„Auschwitz-Prozess 4Ks 2/63 Frankfurt am Main“

„Auschwitz-Prozess 4Ks 2/63 Frankfurt am Main“

Veranstalter
Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt am Main (12418)
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12418
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.03.2004 - 23.05.2004

Publikation(en)

Auschwitz-Prozess 4Ks 2/63 Frankfurt am Main. . Köln 2004 : Snoeck Verlag, ISBN 3-936859-08-6 872 S. € 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Horn, FB 9 Kulturwissenschaft, Universität Bremen

Vor 40 Jahren, im Dezember 1963, wurde in Frankfurt am Main der erste Auschwitz-Prozess eröffnet. Zum ersten Mal mussten sich in einem umfangreichen Verfahren ehemalige Funktionäre und Mitglieder der Wachmannschaften des KZ Auschwitz vor einem Gericht der Bundesrepublik Deutschland für ihre Verbrechen verantworten. Der Prozess stellte nicht nur einen wichtigen Meilenstein in der juristischen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland dar, sondern er fand auch Beachtung in breiten Teilen der Gesellschaft. In Medien und Öffentlichkeit wurde das knapp 2 Jahre andauernde Verfahren rezipiert und immer wieder diskutiert.

Das Fritz-Bauer-Institut würdigt dieses Ereignis nun mit einer großzügig angelegten Ausstellung (auf 1.300 qm, über 3 Ebenen) am historischen Ort, dem Bürgerhaus Gallus, in dem das Gericht ab April 1964 nach Verlegung aus dem Römer-Plenarsaal tagte. Die Ausstellungsmacher - ein Team um die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts Irmtrud Wojak - beweisen Mut, indem sie eine Kombination von historisch-dokumentarischer Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst wagen. Dieses Unternehmen ist nicht selbstverständlich und macht neugierig.

Die historische Dokumentation
Noch vor Betreten des Hauses Gallus werden die Besucher von der Stimme des Vorsitzenden Richters Hans Hofmeyer empfangen: „Die Sitzung und Verhandlung vom Schwurgericht am Landgericht in Frankfurt am Main ist eröffnet...“. Es handelt sich hierbei um eine kurze Passage aus dem rund 430stündigen Original-Tonbandmitschnitt des Verfahrens, der zur „Stützung des Gedächtnisses des Gerichts“ angefertigt wurde. Dieses bewegende Zeitdokument, das unvergessliche Aussagen von Opfern und Tätern enthält, sollte nach dem Ende des Prozesses vernichtet werden, konnte jedoch nach Intervention von Überlebenden erhalten bleiben und steht seit einigen Jahren dem Fitz-Bauer-Institut zur Transkription und wissenschaftlichen Bearbeitung zur Verfügung.1

Hinter dem Eingangsbereich gegenüber der Garderobe wird ein Videofilm der belgischen Künstlerin Els Dietvorst vorgeführt, von dem später noch die Rede sein soll. Eine geschwungene Treppe führt in den Vorraum der 1. Etage, auf der man unglücklich empfangen wird: „ein lebensgroßes Foto des Herrn Hitler, mannsgroß mit blanken Lederstiefeln. Als sei er der Führer durch die Ausstellung“ bemerkte bereits Jochanan Shelliem folgerichtig in seiner Rezension der Ausstellung.2 Das Foto ist eingereiht in eine „Chronik der Judenverfolgung“. Dieser historische Abriss wird durch eine Chronologie der bedeutendsten NS-Prozesse (Nürnberger-Prozess, Eichmann-Prozess...) vor dem Frankfurter Auschwitz-Verfahren ergänzt. Es ist viel Text zu lesen. Dies ist eine Ausstellung, die man sich von Anfang an erarbeiten muss.

Vom Vorraum aus betritt man den großräumigen ehemaligen Gerichtssaal. Hier befindet sich das Herzstück der Ausstellung. An der linken Fensterwand sind einige Portraitfotos von Überlebenden, die als Zeugen der Anklage im Prozess auftraten, angebracht. An der rechten Saalwand sind die „Haupttäter“ – Goebbels, Göring, Himmler, Heydrich, Frank, Streicher –, die hier jedoch nicht vor Gericht standen, aufgereiht. In der Mitte des Saales werden in sechs in eine schiefe Ebene eingelassenen Text- und Hörkabinen die Angeklagten Mulka, Capesius, Boger, Stark, Klehr und Kaduk vorgestellt. Unglücklicherweise wird diese Ausstellungsarchitektur auf dem Begleitblatt der Ausstellung „Rampe“ genannt – ein Begriff, den der Ausstellungsarchitekt Holger Wallert vermeiden wollte.3 In den einzelnen Kabinen können die Besucher ausgewählte Passagen aus dem Tonbandmitschnitt zu den einzelnen Angeklagten hören. Besonders beeindruckend an diesen Tonzeugnissen ist der Gegensatz zwischen den schmerzvoll um Erinnerung ringenden Opfern und den sich nicht erinnern wollenden Tätern, denen Verteidiger zur Seite stehen, die mit schneidenden Stimmen unter teilweise skrupelloser Ausschöpfung der Strafprozessordnung die Aussagebereitschaft und Glaubwürdigkeit der Zeugen der Anklage zu erschüttern suchen – ein zugleich eindrucksvolles wie erdrückendes Zeitdokument, das das Fritz-Bauer-Institut den Besuchern hier zur Verfügung stellt. Unterstützt werden die Aussagen durch informative Texte und Fotos in den einzelnen Kabinen.

Die zweite Etage ist der Rezeption des Verfahrens in der zeitgenössischen deutschen Öffentlichkeit gewidmet. Zeugnisse von Peter Weiss, Horst Krüger, Hannah Arendt, Paul Celan und vielen anderen wurden akribisch aufgespürt und präsentieren sich den Besuchern. Die Palette der intellektuellen Auseinandersetzungen ist eindrucksvoll. Dem Bühnenstück Die Ermittlung von Peter Weiss wird gar ein eigener Raum gewidmet. Leider entsteht hier der Eindruck, dass der Prozess vornehmlich in einem kleinen Zirkel von Künstlern, Literaten und anderen Intellektuellen diskutiert und verarbeitet worden ist. Dass das Verfahren, einer breiten Öffentlichkeit über die Massenmedien Zeitung, Radio, Fernsehen zugänglich gemacht, auch in andere, weite gesellschaftliche Bereiche ausstrahlte, wird hingegen kaum berücksichtigt. Gerade eine Betrachtung der damaligen massenmedialen Vermittlung hätte zeigen können, in welchen Formen der Prozess der breiten Bevölkerung präsentiert wurde und somit Aufschluss über seine gesellschaftliche Wirkung geben können. Besonders der Hessische Rundfunk hat herausragende TV-Beiträge, wie Gericht über Auschwitz produziert. Dort ist, um nur ein Beispiel zu nennen, ein Interview mit Schülern zu ihrer Meinung über den Prozess enthalten, das uns heute erahnen lässt, in welche gesellschaftliche Atmosphäre das Verfahren seinerzeit fiel. Statt dessen kann man in den im Raum installierten Fernsehern wiederum nur Ausschnitte aus Literaturverfilmungen betrachten, die einen eingeschränkten Öffentlichkeitsbegriff der Ausstellungskonzeption manifestieren. Eine Einbindung von Wissenschaftlern, die sich seit Jahren eingehend mit der Medienberichterstattung über den Prozess auseinander setzen, wie beispielsweise Devin Pendas über die Zeitungsberichterstattung, hätte diesem Teil der Ausstellung sicherlich gut getan. Stattdessen wird hier wie auch im Katalog der Exposition von teilweise unleserlichen Manuskriptseiten und aufgeschlagenen Taschenkalendern, die reliquienartig einen Prozessbesuch der ausgestellten Persönlichkeiten belegen, breiter Raum geboten. Die Reduktion der öffentlichen Rezeption auf „Meistererzählungen“ ist völlig unverständlich.

Die Kunst
Der Kurator Erno Vroonen hat 12 internationale Künstler/innen ausgewählt, die die Besucher durch die unterschiedlichen thematischen Bereiche der Ausstellung begleiten. Besonders gelungen sind die künstlerischen Exponate von Gitte Villesen (Dänemark) und Claus Föttinger (Arnheim). Beide haben sich intensiv auf das Thema eingelassen und jeweils interessante künstlerische Zugänge gefunden. Gitte Villesen hat für ihre Videoinstallation authentisch sachlich subjektiv – oder welchen Regeln folgt man? verschiedene Mitarbeiter des Fritz-Bauer-Instituts zu ihrer Arbeit an dem Projekt interviewt und versucht, Beziehung und Zugängen der Forschenden zu ihrem Forschungsgegenstand - und letztendlich auch der „Wahrheit“ - auf die Spur zu kommen. Ihre intensive Einlassung auf das Thema, sie hat beispielsweise in der Vorbereitung die Gedenkstätte Auschwitz besucht, zeigt sich besonders deutlich in ihrer sensiblen Interviewgestaltung.

Claus Föttinger hat mit der gelungenen Installation Club BRD eine diskursive Situation um den Themenkomplex Schuld und Verjährung geschaffen. Er hat ein Sitzensemble aus Spiegelschrank, Sitzwürfeln, Tischen, PC, Radio und CD-Player gestaltet. Auf den Möbeln sind Dokumente der Anklage sowie der Verjährungsdebatte angebracht und mit Epoxydharz versiegelt. Aus einem Radio der 40er Jahre sind verschiedene Tonquellen (Angeklagte, Zeugen, Redebeiträge aus der Verjährungsdebatte und Lieder aus der UFA-Zeit) zu dem Themenkomplex zu hören. Das Arrangement lädt die Besucher zur Diskussion ein. Schade ist, dass gerade dieses diskursive Exponat separat in einem abgelegenen Raum auf der 1. Etage untergebracht ist. Es hätte auf Grund seiner Konzeption eine exponiertere Platzierung im Rahmen der Ausstellung verdient gehabt. Meine Nachfrage bei dem Künstler hat ergeben, dass dies von ihm auch durchaus beabsichtigt war – vorgesehen war die Mitte des ehemaligen Gerichtssaales und damit das Herz der Ausstellung. Dies wurde aber von den Ausstellungsmachern kurzfristig geändert. Durch die isolierte Positionierung wird das Kunstwerk nun leider seines zentralen Anliegens und somit seiner Konzeption beraubt.

Befremdend wirkt der eingangs erwähnte Videofilm _(Königskinder)_der belgischen Künstlerin Els Dietvorst, der die Besucher empfängt. Zu sehen sind Interviews, die sie im Jugendgefängnis von Mol/Belgien mit minderjährigen Straffälligen über deren Geschichte führte. Für die Ausstellung wurde der Film mit deutschen Untertiteln versehen. Der Bezug zum gegebenen Rahmen wird nicht klar. Im Gegenteil, wenn ich mich bemühe, einen solchen herzustellen, wird die Sache nur noch schlimmer: Soll ich die interviewten Jugendlichen mit den Angeklagten des Auschwitz-Prozesses vergleichen? Oder gar mit den Opfern? Soll hier ein verallgemeinernder Diskurs über „Täter“ geführt werden? Ein erläuternder Text, der das Exponat in den Rahmen der Ausstellung kontextualisiert, existiert leider auch im Katalog nicht.

Ähnlich von der Ausstellung untangiert präsentiert sich auf einer Außenterrasse ein ca. 3 m großes begehbares Ei (Caro) des Münchener Künstlers Hermann Maier Neustadt. Ein dazu im Katalog wiedergegebener Text über das Schlangenei als Ursprungssymbol in der keltischen Zahlen- und Fruchtbarkeitsmystik lässt den Bezug dieses Artefakts zum Ausstellungsgegenstand in nur noch dichterem Nebel verschwinden. Möchte der Künstler den Holocaust als ein naturhaftes Ereignis der Menschheitsgeschichte interpretieren?

Abschließende Bemerkung
Die mit reichhaltigen Dokumenten und teilweise anregenden künstlerischen Exponaten versehene Ausstellung lädt zur Auseinandersetzung mit dem zweifelsohne interessanten Thema ein. Um der Komplexität des Prozesses in seinem historischen, sozio-kulturellen Kontext gerecht zu werden, werden einige Aspekte jedoch zu sehr vernachlässigt.

Die 211 Überlebenden des Holocaust, die aus vielen Ländern erstmals wieder in das Land ihrer Peiniger gekommen waren, um im Prozess ihre Aussage zu machen, finden nur marginale Erwähnung. Lediglich als Illustration hängen die Fotos einiger von ihnen im Hauptsaal der Ausstellung. Ihre Ausklammerung aus dem Geschehen ist nicht nachvollziehbar, führten doch gerade ihr Erscheinen und ihre Aussagen im Prozess erst das Grauen eindringlich vor Augen. Was bedeutete es für sie, nach Frankfurt zu kommen und ihre Aussage vor einem deutschen Gericht zu machen? Wie erinnern sich die freiwilligen Zeugenbetreuer, die die Zeugen vom Bahnhof abholten, ihnen emotionalen Beistand bei ihrem Aufenthalt in Frankfurt leisteten? Hermann Langbein, ehemaliger Häftling in Auschwitz und Chronist des Auschwitz-Prozesses4, war maßgeblich an dem Zustandekommen des Verfahrens beteiligt, indem er half, Zeugen ausfindig zu machen und vor allen Dingen, sie zu überzeugen, nach Frankfurt zu kommen, um auszusagen. Ihm wird ebenfalls in der großzügigen auf 1.300 qm angelegten Ausstellung kein Platz eingeräumt. Auch der umfangreiche Katalog fängt dieses peinliche Defizit nicht auf. Die Auseinandersetzung mit den Tätern ist wichtig, gerät aber zur seltsamen Fixierung, wenn die Opfer - und auch die Gesellschaft, in der der Prozess stattfand (immerhin 20.000 Besucher verfolgten den Prozess) - kaum eine Bedeutung spielen.

Neben der schon oben erwähnten breiteren Darstellung der Wirkung des Prozesses in und auf die bundesrepublikanische Gesellschaft zum Zeitpunkt des Verfahrens hätte man sich auch gewünscht etwas über seine Wirkungsgeschichte bis heute zu erfahren. Etwas weniger vor- und mehr nachprozessuale Dokumentation hätten diese Ausstellung zu einem kulturhistorischen Highlight machen können. Hinsichtlich dieses Defizits der Ausstellung und des Kataloges sind die ausstellungsbegleitenden Materialien der pädagogischen Abteilung des Fritz-Bauer-Instituts zu empfehlen.5 Hier wird sich eingehend den Überlebenden und der Zeugenbetreuung gewidmet. Ebenfalls wird hier an einigen Stellen aufgezeigt, wie der Prozess in die Bevölkerung ausstrahlte, z.B. anhand eines Ausschnittes eines Schüleraufsatzes zu dem Thema.6 Es ist geplant, die Ausstellung noch in anderen Städten zu präsentieren. Ort und Zeiträume stehen zur Zeit noch nicht fest.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ausstellungskatalog S. 64-65.
2 Shelliem, Jochanan, „Gerichtstag über uns selbst halten.“ Ausstellung über den Auschwitz-Prozess, im Deutschlandradio Berlin am 7.4.2004. Siehe auch http://www.dradio.de/dir/sendungen/fazit/252203; letzter Zugriff 14.4.2004.
3 Vgl. ebenda.
4 Langbein, Hermann, Der Auschwitz-Prozess. Eine Dokumentation, 2 Bände, Wien, 1965.
5 Kingreen, Monica, Der Auschwitz-Prozess 1963-1965. Das Begleitprogramm zur Ausstellung bietet ebenfalls einige Programmpunkte, die dem besagten Defizit entgegenarbeiten. Siehe dazu unter http://www.fritz-bauer-institut.de.
6 Vgl. Kingreen S. 35.

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