World of Malls. Architekturen des Konsums

World of Malls. Architekturen des Konsums

Veranstalter
Architekturmuseum der TU München, Pinakothek der Moderne
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.07.2016 - 16.10.2016

Publikation(en)

Cover
Lepik, Andres; Bader, Vera Simone (Hrsg.): World of Malls. Architekturen des Konsums. Berlin 2016 : Hatje Cantz Verlag, ISBN 978-3-7757-4138-5 253 S., ca. 200 Abb. € 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Briesen, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen / University of Social Sciences and Humanities, Vietnam National University, Hanoi

Die Ausstellung befasst sich mit der Shopping Mall als Architekturtypus, einem global weit verbreiteten Emblem jener Zwischen-, Megastädte oder Stadtlandschaften, in die sich der Stadt-Land-Gegensatz vielfach aufgelöst hat.1 Allein in den USA entstanden von den 1950er-Jahren bis zum Ende der 1990er-Jahre rund 45.000 Shopping Malls. Dort, in Asien und den Golfstaaten gibt es einzelne Malls, die bis zu einer Million Besucher pro Tag verzeichnen – kein Wunder, denn die Malls bieten besonders in den heißen und kalten Klimazonen der Erde einen wohltemperierten, quasi-öffentlichen Raum an, der zugleich – besonders in Ländern mit hohen Kriminalitätsraten – relativ sicher ist. In Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland, in denen es das im Weltmaßstab durchaus seltene Konzept des gesellschaftlichen, nicht-privatisierten Raumes überhaupt gibt, wird dies allerdings als Zurückdrängung des öffentlichen Raumes zugunsten des Hausrechts der Betreiber von Shopping Malls kritisiert. Während über die Folgen solcher Malls für die jeweiligen Gesellschaften in diversen sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen seit Jahrzehnten intensiv gearbeitet worden ist, wurde die Architektur der Shopping Mall selbst bisher nur selten zum Thema.2

Die Ausstellung des Architekturmuseums der Technischen Universität München und der begleitende Katalog schließen insofern eine wichtige Lücke, erlaubt doch ein näherer Blick auf die bauliche Entwicklung der Shopping Malls wichtige Erkenntnisse über deren gesellschaftliche Funktionen. Mehr noch: Ohne Analysen der Gestaltung kann über die Ursachen und Folgen des Baus von Malls überhaupt schwerlich geforscht werden. Zu den Stärken der Ausstellung gehört es dabei, dem Mythos des Urbanen und dessen vermeintlicher Zerstörung durch die (post)modernen Konsumkulturen eben nicht aufzusitzen. Gezeigt wird, dass der Massenkonsum in architektonischer Hinsicht eine Bauaufgabe ist, die mit zahlreichen Formen gesellschaftlicher Aneignung verbunden sein kann – von der bloßen Durchsetzung der Interessen, die Investoren oder Betreiber großer Einzelhandelsunternehmen haben, über den Einsatz von Shopping Malls für den Wandel in strukturschwachen Gebieten bis zur Umnutzung der Malls durch Verbraucherinteressen. In weiten Teilen Süd-, Südost- und Ostasiens haben Shopping Malls nicht die ursprünglichen Erwartungen jener Investoren erfüllt, die Cash&Carry-Konzepte bei den Verbrauchern durchsetzen wollten. Güter wurden zum Beispiel in Indien schon lange vor dem Einsetzen des Internet-Geschäfts einfach nach Hause bestellt. Die avisierten Cash&Carry-Konsumenten gehen in Südostasien zuallerletzt zum Einkaufen in die Malls, sondern vor allem, um in klimatisierten Räumen ohne Auto- und Motorradlärm zu flanieren, zu essen und ihren Kindern die dort zahlreichen Freizeitangebote zu bieten. Somit dokumentiert die Ausstellung wichtige, nicht allein architektonische Transformationsprozesse; und zwar in einer Art und Weise, die über pauschale Kategorisierungen (urban / nicht-urban, weltstädtisch / provinziell usw.) hinausgeht, die aus der urbanistischen bzw. kulturkritischen Tradition stammen. In einer solchen differenzierten Sicht geben Shopping Malls wichtige Hinweise darauf, wie Gesellschaften Konsum durch Infrastruktur organisieren (sei es bei der Standortwahl oder im Inneren der Malls) und wie sie neue Architekturformen in ihre Traditionen einbinden: von der Landnahme angeblich freier Flächen im amerikanischen Sinne bis zur Integration der Malls in die traditionellen Strukturen der Innenstädte Europas, von den Entertainment-Malls Chinas bis zu den Luxusmalls in den Emiraten.

Das Ausstellungsteam hat sich in seinem Konzept an der Struktur der Shopping Malls selbst orientiert; die verschiedenen Themen werden in entsprechend gestalteten Ladennischen vorgestellt. Neben Videomaterial werden vor allem Fotos, Pläne und Architekturmodelle vorgestellt – die Bauaufgabe steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Erstens wird dabei ein Überblick zu jenen Formen der demonstrativen Architektur erarbeitet, welche die Entwicklung der Shopping Mall vorbereitet haben, besonders die Architektur von Ladenpassage und Warenhaus. In den 1950er-Jahren formulierte der 1938 in die USA emigrierte österreichisch-jüdische Architekt Victor Gruen (1903–1980) ein eigenes Konzept – verwirklicht mit dem 1956 eingeweihten Southdale Center in Minnesota. An insgesamt 23 Beispielen belegen die Ausstellungsmacher/innen zweitens die globale Verbreitung dieses Architekturtypus, besonders die Anfänge der Malls als Betonklötze im Grünen in den USA. Schon früh waren die Malls aber auch mit utopischen Konzepten verbunden, so in dem bereits seit 1955 in Caracas, Venezuela, errichteten El Helicoide, das allerdings unvollendet blieb.3 An zahlreichen weiteren Shopping Malls wird dann deutlich, wie sich dieser architektonische Typus jeweils mit diversen gesellschaftlichen Entwicklungen verband bzw. für diverse Zwecke angeeignet wurde – oder auch nicht.

Dies erlaubt für die einzelnen gewählten Beispiele differenzierte Befunde: Das Main-Taunus-Zentrum im hessischen Sulzbach westlich von Frankfurt (1964 eröffnet) führte keineswegs zu Verlusten an Funktionalität und Attraktivität naheliegender Stadtzentren. Cumbernauld in der Nähe von Glasgow erlebt eine tiefe Krise, vielleicht gerade weil es eine neue urbane Megastruktur als Zukunftsvision einer egalitäreren britischen Gesellschaft etablieren sollte. Diese Vision ist, wie wir inzwischen auch durch das EU-Referendum erfahren mussten, an der Persistenz autoritärer Strukturen in Großbritannien gescheitert. Das Münchener Schwabylon wiederum (1973 eröffnet) ging an übertriebenen Renditeerwartungen Konkurs – schon nach gut einem Jahr wurde es geräumt und 1979 weitgehend abgerissen. Insbesondere außerhalb Europas haben sich dagegen jene Malls als Erfolge bei den Besuchern erwiesen, die aktiv die Eventisierung des Einkaufens vorangetrieben haben und somit neben dem Warenerwerb selbst weitere Freizeitangebote in das Shopping-Paradies integrieren bzw. nicht mehr das Shoppen in den Mittelpunkt stellen, sondern Flanieren, Essen, Besuche von Spielplätzen, Eislaufhallen und Schwimmbädern: Santa Monica Place (1980 eröffnet), Horton Plaza (San Diego, 1985) sowie vor allem die Malls in Asien. Auch in Europa hat in den vergangenen 30 Jahren ein Umdenken eingesetzt. Seitdem wird versucht, für die hiesigen Malls ebenfalls Eventstrukturen zu etablieren. Dies zeigen die Ausstellungsmacher/innen deutlich beim Oberhausener CentrO (1996 eröffnet), bei Las Arenas in Barcelona (2011) und bei der Verwandlung ganzer historischer Stadtkerne in Outlets, wie etwa in Bad Münstereifel (2014) oder Roermond und Maasmechelen. Es gehört außerdem zu den Stärken von Ausstellung und Begleitband, die Malls wie alle Architekturformen als temporäre Lösungen gesellschaftlicher Bauaufgaben zu begreifen – für die Shopping Mall deutet sich mit dem Vorrücken des Internetgeschäfts insofern eine absehbare Krise an (veranschaulicht mit dem Foto einer „Dead Mall“ aus den USA), die auch die Umnutzung bestehender Malls zu einer relevanten Bauaufgabe werden lässt. Wichtige Strategien sind dabei erstens der Umbau in Wohnungen, öffentliche Gebäude oder Krankenhäuser, zweitens der Komplettabriss und drittens die Renaturierung der verwendeten Flächen.

Ein Besuch der in Kürze endenden, in der Presse breit rezipierten Ausstellung ist sehr zu empfehlen.4 Die Lektüre des Katalogs (mit Fallstudien, systematischen Überlegungen und reichhaltigem Bildmaterial) kann auch später noch weiterführende Anregungen für die Verbindung von Architektur-, Stadt- und Konsumgeschichte geben.

Anmerkungen:
1 Ein knapp fünfminütiger (unkommentierter) Einblick in die Ausstellung findet sich unter <https://www.youtube.com/watch?v=F74tjY-pq6Y> (24.09.2016).
2 Siehe etwa Gerald Wood, Die Wahrnehmung städtischen Wandels in der Postmoderne. Untersucht am Beispiel der Stadt Oberhausen, Opladen 2003; Sanjay Srivastava, Entangled Urbanism. Slum, Gated Community, and Shopping Mall in Delhi and Gurgaon, New Delhi 2015.
3 Siehe etwa <http://www.failedarchitecture.com/tropical-babel/> (24.09.2016).
4 Die Medienresonanz war überwiegend positiv. Niklas Maak hat indes scharf kritisiert, dass unter den Sponsoren der Ausstellung ein Unternehmen sei, das selbst Einkaufszentren betreibe – und dass sich dies auf die Darstellung auswirke: Niklas Maak, Es war eine Mall in Amerika, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.08.2016, S. 11, <http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/ausstellung-world-of-malls-im-architekturmuseum-muenchen-14372155.html> (24.09.2016).