Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler

Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler

Veranstalter
Bezirksamt Spandau von Berlin, Fachbereich Kultur, Zitadelle
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.04.2016 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lotte Thaa, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin


Abb. 1: Einige Denkmäler und Büsten der 1901 fertiggestellten Siegesallee im Berliner Tiergarten, die ab 2009 auf der Zitadelle Spandau restauriert wurden und jetzt in der neuen Dauerausstellung zu sehen sind
(© Stadtgeschichtliches Museum Spandau, Foto: Friedhelm Hoffmann)


Abb. 2: Viele Figuren, die ehemals auf der Siegesallee standen, sind in der Ausstellung versammelt.
(Foto: Lotte Thaa)

In den ersten drei Räumen der Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ glaubt man sich inmitten einer abstrusen Ansammlung zahlreicher alter Männer in Weiß, viele davon ohne Nase. Die schiere Masse des Statuenaufgebots beeindruckt, erzeugt stellenweise fast klaustrophobische Gefühle. Im Zusammenspiel mit der schlichten Raumgestaltung (Staab Architekten, Berlin) und der nahezu vollkommenen Abwesenheit von Text entsteht eine Mischung aus sakraler Atmosphäre, sehr ordentlicher Rumpelkammer und White Cube.

Thematisch bedient die Ausstellung – beziehungsweise bedienen die drei Ausstellungen: neue Dauerausstellung plus dazugehörige Sonder- und Kunstausstellung1 – nahezu alle Trendbegriffe, die in den letzten Jahrzehnten zum Thema Berlin und Geschichte en vogue waren und sind: Zeitschichten, Palimpsest, „Stadt des bewegten 20. Jahrhunderts“, „Rom der Zeitgeschichte“. Die Fallen, die ein solches Thema mit sich bringt, hat das Team um Museumsleiterin Andrea Theissen größtenteils elegant umschifft. Es finden sich keine theorieüberbordenden Texte, keine „Ruinenporn“-Ästhetik, kein pompöses Abfeiern der Überwindung von Monarchie und Totalitarismus. Für das Ausstellungsprojekt wurden zahlreiche Denkmäler, Statuen und Gedenksteine aus verschiedensten Museumsdepots befreit, aus politischer und historischer Versenkung aufgetan und, im Falle des Spandauer Shootingstars Wladimir Iljitsch Lenin, auch mal im Wald ausgebuddelt – im Köpenicker Forst, nach jahrelanger Diskussion und akribischer Vorbereitung.

Das Thema bringt es mit sich, dass ein bisschen Vorwissen zur deutschen und Berliner Geschichte für den Ausstellungsbesuch fast schon erforderlich ist, ihn zumindest aber kurzweiliger macht. Vielleicht auch im Bewusstsein dieser Hürde und des für die meisten Berliner_innen doch etwas abgelegenen Standorts bemühten sich die Ausstellungsmacher_innen, Barrieren abzubauen. Miniaturnachbauten, die zum Betasten einladen, und Markierungen, wo etwas angefasst werden darf, machen die Ausstellung zumindest für sehbehinderte Menschen relativ barrierearm. Durch die englische Übersetzung und das äußerst umfangreiche, auf Monitoren verfügbare Bildmaterial ist die Ausstellung zudem für nicht deutschsprachige Besucher_innen interessant. Tatsächlich antworteten auf meine Frage nach ihrem Lieblingsteil der Ausstellung einige Jugendliche (nichtdeutsche Muttersprachler), dass ihnen die künstlerisch gestaltete Audioinstallation („Große Halle“) am besten gefalle, die versucht, den NS-Größenwahnsinn erfahrbar zu machen. Auf mich wirkte der komplett dunkle Raum eher wie eine Negativfolie des Holocaust-Turms von Daniel Libeskind im Jüdischen Museum – eventuell sogar eine beabsichtigte, aber trotzdem seltsame Parallele.


Abb. 3: Medienraum mit rekonstruierter Denkmalgruppe der Siegesallee (Gr. 26 König Friedrich I. in Preußen)
(© Stadtgeschichtliches Museum Spandau, Foto: Friedhelm Hoffmann)

Dennoch lockern diese und die zweite Klanginstallation, die versucht, die Besucher_innen in den Tiergarten an einem Sommertag 1907 zu versetzen (einschließlich grüner Fototapete und Gewitter), die ansonsten eher monotone räumliche Gestaltung auf. Außerdem wird so zumindest medial der Originalkontext in Ansätzen wiederhergestellt. Von diesem sind die meisten Objekte nämlich sehr weit entfernt. Zwar betonen die Macher_innen der Ausstellung, dass es ihnen darum gehe, Gebrauchsspuren aufzuzeigen – gewissermaßen die Geschichtlichkeit der Denkmäler. Das gelingt beispielsweise bei einem mit Graffiti verzierten Element des 1986 eingeweihten Thälmann-Denkmals (dessen Hauptelement bis heute im Prenzlauer Berg zu sehen ist2) auch ausgezeichnet. Der „Vandalismus“ (aus der Zeit direkt nach dem Ende der DDR) wird politisch, wenn er neben der anderen Original-Stele mit einem Zitat Erich Honeckers steht: „ein würdiges Denkmal“, heißt es dort. 1991 wurden beide Groß-Stelen abgebaut.


Abb. 4: Die beiden Stelen des Thälmann-Denkmals im letzten Raum der Ausstellung zu Berlin nach 1945. Eine davon wurde durch Graffiti dem Stadtbild nach der „Wende“ angepasst.
(Foto: Lotte Thaa)


Abb. 5: Teilansicht des Raumes mit Denkmalrelikten der DDR-Zeit – links der Kopf des Lenin-Denkmals, rechts die beiden Elemente des Thälmann-Denkmals
(© Stadtgeschichtliches Museum Spandau, Foto: Jens Achtermann)

In den meisten Fällen wirken die Statuen und weiteren Objekte aus mehreren Jahrhunderten zwar alt und beschädigt – man ist versucht zu sagen: „authentisch“ (es gibt nur ganz wenige Kopien unter den Exponaten). Die Kunstausstellungs-Assoziation ist aber durch Textarmut und weiße Wände trotzdem unvermeidlich. Vom Charme überwachsener, in verlassenen Parkecken lauernder Figuren oder verstaubter und zugedeckter Statuenreste in verschlafenen Dachbodendepots spürt man in diesen Räumen wenig. Die durchaus notwendige Rekontextualisierung lässt zwar keine Verehrungsaufforderung zu, dennoch aber einen Respekt vor musealisierter Geschichte, selbst wenn diese zum Anfassen ist.


Abb. 6: Demontierter, erst ein- und jetzt wieder ausgegrabener Kopf des Lenin-Denkmals von Nikolai Tomski, das auf dem Leninplatz in Berlin-Friedrichshain stand – dem heutigen Platz der Vereinten Nationen
(© Stadtgeschichtliches Museum Spandau, Foto: Friedhelm Hoffmann)

Die Position des mehrere Tonnen schweren Leninkopfes, auf der Seite liegend, mit den transportbedingten vier Schrauben im Kopf, soll Monumentalität vermeiden – Ziel erreicht. Als ich dem Revolutionsführer in der von brandenburgischem Sand erhaltenen Nase bohre, muss ich kichern darüber, dass ich dekadente Akademikerin jetzt machen kann, was zahlreichen Arbeitern und Bauern verwehrt blieb. Den Kopf des insgesamt 19 Meter hohen, 1970 eingeweihten, 1991/92 dann abgerissenen Monumentaldenkmals im Ortsteil Friedrichshain konnten sie nur aus gebührender Distanz betrachten.3

Zur bereits erwähnten sehr kargen und unauffälligen Beschilderung: Texttafeln und Diagramme hätten den fast schon an einen offenen Stadtraum anmutenden Raumeindruck nur gestört. So ist die Entscheidung, nahezu alle längeren Texte und Zusatzmaterialien auf die „Multimedia-Inseln“ auszulagern, sehr zu begrüßen. Schade wäre es allerdings, wenn den weniger technikaffinen Besucher_innen das teils grandiose Beiwerk entginge, denn die Fotografien und Karikaturen bieten spannende Querverweise und historische Kontextualisierungen. Dieses Risiko wird dadurch gemindert, dass in der zugehörigen umfangreichen Sonderausstellung in der Kaserne oft die identischen Texte und 2-D-Objekte gezeigt werden. Ein dortiger Besuch lohnt sich trotz der Wiederholungen in jedem Fall: Hier finden sich einige aufschlussreiche dreidimensionale Objekte, wie eine Miniatur-Tischzier-Variante (von 1973) des sowjetischen Ehrenmals (von 1949) im Treptower Park oder im Jahr 2013 aus der Spree geborgene Teile des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals, aber vor allem auch der inhaltlich zentrale Bezug zur Gegenwart.

Die Distanz zur Jetztzeit bildet nämlich eine der wenigen Schwachstellen der Dauerausstellung. Diese endet mit ihren dreidimensionalen Objekten im Jahr 1989 und zieht damit den Schlussstrich unter das „Ende der Geschichte“ nochmal dick und fett nach (die Multimedia-Stationen nehmen dagegen auch die Ära nach der deutschen Einheit auf). Dass für die Zeit ab 1945/49 nur Denkmalreste und Überbleibsel aus dem Osten herhalten müssen, ist schade, den Macher_innen jedoch nicht wirklich vorzuwerfen, denn die West-Denkmäler stehen ja in aller Regel noch an Ort und Stelle. Vier Denkmäler der 1950er-Jahre aus West-Berlin werden mit Filmmaterial auf einem Großmonitor gezeigt. Das Abreißen, Wiederaufbauen und Kommentieren – eine häufige Berliner Denkmal-Trias – wird vor allem in der Sonderausstellung dokumentiert und präsentiert; damit verstärkt sich leider der post-totalitäre Beigeschmack der Dauerausstellung. Das stellt eines ihrer Grunddilemmata dar. Die Ausstellung zeigt faktisch die zufällig aufbewahrten Überbleibsel der Berliner Denkmalgeschichte. Durch den chronologischen Charakter und den Anspruch der Texte kommt sie jedoch oftmals wie ein repräsentativer Überblick zur Berliner Denkmalkultur daher. Dieses Versprechen kann nie eingelöst werden; es führt wie im Fall des Ost-West-Ungleichgewichts zu problematischen Gewichtungen und impliziten Bewertungen.

Dass in der Sonderausstellung auch aktuelle Beispiele wie das zwei Wochen vor Ausstellungseröffnung gescheiterte Freiheits- und Einheitsdenkmal oder das geplante Mahnmal für die Opfer des Kommunismus vorgestellt werden, lässt 2016 weniger als die ideologieferne, überlegene Gegenwart erscheinen, sondern zeigt Kontinuitäten, Wiederholungen und damit auch Widersprüche auf. Die Tatsache, dass alle neueren Denkmalprojekte Berlins auf Nasen verzichten, mag von weiser Voraussicht angesichts ihres schnellen Ver- bzw. Abfalls zeugen, vielleicht sogar belegen, dass aus Fehlern auch gelernt werden kann. Dabei sollte aber der Verzicht auf Heldenverehrung nicht mit einem Ausweis gesellschaftlicher Fortschrittlichkeit verwechselt werden, wie beispielsweise von den Initiatoren des Freiheits- und Einheitsdenkmals nahegelegt.

Andere Probleme von Denkmalerrichtungen bleiben unabhängig von der konkreten Form überaus aktuell. Es ist ein Manko, dass dies in der Dauerausstellung nicht hinreichend deutlich wird, zumal es an einer Kontextualisierung des Ausstellungsortes mangelt. Die Zitadelle hat selbst eine wechselhafte Geschichte, die mehr einzubinden und auszustellen sicher nur von Vorteil gewesen wäre. So steht vor der Zitadelle seit 1964 ein Bronzeguss von Ares, dem griechischen Gott des Krieges, Massakers und Blutbads. Es handelt sich dabei um ein Überbleibsel von Hermann Görings Jagdsitz Carinhall.4 Ein weiteres Beispiel: Die Brücke, die zur Zitadelle führt, besitzt ein mit verschiedenen historischen Helmen verziertes Geländer. Der letzte in der chronologischen Reihe sieht arg nach einem Helm der Wehrmacht aus, was auch die darunter stehende Jahreszahl 1939 nahelegt.5 Das dürfte zumindest das Pärchen interessieren, das seine Liebe mit einem Vorhängeschloss genau über diesem Helm verewigt hat, hoffentlich unabsichtlich und unwissend.


Abb. 7: Dieser Helm mit der Jahreszahl 1939 befindet sich an den Enden der Brücke, die zur Zitadelleninsel führt – einer der vielen Orte, an denen Pärchen die Dauer ihrer Liebe mit einem Vorhängeschloss besiegeln.
(Foto: Lotte Thaa)

Im besten Fall trägt diese ansonsten behutsam gestaltete und sehr gründlich recherchierte Ausstellung dazu bei, dass Berlin, die Stadt nicht nur des ereignisreichen 20. Jahrhunderts, sondern auch des denkmalwütigen 19. Jahrhunderts (mit der Siegesallee um 1900 als Höhe- und Endpunkt), bewusster und selbstkritischer mit seinem stadträumlichen Erbe umgeht. Ein weißer Fleck auf der Erinnerungslandkarte bleibt dabei wie so oft: Weder der Gedenkstein für die deutschen „Schutztruppen“ in Namibia, inklusive halbherziger Ergänzung zum Völkermord an den Herero und Nama (auf dem ehemaligen Garnisonfriedhof Columbiadamm), noch andere explizite Erinnerungen an die Kolonialzeit tauchen in Spandau auf – oder zumindest nur sehr versteckt, nämlich in der nach Epochen geordneten Berliner Denkmalkarte und Multimedia-Installation am Beginn der Dauerausstellung.6 Aber zum Glück ist Geschichte ja ein offener Prozess, eine Dauerausstellung manchmal auch.7

Anmerkungen:
1 Dauerausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ ab dem 29.4.2016 im ehemaligen Proviantmagazin der Zitadelle Spandau; begleitende, zur Vertiefung gedachte Sonderausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ im Erdgeschoss der Alten Kaserne, vom 29.4. bis zum 30.10.2016; Kunstausstellung „Enthüllt. Eine andere Sicht auf Denkmäler“ im 1. Obergeschoss der Alten Kaserne, ebenfalls vom 29.4. bis zum 30.10.2016 (mit vielen klugen, teils witzigen Bezügen zur Dauerausstellung). Siehe auch <http://www.zitadelle-berlin.de/museengalerien/> (02.06.2016). Zur Kunstausstellung liegt ein Katalog bereits vor: Kunstamt Spandau (Hrsg.), enthüllt. EINE ANDERE SICHT AUF DENKMÄLER, Berlin 2016. Ein Katalog zur Dauerausstellung soll im September erscheinen.
2 Hier ein Foto von 2006: <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ernst_Thaelmann_Berlin.JPEG> (02.06.2016).
3 Eine Bildserie zum Lenin-Denkmal und seinem Abriss findet sich z.B. unter <http://blog.akg-images.com/2014/08/22/lenins-kopf-die-skulpturen-der-siegesallee/> (02.06.2016; der begleitende Text vom August 2014 ist inhaltlich nicht mehr aktuell).
4 Siehe <https://de.wikipedia.org/wiki/Kunst_im_%C3%B6ffentlichen_Raum_in_Spandau> und als Foto <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ares_Ludovisi_Spandau.JPG> (02.06.2016).
5 Seit 1935 war die Zitadelle militärisches Sperrgebiet und Standort von Heeresgasschutzlaboratorien; zudem wurden hier chemische Kampfstoffe entwickelt.
6 Zu (post)kolonialen Gedenkorten in Berlin: <http://www.arcgis.com/apps/MapSeries/index.html?appid=9fb2779479e44fe3918089636970029d> (02.06.2016).
7 Ein herzlicher Dank geht an den „anonymen Historiker“, den ich dreist in der Ausstellung nach seiner Meinung gefragt habe, den kundigen Museumsmitarbeiter, der mich auf Görings Ares-Statue aufmerksam machte, sowie auch an die im Beitrag erwähnten Jugendlichen.