Deutsch-Französischer Krieg 1870 (Dauerausstellung)

Deutsch-Französischer Krieg 1870 (Dauerausstellung)

Veranstalter
Conseil Départemental de la Moselle
Ort
Gravelotte
Land
France
Vom - Bis
01.01.2014 -

Publikation(en)

Conseil Départemental de la Moselle (Hrsg.): Museum des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 und der Annexionszeit, Gravelotte. . Ars-sur-Moselle 2015 , ISBN 978-2-35475-093-0 84 S. € 10,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Späth, Historisches Institut, Universität Saarland

Brauchen wir heute noch neue Museen? Können wir uns diese angesichts vielfältiger Sparzwänge überhaupt leisten? Sollten wir nicht vielmehr darauf setzen, bestehende Ausstellungsorte zu modernisieren? Eine überzeugende Antwort auf solche Fragen bietet das im April 2014 eröffnete Museum des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 und der Annexionszeit in Gravelotte bei Metz in Lothringen. Einzigartig in Bezug auf das Thema und konsequent eingebettet in den europäischen Kontext, widmet sich die Dauerausstellung dem meist eher stiefmütterlich behandelten ersten von drei Kriegen zwischen Deutschland und Frankreich binnen 70 Jahren und spart auch das äußerst spannende Kapitel der Abtretung des Elsass und von Teilen Lothringens an das Deutsche Reich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs nicht aus. Auf der Grundlage von mehr als 600 Exponaten aus deutschen und französischen Sammlungen präsentiert sich die Ausstellung äußerst vielfältig und interaktiv in großzügigen und architektonisch ansprechenden Räumen an einem der ehemaligen Kriegsschauplätze. Seit Sommer dieses Jahres liegt zudem ein Ausstellungsführer vor, der es ermöglicht, das Gesehene und Erlebte noch einmal nachzuarbeiten. Allerdings wäre eine umfassendere Publikation mit zusammenhängenden Texten und weiterführenden Literaturhinweisen in der Zukunft wünschenswert, um das präsentierte Thema zu vertiefen. Auch die merkwürdige Entscheidung, das Museum nicht ganzjährig zu öffnen, sollte dringend überdacht werden.

Wer mit dem Auto nach Gravelotte gelangt, erblickt zunächst am Parkplatz die liebliche Hügellandschaft Lothringens. Hier soll also eine der blutigsten Schlachten des Krieges 1870 stattgefunden haben? Die Idylle der vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Umgebung wird jedoch jäh unterbrochen, wenn man den Hinweisschildern zum Museum folgt. Denn diese führen über den deutschen Militärfriedhof zum einst größten Denkmal des Deutsch-Französischen Krieges, der 1905 von Kaiser Wilhelm II. eingeweihten und einem neoromanischen Kloster nachempfundenen Gedenkhalle. Der didaktisch klug gewählte Weg lässt den Besucher nach Überqueren der Straße am neuen Museum ankommen, das an die Stelle des älteren, in den 1990er Jahren geschlossenen Hauses getreten ist. Von außen wirkt der moderne und innovative Bau etwas dunkel, was an seiner zur Reflexion einladenden patinierten Metallfassade liegen mag, präsentiert sich in der großzügigen Eingangshalle jedoch überraschend hell und lichtdurchflutet. Neben der das gesamte obere Stockwerk einnehmenden Dauerausstellung bietet der Komplex Platz für zwei Sonderausstellungen, eine nach Anmeldung benutzbare Bibliothek und einen Museumsshop. Erfreulicherweise sprechen die Ausstellungsmacher in der Großregion Saar-Lor-Lux von Anfang an ein überregionales europäisches Publikum an, indem sie nicht nur die Informationsbroschüren und den Museumsführer, sondern vor allem die Texttafeln durchgängig auf Französisch, Deutsch und Englisch verfasst haben, wobei die englischsprachigen Passagen knapper ausfallen.

Der erste Raum der Ausstellung konfrontiert den Besucher unmittelbar mit der links des Rheins sprichwörtlich gewordenen Grausamkeit der Schlacht bei Gravelotte vom 16. August 1870 („Ça tombe comme à Gravelotte“), die allein 32.000 Menschen das Leben kostete und sich in Gedichten wie Ferdinand Freiligraths „Trompete von Gravelotte“ oder Arthur Rimbauds „Le dormeur du val“ nachhaltig in die französische und deutsche Erinnerungskultur eingebrannt hat. Einige auf dem Schlachtfeld gefundene Objekte kontrastieren dabei wirkungsvoll mit an die Wand projizierten Bildern und Geräuschen unberührter Natur. Die in fünf thematische Bereiche gegliederte und jeweils mit einer Leitfarbe für die Texttafeln versehene Ausstellung beginnt mit einer kurzen Einordnung in den europäischen Kontext der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert im Allgemeinen sowie in das französisch-preußische Verhältnis bis hin zur Kriegserklärung am 19. Juli 1870 im Besonderen.

Der mit Abstand ausführlichste zweite Themenbereich widmet sich dann ganz dem Krieg in zahlreichen Facetten. Leider sind manche Objekte in den Vitrinen nur schwer den Beschreibungen zuzuordnen und zudem schlecht beleuchtet. Doch glücklicherweise kann der Besucher auch auf zahlreiche Video- und Hörstationen zu einzelnen Aspekten zurückgreifen und sich so multimedial informieren. Obwohl dieser zweite Bereich mit seinen zahlreichen Uniformen, Karten, Plänen und Waffen in erster Linie Militärhistoriker in den Bann ziehen dürfte, bietet er auch kunst-, medien- und sozialgeschichtlich Interessierten jede Menge Anschauungsmaterial. Wer will, kann sich anhand der Historienmalerei mit Mythos und Realität des Kriegsausbruchs, den Gefechten rund um Metz und der Schlacht von Sedan mit ihren Siegern und Verlierern auseinandersetzen. Oder man konzentriert sich auf die unterschiedliche Kriegsberichterstattung in Preußen und Frankreich, die eigene vergleichende Schlüsse zulässt. Höchst interessant sind auch die beiden sozialgeschichtlichen Vertiefungsmöglichkeiten im Rahmen der Belagerung von Metz und der Friedensregelung sowie der Abtretung von Elsass-Lothringen, denn nicht jedem dürfte bekannt sein, dass die in der Genfer Konvention von 1864 niedergeschriebenen Prinzipien des Internationalen Roten Kreuzes erstmals während des Krieges von 1870/71 zur Anwendung kamen oder dass am Ende des Krieges rund 600.000 französische Soldaten in deutsche und 40.000 deutsche Soldaten in französische Kriegsgefangenschaft gerieten und im harten Winter besonders leiden mussten.

Der dritte Teil der Ausstellung wartet mit einer subtilen Veränderung auf: In Übereinstimmung mit der politischen Zugehörigkeit steht im Bereich zum Reichsland Elsass-Lothringen bzw. der Westmark auf den Texttafeln zuerst die deutsche Erläuterung und dann die französische. Die knapp fünfzig Jahre als integraler Bestandteil des Deutschen Reiches werden sehr viel stärker als zuvor thematisch präsentiert. Zu den untersuchten Aspekten zählen Integration versus Opposition, der Umgang des Kaisers mit dem Reichsland (viele mögen hierbei an die Restaurierung der Hoch-Königsburg im Elsass denken), die Germanisierung in Schule, Wirtschaft und Religion, Kunst und Kultur, Städtebau und Architektur sowie der Revanche-Gedanke in Frankreich um die „verlorenen Provinzen“. Als Leitfrage dieses dritten Ausstellungsteils erscheint gerade auch in den Filmbeiträgen und Historikerinterviews das Spannungsmoment der Identität zwischen Frankreich, Deutschland und der Region. Eine mögliche Antwort gibt die Historikerin Anne Kwaschik, die den Unterschied im Elsass zwischen kulturell nach Deutschland und politisch nach Frankreich ausgerichteter Orientierung hervorhebt.

Die Erinnerung und das Gedenken an den Krieg und die Annexionszeit stellt der vierte Bereich der Ausstellung in den Mittelpunkt. Die Erläuterungen auf den Texttafeln beginnen nun wieder in französischer Sprache. Am Anfang stehen Fragmente aus dem berühmten 120 x 14m großen Schlachtpanorama von Rezonville, das 1883 entstand und Ende des 19. Jahrhunderts auf einer Auktion in über 100 Einzelteilen verkauft wurde. Weitere Räume sind den Denkmälern und Gedenkfeiern sowie den Kriegsveteranen gewidmet. Prominent vertreten sind darunter natürlich die Gedenkhalle zu Gravelotte von 1905 und der Soldatenfriedhof, aber auch umfassende Betrachtungen zu den Gedenkkulturen in Frankreich und Deutschland (Sedantag, Siegessäule in Berlin) und die Rivalität um die Erinnerung in Frankreich zwischen den Schlachtorten Mars-la-Tour und Gravelotte. Eine Karte mit allen Denkmälern zum Deutsch-Französischen Krieg links des Rheins zeigt die überraschend weit gestreute Verbreitung solcher Monumente im gesamten Hexagon. Der letzte Teil der Ausstellung schließt mit der Rückgabe der abgetretenen Gebiete an Frankreich im Waffenstillstand vom 11. November 1918 den offiziellen Auftrag des Museums ab, weist im letzten Film aber über diese Zeit hinaus bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Das neue Museum des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 und der Annexionszeit erweist sich als überaus facettenreich; wer es in all seiner Komplexität besichtigen möchte, sollte daher genügend Zeit mitbringen. Insgesamt gesehen wird es seinem Anspruch, eine „geteilte Geschichte“ zu präsentieren, vollauf gerecht. Für diese Europäisierung von Erinnerungskulturen steht auch der internationale wissenschaftliche Beirat des Museums, dem Historikerinnen und Historiker aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien angehören. Ein breites pädagogisches Angebot an Themenführungen vor allem für Schulklassen machen Gravelotte auch zu einem überaus attraktiven außerschulischen Lernort. Doch auch Studierende und Geschichtsinteressierte im breitesten Sinne werden in diesem Museum viel Neues erfahren, zumal in unmittelbarer Nachbarschaft zahlreiche Denkmäler zum Krieg von 1870/71 besichtigt und mehrere ausgewiesene Geschichtslehrpfade beschritten werden können. Die Voraussetzungen, aus Gravelotte künftig einen europäischen Erinnerungsort zu machen, stehen also gut.

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