»Wien. Die Perle des Reiches«

»Wien. Die Perle des Reiches«

Veranstalter
Architekturzentrum
Ort
Wien
Land
Switzerland
Vom - Bis
19.03.2015 - 17.08.2015

Publikation(en)

Cover
Architekturzentrum Wien; Holzschuh, Ingrid; Platzer, Monika (Hrsg.): »Wien. Die Perle des Reiches«. Planen für Hitler. Zürich 2015 : Park Books, ISBN 978-3-906027-78-4 231 S., 161 Farb- u. 23 SW-Abb. € 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Nicolas Trezib, Berlin

Wer an Wien und sein reiches architektonisches Erbe denkt, hat den Stephansdom, die Karlskirche, die Hofburg vor Augen. Auch im Kanon der modernen Architektur haben die Traditionslinien Wiener Kulturschaffens ihren festen Platz, in den sie durch so klangvolle Namen wie Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf Loos eingeschrieben sind. Dass in Wien auch eine formidable Periode modernen Bauens existierte, mit der – als „Planen für Hitler“ – eine genuin nationalsozialistische und zugleich genuin Wienerische Bautradition begründet werden sollte, hat in der Historiographie des kulturellen Standorts bislang dagegen kaum Spuren hinterlassen. Die Ausstellung „Wien. Die Perle des Reiches“ (der Titel ist als Zitat gekennzeichnet) hat es sich zum Ziel gesetzt, dies zumindest ein Stück weit zu ändern und das aus dem Gedächtnis verbannte architektonische NS-Erbe einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren.

Dass die Verdrängungsimpulse gerade im Architekturfach so lange wirksam blieben oder dieser Teil der Geschichte zumindest wenig beachtet wurde, hat seine Ursache offenbar auch darin, dass in den öffentlichen Archiven weite Bestände der originalen Dokumente aus der NS-Zeit der Vernichtung anheimfielen. Die derzeitige Ausstellung basiert nahezu vollständig auf der in jahrzehntelanger Arbeit zusammengetragenen Sammlung des Wiener Architekten Klaus Steiner, der es frühzeitig als seine Aufgabe empfand, ein „großes braunes Loch“ zwischen dem „Roten Wien“ und der Zeit des Wiederaufbaus zu füllen. So wirft die Ausstellung durch ihr eindrucksvolles, bislang noch vollständig unveröffentlichtes Quellenmaterial mit einem Schlag ein ganz neues Licht auf diese unliebsame Epoche der Wiener Architektur. Freilich darf von der Ausstellung keine umfassende Bestandsaufnahme des Wiener Bauschaffens im Nationalsozialismus erwartet werden. Doch das war auch gar nicht die Absicht der Kuratorinnen Ingrid Holzschuh und Monika Platzer. Vielmehr wollen sie mit einzelnen, klar gesetzten Einschnitten vermitteln, dass das nationalsozialistische Bauen keine „wienfremde“ Randepisode, sondern einen integralen Bestandteil der Stadtgeschichte bildet.

Tatsächlich war die Stadt nach 1938 einem fundamentalen Bedeutungswandel unterworfen, der sich unmittelbar auf ihre regionale, großräumliche und symbolische Funktion auswirkte. Eben noch stolze Hauptstadt der Republik, fiel Wien als „Gauhauptstadt“ im Rang nun hinter München, Nürnberg, Berlin, Hamburg und Linz zurück – Orte, die Hitler innerhalb des „Großdeutschen Reiches“ zu seinen „Führerstädten“ auserkoren hatte. Dennoch konnte der drohende Statusverlust durch neue Bedeutungszuschreibungen mühelos kompensiert werden, wie sich in der Folge zeigte. Hitlers nach erfolgtem „Anschluss“ Österreichs vollmundig gegebenes Versprechen, er werde der Stadt Wien als „Perle des Reiches“ eine „Fassung“ geben, die ihrer „würdig“ sei, entfachte bei lokalen Behörden und Architekten ein regelrechtes Planungsfieber.

Einen programmatisch richtungsweisenden Charakter besaßen in diesem Zusammenhang die schon im Mai 1938 vom Stadtplanungsamt bzw. der Planungsbehörde Wien begonnenen Arbeiten für die Raumordnung des neu geschaffenen Reichsgaus „Groß-Wien“ und den „Aufbau Wiens im großdeutschen Raum“. Diese Pläne sollten der vom Wiener Bürgermeister Hermann Neubacher apostrophierten Neuausrichtung Wiens als „Hamburg des Ostens“ Wirksamkeit verschaffen. Die Funktion, die Wien im wirtschaftlichen Geflecht seiner Binnenlage bislang eingenommen hatte, kehrten sie vollständig um: Die Stadt sollte nun nicht mehr Endpunkt der Warenströme, sondern Brückenkopf für die Versorgung des „Großdeutschen Reiches“ mit Gütern und Rohstoffen aus dem Balkan und dem osteuropäischen Raum sein. Die zugrunde liegenden Maßstäbe setzten gleich auf der höchsten Ebene an und zeigten mit zwingender Logik, dass Wien durch seine Lage am oberen Donaulauf dafür prädestiniert sei, zum Hauptumschlagplatz für Erdöl-, Kohle- und Erzimporte aus dem Nahen Osten sowie den Anrainerstaaten des Schwarzen Meers aufzusteigen. Konsequenterweise wurde dem massiven Ausbau der Donauhäfen in den NS-Plänen größte Priorität zugemessen; bis 1950 sollten sich die Kapazitäten der Wiener Hafengebiete ungefähr verzehnfacht haben. In der großräumlichen Konstellation dieser Planungen sollte Wien zudem durch den Bau eines „Weltflughafens“ und durch seine Einbindung in das Netz der Reichsautobahnen aufgewertet werden.

Doch auch städtebaulich verfolgten Wiener Planer und Architekten hochfliegende Ambitionen. Im Rahmen der räumlichen Neuordnung der Stadtbezirke „Groß-Wiens“ sollte „durch raumpolitisch planvolle Lenkung der Neubesiedlung“ das städtebauliche Ideal einer aufgelockerten Stadtlandschaft mit weit in das Stadtzentrum vordringenden Grünkeilen und ausgelagerten Trabantenstädten verwirklicht werden. So propagierte der prominente Architekt Roland Rainer im Jahr 1942 eine „Siedlungskette“ neuer Vorstädte, durch die das Wiener Becken zu einer landschaftlichen Einheit verschmelzen sollte, während der Wiener Architekt und Professor Erwin Ilz schon 1938 eine städtebauliche Neuordnungsskizze vorlegte, die eine Umsiedlung von „beiläufig 500.000“ Einwohnern in der Region „Groß-Wien“ vorsah. Eine solche „Auflockerung“ schien schon allein aus Luftschutzgründen geboten zu sein.

Die von den NS-Planungen allenthalben zur Handlungsmaxime erhobenen Umsiedlungsdynamiken führten auch in Wien zu Überlegungen, das Bauwesen im Sinne vereinfachter und schnellerer Produktion zu reorganisieren. Ansatzpunkt solcher Überlegungen waren die unter anderem durch Ernst Neufert und Konstanty Gutschow im Auftrag des „Reichswohnungskommissars“ und „Führers der Deutschen Arbeitsfront“, Robert Ley, erarbeiteten Richtlinien zur Normung und Typisierung im Wohnungsbau. Auch der Wiener Architekt Franz Schuster, der sich in diesem Rahmen vorrangig mit der Entwicklung seriell gefertigter Typenmöblierungen befasste, war seit 1942 in diese Forschungen eingebunden. Ihren lokalen Niederschlag fanden die im Sinne einer volkspolitisch motivierten „Wohnungsoffensive“ betriebenen Typisierungsmaßnahmen in verschiedenen Vorortsiedlungen, die seit 1938 im Rahmen der Wiener Strukturpläne errichtet wurden. Zu diesen Siedlungen zählten etwa die „Dankopfer-“ und „Kriegsopfersiedlung“ oder die Stadtrandsiedlungen „Am Freihof“, „Lockerwiese“ und „Wienerfeld Ost“ bzw. „Wienerfeld West“. In Anpassung an die geltenden ästhetischen Normen des Regimes beschränkten sich die Wohntypen fast durchweg auf maximal zweigeschossige Einfamilien- und Reihenhäuser, die in gestalterischer Hinsicht als Interpretation eines modernisierten Heimatstils verstanden wurden und im Ensemble die Wirkung kleinteiliger Dörflichkeit erzeugen sollten. Strukturräumlich ging der Bau von Arbeitersiedlungen im Stadtrandgebiet mit der Verlagerung von Rüstungsindustrien einher – zum Beispiel dem Flugmotorenwerk „Ostmark“.

Auf der anderen Seite des Spektrums der Bautätigkeit standen die für Wien geplanten Repräsentationsbauten. Wie andere bedeutende Städte im Deutschen Reich sollte auch Wien durch monumentale neue Partei- und Funktionsbauten, Aufmarschplätze, Gauforen und kilometerlange, axiale Pracht- und Paradestraßen komplett umgeformt werden, um den Machtanspruch des NS-Staates sichtbar zu dokumentieren. Nach anfänglichen Kompetenzstreitigkeiten standen diese Planungsarbeiten seit 1940 unter dem energischen Regiment des aus Berlin stammenden Architekten Hanns Dustmann. Der Ehrgeiz der Stadtplaner und Architekten richtete sich vor allem darauf, das Stadtzentrum über die bislang nur in niedriger Dichte bebaute Praterinsel an das Ufer der „blauen Donau“ heranzuführen. Die von dem dilettierenden Architekten Hitler gestellte Diagnose, das neue Wien müsse seine Schauseite dem Fluss zuwenden, galt dabei selbstredend als Imperativ. Als ausgesprochener Vorteil durfte verbucht werden, dass mit der großzügigen Neugestaltung der Praterinsel – seit 1940 „Baldur-von-Schirach-Insel“ – zugleich die überwiegend von Juden bewohnte Leopoldstadt abgerissen und aus dem Stadtbild getilgt werden konnte. Was mit deren Bewohnern geschehen sollte, galt den Planern damals offenbar bereits als ausgemacht, trübte jedenfalls nicht weiter ihre Euphorie. Stattdessen sollte beidseits der Ufer der schönen Donau ein Sammelsurium von Triumphbögen, Obelisken, Siegessäulen, Kolonnaden und vergleichbarem imperialem Kitsch entstehen, das sich vor Speers Germania-Entwürfen nicht zu verstecken brauchte. Den absurden Höhepunkt dieser phantastischen Pläne sollte (wie in Berlin) eine gigantische Kuppelhalle bilden, die in einem künstlich angelegten See thronte. Verwirklicht wurde von all den Plänen nur wenig – am markantesten im heutigen Stadtbild sind sicher die sechs erhaltenen Flaktürme des Architekten Friedrich Tamms.

Bei aller Anbiederung an das Berliner Leitbild sollte der düstere Klassizismus der Bauten jedoch mit einer Prise „Wiener Charme“ gewürzt sein, welchen die Architekten als Ausdruck „arteigenen“ Handwerks verstanden wissen wollten. Solch ein Lokalkolorit wurde in paradigmatischer Manier etwa durch die gediegenen Interieurs eines Oswald Haerdtl erzeugt. Als Exportgut echt Wienerischen Geschmacks fanden diese Stilprägungen dann beispielsweise ihren Weg in die Entwürfe für die Staatsbibliothek Krakau oder auch für die Deutsche Gesandtschaft in Madrid.

Die Ausstellung selbst wirkt trotz der Vielzahl der Exponate, die dem Besucher geboten werden, sehr übersichtlich. Die originalen Pläne und Bilddokumente werden in themengebundenen Sektionen präsentiert, die durch griffige Überschriften und knappe Kommentare gekennzeichnet sind. Der auch grafisch sehr ansprechende Katalog zur Ausstellung folgt diesem Ordnungsschema. Ein wenig bedauerlich ist dabei zum einen, dass die im Katalog zusammengestellten Kurzbiographien nicht auch in der Ausstellung einen breiteren Platz eingeräumt bekommen. So hat man beinahe den Eindruck, als ob es sich bei den NS-Planungen um anonyme Schöpfungen handele – dabei ist, denkt man beispielsweise an Josef Hoffmann oder Roland Rainer, das Gegenteil der Fall. Vielleicht hätte eine andere Gewichtung auch dabei geholfen, die Biographien derjenigen Architekten plastischer sichtbar zu machen, die verfemt, verfolgt oder vertrieben wurden.1

Zum anderen fragt man sich bisweilen, ob die enormen Maßstabssprünge, die die NS-Planungen implizierten, für fachfremde Rezipienten vollständig nachvollziehbar sind. Eigene Visualisierungen oder zumindest Vergrößerungen des vorhandenen Materials, wenigstens bei zeitgenössischen Fotos, hätten hierbei hilfreich sein können. Nicht umsonst zählt zu den eindrucksvollsten Exponaten der Schau die Reproduktion eines überdimensionalen Wandbilds, das 1933 für das „Gschnasfest“ (Kostümfest) im Künstlerhaus gemalt wurde und das Stadtpanorama Wiens im Jahr 3000 zeigt: Als Parodie auf das NS-Regime gedacht, wirkt es rückblickend wie eine unheimliche Prophetie, in der der Wunsch sich bereits als Vater des Gedankens zu erkennen gibt.

Dass die Ausstellung insgesamt erfolgreich der Gefahr entgeht, eine Art gruseliger Faszination zu erzeugen und absichtslos zu einer Überhöhung ihrer Inhalte beizutragen, ist sicher auch der überzeugenden Gestaltung des engagierten Architekturbüros GABU Heindl zu verdanken. Ihrem Konzept entsprechend präsentiert sich die Schau als Reenactment der 1946 im Künstlerhaus Wien veranstalteten antifaschistischen Ausstellung „Niemals vergessen!“, was zugleich ihre historische und kritische Verortung in der Gegenwart markiert. Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der für die Wiener so bequeme „Opfermythos“, demzufolge der Nationalsozialismus als Teil einer Unterdrückungsgeschichte „Hohenzollern – Hitler – Preußen contra Österreich“ dargestellt wurde, als permanente Immunisierungsstrategie vorbereitet. Die visuelle Bezugnahme auf die Ausstellung von 1946 wird in der aktuellen Schau konsequent ironisiert, nicht zuletzt durch den dominanten Rosa-Ton, in den die Wände des Saals getaucht sind und der auch den Einband des Katalogs ziert. Als Anti-Farbe maskuliner und militaristischer Rollenzuweisungen kompromittiert er wirkungsvoll jeden Anflug brauner Sentimentalität. Alternativ könnte das Farbschema auch als Verkitschung der Nazi-Ästhetik gelesen werden, welche diese nicht unbedingt suspendiert, sondern eher ein korrelierendes Spiegelbild zeigt, mit dem eine mediokre und zugleich größenwahnsinnige Moderne sich in ein Gewand trügerischer Harmlosigkeit kleidete und noch kleidet.

Noch ein anderes Motiv aus dem Jahr 1946 wurde einer Strategie der Aneignung und zugleich Verfremdung unterworfen. Ein zeitgenössisches Foto gibt eine Impression vom Aufbau der damaligen Ausstellung wieder: eine Malerleiter, Tischböcke, noch unfertige Wände. Diese Ästhetik des Vorläufigen wurde für das aktuelle Gestaltungskonzept bis in feine Details reproduziert, um einen Standpunkt für die gegenwärtige Auseinandersetzung aufzuzeigen: Fast 70 Jahre später setzt sie genau dort an, wo sie damals versäumt wurde.

Anmerkung:
1 Nähere Hinweise zu den Biographien der genannten Architekten bietet das verdienstvolle „Architektenlexikon 1770–1945“ des Architekturzentrums Wien, das in einigen Aspekten und Bewertungen zur NS-Zeit auf Basis des jetzigen Forschungsstandes aber noch überprüft und ergänzt werden sollte: <http://www.architektenlexikon.at> (04.07.2015).

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