied: Ruf, der bei seiner Mutter aufgewachsen war, begegnete im KZ Oranienburg seinem Vater, der dort SA-Aufseher war. „Nicht selten kamen Täter und Opfer aus dem gleichen Milieu oder waren Nachbarn bzw. Familienangehörige.“ (S. 79).

Es werden bekannte Fälle, wie die Verfolgungsgeschichte des Pazifisten Carl von Ossietzky dokumentiert, der unter anderem im KZ Sonnenburg inhaftiert war und 1938 an den Haftfolgen verstarb (S. 97ff.). Der Großteil der Häftlingszeugnisse behandelt aber bisher unbekannte Biografien. Die unglaubliche Brutalität, die in diesen frühen Lagern herrschte, wird nicht zuletzt durch die im Band dokumentierten Todesfälle deutlich.

Ebenso wird gezeigt, dass auch Frauen Opfer des frühen Terrors wurden. So wurde Marianne Seidel, Fraktionsführerin der SPD im Kreistag des Kreises Calau und Stadtverordnete in Senftenberg bald nach dem 30. Januar 1933 festgenommen und in das KZ Senftenberg verschleppt. Die schwangere Frau starb am 10. Juli 1933 an den Haftfolgen (S. 152). Gedacht wird ebenso der Kommunistin Gertrud Piter, die im KZ Brandenburg von SS-Männern ermordet und deren Tod in der Öffentlichkeit als Selbstmord vorgetäuscht wurde (S. 163f.).

Ebenso erwähnenswert ist die dargestellte Biografie des sozialdemokratischen Häftlings Max Abraham. Abraham war Lehrer und Prediger in der jüdischen Gemeinde in Rathenow. Seine Festnahme war eine der Racheaktionen zu Beginn der NS-Zeit, Abraham sollte mit seiner Inhaftierung „als politischer Gegner des Nationalsozialismus unschädlich“ (S. 81) gemacht werden. Bemerkenswert ist seine Geschichte zudem, da er der so genannten „Judenkompanie“ im KZ Oranienburg zugeteilt wurde. Dass es so früh eine Abtrennung der jüdischen Häftlinge im Lager gab, war eine Besonderheit des Oranienburger Lagers.

Die Fülle an zeitgenössischen Zeitungsartikeln über verschiedene Lager verdeutlicht, dass dem Regime nicht daran gelegen war, die Existenz der Lager geheim zu halten, auch wenn die dortige Situation in der Presse verschwiegen und beschönigt wurde.
Die hier präsentierte umfangreiche Darstellung beruht auf einer intensiven Archivrecherche, die bisher unbekanntes Material aus regionalen Archiven und Beständen in Privatbesitz präsentiert. Ebenso ist hervorzuheben, dass auch die Täter benannt und deren Lebensweg – soweit Informationen vorliegen – dokumentiert werden. Die Einbettung dieser Täterbiografien zwischen die Biografien der Opfer ist allerdings etwas verwirrend; Täter- und Opferbiografien sollten sich besser von einander abheben. Darüber hinaus ist anzumerken, dass sich sowohl in die Ausstellung als auch die Publikation einige kleine Fehler eingeschlichen haben: So sind Bildbeschriftungen fehlerhaft (S. 72) oder nicht eindeutig (S. 77) und auch einige Datierungen werfen Fragen auf. So soll etwa der Häftling Helmut Böder vom 5. April bis zum 16. August 1933 im KZ Alt-Daber inhaftiert gewesen sein, das laut Überblickstext allerdings nur vom 28. April bis Mitte Juli 1933 bestand (S. 104f.).

Der Band enthält ein umfangreiches Personenregister, welches für weiter gehende zeithistorische Recherchen sehr nützlich ist. Der Aussage der Wissenschaftsministerin Sabine Kunst ist zuzustimmen, wenn sie sagt, dass die Wanderausstellung ein „wichtiger Baustein im Bereich der historisch-politischen Bildung“ (S. 8) ist. Hinzugefügt sei die Forderung nach weiterführenden Forschungsbemühungen zur regionalen NS-Geschichte, die aus diesem Projekt Anregungen bekommen können.

Anmerkungen:
1 Nach Stationen in Brandenburg an der Havel und Wittstock/Dosse wird die Ausstellung ab 20. Januar 2015 im Landtag in Potsdam sowie im Laufe des kommenden Jahres noch in Hennigsdorf, Nauen und im Frühjahr 2016 in Perleberg zu sehen sein.
2 Beispielhaft sei eine von der Potsdamer SED-Bezirksleitung/Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung stammende Schrift „Antifaschistischer Widerstandskampf in der Provinz Brandenburg 1933–1939“ genannt. Der Teil I präsentiert „Ausgewählte Dokumente und Materialien zum antifaschistischen Widerstandskampf unter Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands in der Provinz Brandenburg 1933–1939“. Diese in Potsdam 1978 erschienene Dokumentation ist sicherlich quellen- und ideologiekritisch zu betrachten, um nicht-kommunistische Aspekte zu ergänzen und ersetzt noch lange keine regionalhistorische Geschichtsdarstellung. Ergänzend sei auf den von Siegfried Eichholtz herausgegebenen Sammelband „Brandenburg in der NS-Zeit“ (Potsdam 1993) hingewiesen, in dem aber auch auf die frühen Konzentrationslager nicht eingegangen wird.
3 Die Provinz Brandenburg umfasste Teile der heutigen Bundesländer Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt und ein Gebiet östlich der Oder im heutigen Polen.

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