Fette Beute. Reichtum zeigen

Fette Beute. Reichtum zeigen

Veranstalter
Museum für Kunst und Gewerbe
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.10.2014 - 08.02.2015

Publikation(en)

Cover
Ruelfs, Esther; Schulze, Sabine (Hrsg.): Fette Beute. Reichtum zeigen. . Bielefeld 2014 : Kerber Verlag, ISBN 978-3-7356-0037-0 199 S., 72 Farb- u. 38 SW-Abb. € 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Kurr, Historisches Seminar, Universität Hamburg / Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Reichtum ist ein schillerndes Phänomen. Seine öffentliche Wahrnehmung ist heute vorwiegend beeinflusst durch Selbstinszenierungen von Reichen oder Enthüllungen über exzessiven Lebensstil und Luxuskonsum in populären Bildmedien. Davon unterscheiden sich Reiche, die ein Leben im Verborgenen vorziehen und die Bildproduktion über sich kontrollieren. Reichtum geht aber auch einher mit Finanzströmen und Machtstrukturen, die sich an unpersönlichen Orten wie Banken oder hinter verschlossenen Türen abspielen und in ihrer Abstraktheit schwer darstellbar sind.

Die Diskrepanz zwischen Überrepräsentation und gleichzeitiger Unterbelichtung motivierte die Kuratorin Esther Ruelfs, im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung zum Thema Reichtum zu entwickeln. Sie hinterfragt die Rolle der Fotografie in der Darstellung von Reichtum und möchte den Besucher für Inszenierungen von Reichtum sensibilisieren. Die Ausstellung „Fette Beute. Reichtum zeigen“ (gefördert von der Kulturstiftung des Bundes) soll zugleich ein weniger beachtetes Feld der Fotografie und Fotogeschichte hervorheben, nachdem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sozialdokumentarische Bilder von Armut, Kriegs- und Krisenregionen dominiert haben.

Die Ausstellung zeigt 150 Arbeiten zum Thema Reichtum. Sie umfasst dokumentarische Reportage- und Architekturfotografien, inszenierte Fotografien in Form von Portraitserien, Videoarbeiten und Selbstdarstellungen von jugendlichen Reichen auf Fotosharing-Portalen. Der Schwerpunkt liegt auf neueren künstlerischen Arbeiten, doch wird an verschiedenen Stellen Bezug genommen auf historische Positionen aus dem gesamten 20. Jahrhundert. Die Fotos stammen überwiegend aus der westlichen Welt. Im Abschnitt „Globaler Reichtum“ kommen Arbeiten aus Russland, Brasilien, Nigeria und Südafrika hinzu. Das Ausstellungskonzept wurde in sechs Themenfeldern umgesetzt, die im Museum durch eingezogene Wände räumlich voneinander getrennt sind. In den Sektionen erläutern kurze Einführungstexte den jeweiligen Themenkomplex. Informationen zu den einzelnen Kunstwerken können einer kleinen Begleitbroschüre entnommen werden. Einige Aspekte von Reichtum, die in der Ausstellung nur angerissen werden, sind im Katalog und einem Themenheft vertieft, die den Museumsbesuch gut ergänzen.1

Nach einer kurzen Einführung in das Ausstellungskonzept betreten die Besucher den thematischen Abschnitt „Feine Gesellschaft“. Fotografische Arbeiten von zehn KünstlerInnnen aus unterschiedlichen Zeiten und Stilen sind hier zu sehen. Die Vielfalt erstreckt sich von Edward Steichens Reportagefotografien des Pferderennens in Longchamp (1907) über Fotos von Ballnächten aus den 1930er- bis 1960er-Jahren hin zu Millionärsmessen in der Serie „Luxury“ (2003–2008) von Martin Parr. Die Hängung folgt dabei keiner chronologischen Linie. Die Mischung aus gegenwärtigen und historischen Fotografien fordert zwar zu Vergleichen zwischen der früheren und der heutigen „feinen Gesellschaft“ auf, doch sind die Stile der Fotografen und ihre Intentionen dafür zu heterogen. Die distanzierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen von 1900 bis in die 1960er-Jahre stehen im Kontrast zu der hautnahen Körperlichkeit der aktuellen Arbeiten und ihrer Paparazzi-Ästhetik. Dadurch entsteht der Eindruck eines vermeintlichen Wandels der „feinen Gesellschaft“ von klassischer Eleganz zu neureichem Protz.2 Diese erste Sektion soll auf ironische Weise den Lebensstil der Reichen hinterfragen und durch die Auswahl von unvorteilhaften Ausschnitten zeigen, dass die Sitten der Reichen gar nicht so exquisit waren bzw. sind. Die Besucher werden dadurch in eine voyeuristische Position gebracht, die eine unvoreingenommene Sicht beeinträchtigen kann.

Im Abschnitt „Arm und Reich“, dem kleinsten Themenschwerpunkt der Ausstellung, werden Fotoserien gezeigt, die in der Tradition der sozialdokumentarischen Fotografie die gesellschaftlichen Verhältnisse sowie die Relationen zwischen Armen und Reichen untersuchen. Für die Serie „The English at Home“ (1936) fotografierte Bill Brandt einerseits das Leben seiner reichen Familie in Großbritannien. Von den extremen sozialen Gegensätzen zwischen Arm und Reich fasziniert, portraitierte er andererseits die Bediensteten des Hauses. Die zweite Serie, „Rich and Poor“, nahm Jim Goldberg zwischen 1977 und 1985 auf; die Fotos zeigen arme und reiche US-Amerikaner in ihren Wohnungen. Die Portraitierten äußern sich auf den Abzügen schriftlich zu ihren Lebensumständen und materiellen Verhältnissen. Dadurch eröffnen die Aufnahmen tiefe Einblicke in die Selbstwahrnehmung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten.

„Orten des Reichtums“ ist der nächste thematische Schwerpunkt gewidmet. Hierzu wurden Architekturfotografien wie zum Beispiel von der Villa Hügel der Familie Krupp in Essen (um 1900) oder Slim Aarons' Serie „A Wonderful Time: An Intimate Portrait of The Good Life“ aus den 1950er- bis 1970er-Jahren ausgewählt. Neuere künstlerische Positionen thematisieren die Privilegien und Machtstrukturen der Reichen, die mit reglementierten Zugängen verbunden sind, wie zum Beispiel New Yorker Clubs in der Serie von Jim Dow (1998/2010). Giacomo Bianchetti fotografierte 2012 Eingangstüren Schweizer Banken und inszeniert dadurch den Ort des monetären Reichtums in seiner Abstraktheit und Anonymität.

Der hintere Teil der Ausstellungsräume wird durch interaktive Projektionen des Blogs „Rich Kids of Instagram“ (2013/14) und ausgewählte Beispiele der TV-Serie „Rich Kids of Beverly Hills“ (2014) dominiert. Die Ausstellung fokussiert hier Selbstinszenierungen der jungen Reichen, deren Distinktionsstreben durch demonstrativen Luxuskonsum und deren Freizeitverhalten. Im Schatten der multimedialen Installationen finden sich Fotografien von Jacques Henri Lartigue vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die ihn und seine Familie bei Flugversuchen und anderen Abenteuern zeigen. Sie veranschaulichen die Möglichkeiten und den Innovationsvorsprung der damaligen reichen Jugend in ihrer Freizeit. Seit sich der Massenkonsum ab Mitte des 20. Jahrhunderts durchsetzte und sich die Freizeit für alle Schichten vergrößerte, ist diese Überlegenheit geringer geworden, und Abgrenzung wird mehr denn je über den Besitz von Luxuskonsumgütern geschaffen. Das anschließende Ausstellungskapitel „Prestigeobjekte“ zu Distinktionsbestrebungen von Reichen (etwa mit Hilfe teurer Kunstwerke) kann in diesem Kontext gelesen werden. Hier sind auch Plakate der Werbekampagne „Magnificent Jewels“ (2005) von Juergen Teller zu sehen (eines davon als Ausstellungsplakat verwendet), in der der Fotograf mit Bildklischees von Reichtum spielt. Tellers Arbeiten aus dieser Serie begegnen den Besuchern in weiteren Sektionen. Sein Motiv der ironischen Brechung von visuellen Stereotypen nimmt im Ausstellungskonzept eine wichtige Rolle ein und wird plakativ wiederholt.

Der letzte Abschnitt des Rundgangs thematisiert den „globalen Reichtum“. Schon bei den vorherigen Feldern ist deutlich geworden, dass die Fotografierten und auch die meisten Fotografen Global Player sind. Die Ausstellung wagt sich über den Tellerrand der westlichen Welt hinaus; sie zeigt zeitgenössische Portraitserien aus nichtwestlichen Ländern, die mit westlichen Darstellungstraditionen in Verbindung gesetzt werden. Anna Skladmann inszeniert in ihrer Serie „Little Adults“ (2008–2010) reiche russische Kinder im Stil alter spanischer Meister. Die Serie „Ladies of Rio“ (2006/07) von Lamia Maria Abillama ist ähnlich konzipiert und erinnert an Portraits der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Tina Barneys Serie „The Europeans“ (1996–2004) bedient das Stereotyp der vornehmen europäischen Adels- und Patrizierfamilien. Dagegen wirken die Figuren in den gegenüber gezeigten Serien aus Afrika wie einfache, neureiche Nachahmungen der ehemaligen Kolonialherren. Die Hängung spielt mit dem Betrachter und seinen vorgefertigten westlich oder imperialistisch geprägten Wertungen. Der Begleitband verweist insbesondere bei den Fotografien von Paolo Woods auf die neokoloniale Inszenierung der chinesischen Unternehmer in Nigeria (Serie „Chinafrica“, 2007). In diesem Themenfeld „globaler Reichtum“ werden viele neue Interpretationsebenen aufgemacht. Es stellen sich Fragen nach kulturellen Einflüssen der ehemaligen europäischen Kolonialmächte auf die Performanz von Reichtum in aufstrebenden Ländern sowie auch nach neuen ökonomischen Zentren und deren eigenen Inszenierungen von Reichtum.

Die Ausstellung bringt Reichtum erstmalig als Thema der Fotografie in die breitere Diskussion und schneidet dabei ein enormes Spektrum an. Diese Vielfalt ist für den Besucher jedoch eine Herausforderung. Der Grad der Inszenierung variiert zwischen Reportageaufnahmen, Architekturfotos und Portraitserien. Eine weitere Ebene ist die Selbstinszenierung der Portraitierten. Die enge Hängung ermöglicht zwar den unmittelbaren Vergleich, erschwert es aber, sich mit den Unterschieden in den Inszenierungen intensiv auseinandersetzen zu können. Die historischen Positionen sind andererseits leider zu verstreut angeordnet, als dass sie eine Aussage über Kontinuitäten oder Wandel der Ikonografie von Reichtum erlauben würden. Auch eine stärker sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Einordnung des akkumulierten und gezeigten Reichtums mag man vermissen, doch wäre dies sicher ein eigenes Ausstellungs- und Forschungsthema.

Aus einer anderen Perspektive betrachtet, regt die große Anzahl von Inszenierungen dazu an, die Fotografen selbst als Akteure wahrzunehmen. Zusammen mit Journalisten, Magazinen und Agenturen spielten und spielen sie eine große Rolle in der medialen Repräsentation von Reichtum. Viele der Fotografen, deren Arbeiten in Hamburg ausgestellt sind, entstammen selbst einer gehobenen Schicht. Manche Fotos dokumentieren deren eigenes Leben und die Selbstwahrnehmung der Oberschicht. Andere Fotografen haben über ihre familiären Kontakte bzw. durch ihre Schichtzugehörigkeit Zugang zu sonst verschlossenen Kreisen erhalten (wobei einige Fotos erst Jahrzehnte später publiziert werden konnten). Auf diese Weise sind Quellen entstanden, die eine künftige Historiografie des Reichtums in mehrfacher Hinsicht bereichern können.

Anmerkungen:
1 Themenheft in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift POP. Kultur und Kritik, Heft 5, Herbst 2014, transcript Verlag, Bielefeld; Inhaltsverzeichnis unter <http://www.pop-zeitschrift.de/2014/09/13/pop-kultur-und-kritik-heft-5-herbst-2014inhaltsubersicht13-9-2014/> (10.12.2014).
2 Vgl. auch Joachim Güntner, Protzen wird immer gewöhnlicher, in: Neue Zürcher Zeitung, 16.11.2014, <http://www.nzz.ch/feuilleton/protzen-wird-immer-gewoehnlicher-1.18425170> (10.12.2014).