Europäisches Hansemuseum

Europäisches Hansemuseum

Veranstalter
Europäisches Hansemuseum, Lübeck
Ort
Lübeck
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.05.2015 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulla Kypta, Departement Geschichte, Universität Basel

Das europäische Hansemuseum spielt in Lübeck, handelt von der Hanse und erzählt europäische Geschichte. Damit wird es dem Anspruch voll gerecht, den Name und Ort aufstellen. Das Museum präsentiert die Geschichte der spätmittelalterlichen Wirtschaft einer nordeuropäischen Stadt, die über den Transmissionsriemen der Hanse – aber nicht nur über diesen – in europäische Zusammenhänge eingebunden war.

Das gelingt, indem die einzelnen Räume jeweils Szenen nachbauen, die abwechselnd in Lübeck und in einer der Kontorsstädte Nowgorod, Brügge, London und Bergen spielen. So bewegt sich der Besucher/die Besucherin vom Ufer der Newa im Jahr 1193 ins Lübeck des Wirtschaftsaufschwungs im 13. Jahrhundert, besichtigt in der Brügger Kaufhalle bunte Tuchen und glänzende Rüstungen, findet sich in einer ausgestorbenen Straße Lübecks zur Zeit der Pest wieder, kann den Reichtum und Glanz der Stadt und der Kaufleute Londons im 15./16. Jahrhundert auf sich wirken lassen, am Hansetag des Jahres 1518 in Lübeck teilnehmen, zwischen lebensgroßen Dominikanermönchen über moralisches Wirtschaften nachdenken und schließlich in Bergen ein Kontor von innen besichtigen. Zwischen den großen Szenen liegen jeweils kleine Kabinetträume, die genauere Hintergrundinformationen liefern, indem sie zum Beispiel Faksimiles von Urkunden oder Rechnungsbüchern präsentieren.

Die Vorgeschichte der Hanse beginnt mit zwei Schiffen, die ihren Weg über die Newa nach Nowgorod machen. Eine Karte verdeutlicht, dass über Nowgorod der Anschluss an den Seidenstraßenhandel gefunden wurde. Damit werden zwei Akzente gesetzt, die das Museum prägen: Erstens wird der Handel in Europa als Teil des Welthandels ins rechte Maß gesetzt, zweitens wird die Hanse über die Fahrtgenossenschaften von Kaufleuten definiert. In der folgenden Szene lassen sich die Folgen des europäischen Wirtschaftswachstums in Lübeck anschaulich besichtigen, indem man erfährt, wie die Lübecker Häuser aussahen und gebaut wurden oder wie eine Heringstonne aussah. Große und übersichtliche Tafeln betten die Lübecker Geschichte in den europäischen Zusammenhang ein, indem sie das Bevölkerungswachstum Europas oder die Ausbreitung der Gotik illustrieren.

Den florierenden Handel des 14. Jahrhunderts erweckt die Brügger Kaufhalle zum Leben. Genau wie die anderen Szenen beginnt der Raum mit einer Tafel, die kurz erklärt, wo man sich befindet, und die Fragen nennt, die in diesem Raum beantwortet werden. Die erläuternden Tafeln sind so gestaltet, dass der Besucher/die Besucherin sie aktiv bedienen kann: So kann man zum Beispiel anzeigen lassen, aus welchen Regionen die verschiedenen Handelsgüter nach Brügge geliefert wurden, oder sich den Aufbau einer Handelsgesellschaft Schritt für Schritt erläutern lassen. Je nach gewählter Sprache erscheinen die Texte auf Deutsch, Englisch, Schwedisch oder Russisch. Der nächste große Raum setzt die Folgen der Pestzeit in Lübeck in Szene, gibt dazu konkrete Informationen, wo das jeweilige Haus in Lübeck zu finden ist, und erläutert die Auswirkungen der Pest auf die europäische Wirtschaft. Hörstationen – die es auch in den anderen Räumen gibt – erklären Aspekte der Szenerie, wie hier z.B. das Pestkreuz an der Tür, und geben Hintergrundinformationen, beispielsweise über die Miasma-Theorie, die damals die Verbreitung der Pest erklärte.

Der Raum über das Kontor in London verortet den hansischen Handel in der Stadt. Ein großes Stadtmodell macht die Lage wichtiger Gebäude anschaulich, die Porträtserie hansischer Kaufleute aus der Feder von Hans Holbein dem Jüngeren lässt die repräsentative Funktion des Kontors deutlich werden. Die Urkunde über die Schließung des Stalhofs und die Graphik, die zeigt, wie Lübecks Bevölkerung im Gegensatz zu anderen europäischen Handelsmetropolen stagniert, weist bereits über die Zeit der Hanse hinaus in die Neuzeit.

Erst am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit sahen sich die Hansestädte genötigt, ihrer Kooperation einen festeren organisatorischen Rahmen zu geben. Diese politische Geschichte der Kooperation und Konflikte zwischen den Städten, deren Kaufleute der Hanse angehörten, wird kreativ inszeniert, indem der Besucher/die Besucherin an der hansischen Tagfahrt von 1518 teilnehmen kann: Während man im Lübecker Ratssaal Platz nimmt, hört man über Kopfhörer die breaking news zur Versammlung, die dabei auch grundsätzliche Charakteristika wie etwa das Einstimmigkeitsprinzip erläutern. Schließlich kann man anhand theoretischer Texte und eindrücklicher Graphiken zu Himmel, Hölle und Fegefeuer darüber nachdenken, inwiefern die Kaufleute im Einklang mit religiösen Grundsätzen handelten oder nicht, wenn sie mit ihrem Handel Profite erwirtschafteten.

Auch diese Überlegungen werden in einen europäischen Kontext eingebettet, indem sie in Zusammenhang gesetzt werden mit der Ausbreitung der Franziskaner und Dominikaner. Zum Dominikanerorden gehörte auch das Burgkloster, in dem sich der wesentlich kürzere zweite Teil der Ausstellung befindet. Er befasst sich mit dem Ende der Hanse, das allerdings eher impressionistisch inszeniert denn erklärt wird: Fünf überlebensgroße Figuren von Bürgermeistern Lübecks, Hamburgs und Bremens sollen wohl auf das hanseatische Erbe verweisen. Dazu laufen zu David Bowies „Changes“ in rascher Abfolge Bilder aus dem 16./17. Jahrhundert ab, die die Reformation, Kriege und die Entdeckung neuer Welten zeigen. Der Innenraum des Kontors in Bergen mit Schlafplätzen und Lagerräumen wird dem Jahr 1774 zugeordnet, da das Bergener Kontor so lange bestand, die Szene führt aber zurück ins Mittelalter, da zum Beispiel der Stockfischhandel erläutert wird. Der Besucher/die Besucherin gewinnt also den Eindruck, dass sich in der Neuzeit viel änderte, welche Auswirkungen dies aber auf die Hanse und Lübeck hatte, bleibt unklar. In gewisser Weise befindet sich das Museum damit aber ebenfalls auf dem aktuellen Forschungsstand, der das Ende der Hanse noch nicht in gleicher Weise einer Revision unterzogen hat wie ihren Anfang.1 Entsprechend wird dieser Teil der Ausstellung im Moment auch noch konzipiert.

Manche der Szenerien sind etwas dunkel geraten, was Assoziationen vom dunklen Mittelalter weckt, zugleich aber auch die Glorifizierung der Hanse als goldene Vergangenheit erschwert. Dazu leisten auch die Texttafeln ihren Beitrag, wenn sie etwa auf die Beteiligung der Kaufleute an den Kreuzzügen im Ostseeraum hinweisen. Die ständig wiederholten Jingle in den Szenenräumen lassen im Gegenzug die Kabinette mit ihren schönen Urkunden und Rechnungsbüchern (und entsprechend weniger Besuchern) zu Oasen der Ruhe werden. Die Ausstellung schließt mit der Rezeptionsgeschichte, mit Bildern von und über die Hanse und einer Reflexion ihrer musealen Aufbereitung.

Im Europäischen Hansemuseum gibt es kurz gesagt viel zu lesen, zu sehen und zu erfahren über die europäische Geschichte des späten Mittelalters. Die Texte sind verständlich und zugleich differenzierend formuliert, wenn etwa von „der Hanse“ nicht vor der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gesprochen und die Entstehung dieses Namens erläutert wird. Umstrittene Forschungsfragen, wie zum Beispiel die Diskussion über Wesen und Ursprung der Kogge2, werden prägnant angerissen. Der Besucher/die Besucherin wird stets informiert, auf welcher Quellengrundlage die präsentierten Ergebnisse gewonnen wurden und wo Probleme der Auswertung liegen. Die Umrechnung von Preisen in heutige Währung beispielsweise wird ausführlich erklärt und zudem mit dem Hinweis versehen, eigentlich dürfe man das nach wissenschaftlichen Kriterien gar nicht machen.

Die Ausstellung präsentiert viel Material, das sie anschaulich und übersichtlich auswertet. Sie stellt zwar wenige neue Forschungsfragen oder -thesen auf, bietet aber viel Material dafür, es selbst zu tun. Für einen Besuch mit Studierenden böte es sich deshalb an, eine oder mehrere Fragen vorzugeben, um die Fülle an Informationen mit einem roten Faden zu versehen, wie zum Beispiel: Förderte die Hanse den Wohlstand der Lübecker (oder der nordeuropäischen) Bevölkerung oder nur den der Kaufleute? Welche Freiheiten mussten und durften die Kaufleute (und müssen und dürfen Wirtschaftstreibende heute) besitzen? Würde Europa heute anders aussehen, wenn es die Hanse nicht gegeben hätte? Hielten sich die Kaufleute nun eigentlich an die Regeln der Kirche oder nicht? Angesichts der Lebendigkeit der Hanseforschung wäre es für eine Dauerausstellung wie das Europäische Hansemuseum gewagt, sich zu explizit zu aktuellen Debatten zu positionieren, die vielleicht bald überholt sein werden. Die vor Ort angebotene Literatur bietet aber die Möglichkeit, sich über aktuelle Interpretationen der Hanse zu informieren. Schon heute kann man auf seiner Eintrittskarte eine von fünfzig europäischen Städten und einen thematischen Schwerpunkt speichern, zu denen man in den Szenenräumen mehr erfährt. Vielleicht ließe sich dieses Angebot zu thematischen Rundgängen ausbauen für Besucher/Besucherinnen mit wenig Zeit oder spezifischen Interessen.

Das europäische Hansemuseum erzählt die Geschichte der Hanse demnach nicht, wie es der heutigen politischen Stimmung entspräche, als Vorgeschichte der Europäischen Union, sondern als Teil der europäischen Geschichte. In dem Museum auf dem Burghügel wird die Geschichte der Hanse immer wieder konkret in Lübeck verankert und unaufdringlich, aber prägnant in einen europäischen Bezugsrahmen gestellt: Der Wirtschaftsaufschwung des Hochmittelalters, die Backsteingotik, die Pest und die damit einhergehende Neuorientierung der Wirtschaft werden als europäische Phänomene erläutert, die auch die Geschichte Lübecks und der Hanse prägten. So wird die Hanse nicht als Sonderfall, sondern als selbstverständlicher Bestandteil der europäischen Geschichte präsentiert.

Anmerkungen:
1 Einen Überblick über aktuelle Forschungen zur Spätzeit der Hanse bietet der folgende Sammelband: Stephan Selzer / Rolf Hammel-Kiesow (Hrsg.), Hansischer Handel im Strukturwandel, Trier 2016.
2 Siehe dazu Reinhard Paulsen, Die Koggendiskussion in der Forschung. Methodische Probleme und ideologische Verzerrungen, in: Hansische Geschichtsblätter 128 (2010), S. 19-112.

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