Mensch. Natur. Katastrophe. Von Atlantis bis heute

Mensch. Natur. Katastrophe. Von Atlantis bis heute

Veranstalter
Reiss-Engelhorn-Museen, Museum Weltkulturen D5
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.09.2014 - 01.03.2015

Publikation(en)

Cover
Schenk, Gerrit Jasper; Juneja, Monica; Wieczorek, Alfried; Lind, Christoph (Hrsg.): Mensch. Natur. Katastrophe. Von Atlantis bis heute. Regensburg 2014 : Schnell & Steiner, ISBN 978-3-7954-2880-8 280 S., 250 farb. Abb. € 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Borsch, Sonderforschungsbereich 923: „Bedrohte Ordnungen“, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Naturkatastrophen gehören zu den Grunderfahrungen der Menschheit. Zu allen Zeiten und überall auf der Welt haben sich Gesellschaften mit dem plötzlichen Hereinbrechen von Naturgewalten konfrontiert gesehen; immer haben sie nach Mitteln und Wegen gesucht, um solche Unglücke zu verarbeiten. In der populären Wahrnehmung der Gegenwart ist es vor allen Dingen der Eindruck des Ausnahmezustandes, der jähen und unerwarteten Verkehrung der Welt, der die Rezeption des Phänomens bestimmt – und der mit dem Katastrophenfilm sogar ein eigenes cineastisches Genre hervorgebracht hat. Die Geistes- und Kulturwissenschaften wenden sich dem Thema seit rund einem Jahrzehnt mit wachsendem Interesse zu. Dass sich hier auch für museale Umsetzungen eine spannende Grundlage bietet, liegt auf der Hand. Anders als etwa die Ausstellung zu „Katastrophen am Vesuv“ 2012 in Halle1 widmet sich die Mannheimer Schau allerdings nicht einer einzelnen Region oder einem singulären Ereignis, sondern versucht sich unter dezidiertem Verweis auf jüngere Forschungen an einem gleichermaßen epochen- wie kulturübergreifenden Zugang.2

Dieser Anlage entspricht die Vielfalt der einbezogenen Blickwinkel. Von der platonischen Atlantis-Sage bis zur Erdbeben- und Reaktorkatastrophe von Fukushima durchläuft der Besucher 2.500 Jahre Menschheitsgeschichte und erhält Einblicke in Mechanismen der materiellen, psychologischen sowie nicht zuletzt künstlerischen Verarbeitung von außergewöhnlichen Naturereignissen und ihren Folgen. Den erzählerischen Kern bildet dabei die Darstellung von etwa einem Dutzend Einzelfälle, die in lockerer Reihung nach ihren natürlichen Ursachen zusammengestellt sind (Vulkanausbrüche, Bergstürze, Überschwemmungen, Erdbeben) und jeweils noch einmal chronologisch gegliedert werden. Geographisch hat man – angeregt durch eine Kooperation mit dem Heidelberger Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“3 – den Blick über den europäisch-westlichen Rahmen hinaus gesucht, was sich in einem erkennbaren ostasiatischen Schwerpunkt niederschlägt. Angesichts ihrer enormen Breite darf man diese Konzeption als anspruchsvoll bezeichnen. Den Kuratoren ist es jedoch gelungen, die Materialien aus unterschiedlichen Epochen und geographischen Räumen zu einer überzeugenden Gesamtschau zu verbinden.

In ihrer Gestaltung bedient sich die Ausstellung – die nicht im klassizistischen Zeughaus, sondern im gegenüberliegenden, funktionaleren Neubau des Museums Weltkulturen untergebracht wurde – vergleichsweise einfacher Mittel. Auf ein Übermaß an Projektionstechnik wurde verzichtet; im Zentrum stehen stattdessen neben Malerei, Zeichnungen oder Fotografien auch Alltagsgegenstände. Für die chronologisch früher angesiedelten Abschnitte der europäischen Geschichte war eine starke Konzentration auf Textzeugnisse kaum zu umgehen. Frühneuzeitliche Ausgaben von Werken Platons, Francis Bacons und Thomas Morus’ oder eine Büste des „Katastrophenhelfers“ Kaiser Titus sollen diesem Problem entgegensteuern, vermögen es aber nur bedingt zu lösen. Spektakuläre, erschreckende Momente bieten vor allen Dingen die späteren Abschnitte mit großformatigen Aufnahmen von erdbebenzerstörten, niedergebrannten oder überschwemmten Städten.

Der Begriff der Katastrophe wird gleich zu Beginn des Rundganges anhand einer Vielzahl von Definitionsansätzen reflektiert. Ins Auge fällt dabei vor allem die Perspektivabhängigkeit der Interpretation. Besonders pointiert liest sich das bekannte Zitat aus Max Frischs Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“: „Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen.“4 In diesem Sinne fokussiert die Ausstellung zwar immer wieder das Wirken der Natur; im Mittelpunkt jedoch stehen die Konsequenzen von außergewöhnlichen Naturereignissen für menschliche Gesellschaften sowie insbesondere die Wahrnehmung und Deutung entsprechender Phänomene durch den Menschen.

Ein zentrales, immer wieder aufscheinendes Thema ist die Diskrepanz zwischen der fatalen Wirkung der Katastrophe und ihrer bildgewaltigen Ästhetik. Bereits in einem frühen Abschnitt des Rundganges rückt dieser Aspekt deutlich ins Blickfeld: Während aus einem Lautsprecher die berühmten Plinius-Briefe mit der Beschreibung der pinienförmigen Rauchsäule über dem Vesuv erklingen, ist einige Schritte weiter eines der Kernstücke der Ausstellung zu sehen, Pierre-Jacques Volaires Bild des Vesuv-Ausbruches von 1771, in dessen Vordergrund schattenhafte Gestalten aus der Entfernung die Lavafluten bestaunen.5 Die verschiedenen Betrachterebenen vermischen sich hier in markanter Weise. Die Frage nach der Rolle des Beobachters enthält nicht zuletzt eine moralische Dimension. Was Volaire angesichts des schaurigen Spektakels nur andeutet, bringt später – konkret in einem Raum zum japanischen Tsunami von 2011 – der Fotograf Shinichi Sato auf den Punkt: „Unsere Heimat wird von der Welle verschluckt. Menschen werden fortgespült. Und ich mache Fotos. Kann das richtig sein?“, wird er in der Bildunterschrift zu seinen Aufnahmen zitiert.

Als charakteristische Reaktion beleuchtet die Ausstellung jedoch weniger das distanzierte Zuschauen als vielmehr das aktive Eingreifen. Kaiser Titus, der nach der Zerstörung von Pompeji und Herculaneum im Sommer 79 n.Chr. von antiken Autoren für seine Maßnahmen gelobt wurde, ist ein früher, aber nicht der erste historische Verantwortungsträger, der sich durch zügiges und effektives Handeln als Krisenmanager hervorzutun wusste. Der Marquês de Pombal nach dem Erdbeben von Lissabon 1755, Bürgermeister Eugène Schmitz nach „Earthquake and Fire“ in San Francisco 1906 oder auch Helmut Schmidt nach der Hamburger Sturmflut 1962 werden im Verlauf des Rundganges in die Reihe der erfolgreichen Helfer eingeschrieben. Dass ihre Maßnahmen nicht immer nur karitativ waren und zum Teil auch rabiate, gesetzlich allenfalls notdürftig abgedeckte Repressionsmaßnahmen einschließen konnten, illustriert beispielsweise Schmitz’ am Tag des kalifornischen Unglückes verbreitete „shoot-to-kill“-Order zur Abschreckung von Plünderern.

Überhaupt lassen Katastrophen nicht selten Konflikte aufbrechen. Immer wieder wird gezeigt, wie sie Diskussionen über Schuld und Moral auslösen. Dabei reicht das Spektrum von der klassischen straftheologischen Interpretation bis zur Klage über die Fahrlässigkeit hinsichtlich der Atomkraft. Religiöse und säkulare Motive können sich zuweilen auch vermischen: In einer Reihe japanischer Holzschnitte aus dem 19. Jahrhundert begegnet dem Besucher der „Erdbeben-Wels“, jener Fisch, welcher der populären religiösen Vorstellung zufolge für alle Erschütterungen des Inselreiches verantwortlich ist. Er erscheint als anthropomorphes Wesen, das die gesellschaftliche Ordnung ins Wanken bringt, indem es die Reichen schädigt, aber einfache Bauarbeiter und Handwerker mit einem Geldregen überrascht.

Auffällig ist, wie insbesondere die neuzeitlichen Rekonstruktionsmaßnahmen als Chance zum Neubeginn genutzt wurden. Dem Beben von Lissabon kommt in diesem Kontext die erprobte Rolle des „Wegmarkers“ an der Schwelle zur Moderne zu. Auf Plänen ist zu sehen, wie das wilde Straßengewirr der Innenstadt in den Jahren nach der Zerstörung durch eine barocke Plananlage mit ausladenden, nach den Maßstäben der Zeit brand- und bebensicheren Straßenzügen verwandelt wurde. Dagegen lehrt das Beispiel San Francisco – wo selbst Jahrzehnte nach dem großen Feuer von 1906 in vielen Stadtteilen noch die alten, stark brandanfälligen Holzbautechniken eingesetzt wurden –, dass auch ganz andere Prioritäten im Vordergrund stehen konnten (namentlich ein schneller und kostengünstiger Wiederaufbau). Es wäre interessant gewesen, dieses Thema auch an früheren Vergleichsbeispielen aufzuzeigen.6

Obwohl die großen Epochengrenzen dem Konzept der Ausstellung entsprechend immer wieder bewusst überschritten werden, entstehen im Kleinen doch mehrfach chronologische Trennlinien. So bleibt etwa ein Sonderabschnitt zur religiösen Bewältigungspraxis ganz auf Spätmittelalter und Frühe Neuzeit beschränkt, was angesichts des jahrhundertelangen Fortlebens von Traditionen wie Bußprozessionen keine Notwendigkeit gewesen wäre. Erst der Ausstellungskatalog, in dem einzelne Themen vertieft und differenziert werden, verschafft hier Abhilfe, unter anderem im Rahmen eines Beitrages über „Krisenrituale“.

Die Ausstellung zielt am Ende aber eben nicht allein auf einen zeit- und kulturübergreifenden Vergleich unter der Maßgabe einer Suche nach Parallelen: Gezeigt wird vielmehr, wie die technische, organisatorische und mentale Anpassung an mit der Natur verbundene Gefahren – gepaart mit einer kritischen Reflexion möglicher anthropogener Beiträge zur Entstehung von Risiken – die erfolgreiche Bewältigung und Verhinderung von Katastrophen befördern kann. Dabei wird auch deutlich, dass die „westliche Welt“ insbesondere in Fragen des Risikobewusstseins keinen Entwicklungsvorsprung gegenüber anderen Großregionen für sich geltend machen kann. Solche Botschaften werden ohne belehrenden Zeigefinger transportiert. Die Übertragung einer interdisziplinär diskutierten wissenschaftlichen Thematik in den musealen Kontext, so darf man abschließend festhalten, gelingt der Ausstellung in abwechslungsreicher und anregender Form.

Anmerkungen:
1 <http://www.lda-lsa.de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte/sonderausstellungen/ausstellungsarchiv/pompeji/> (15.01.2015).
2 Für Beispiele, Raumansichten und Erläuterungen der Kuratoren siehe den vierminütigen Trailer zur Ausstellung: <https://www.youtube.com/watch?v=vJz3njSNRsM> (15.01.2015).
3 <http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de> (15.01.2015).
4 Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän, Frankfurt am Main 1979, S. 103.
5 <http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vesuv_Volaire.jpg> (15.01.2015).
6 Vgl. zur antiken Erdbebenprävention etwa Cairoli Fulvio Giuliani, Provvedimenti antisismici nell’antichità, in: Journal of Ancient Topography 21 (2011), S. 25-52.