Mémorial von Verdun

Veranstalter
Mémorial de Verdun
Ort
Fleury-devant-Douaumont
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.02.2016 -

Publikation(en)

Cover
Desrousseaux de Medrano, Edith (Hrsg.): In der Schlacht. Verdun 1916. Paris 2016 : Jean-Michel Place, ISBN 978-2-85893-986-2 159 S. € 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Braun, Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg

„[…] so werden sich Frankreichs Kräfte verbluten, da es ein Ausweichen nicht gibt, gleichgültig ob wir das Ziel selbst erreichen oder nicht.“1 Dass der Autor dieser Zeilen, der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn, diesen grausam-zynischen militärischen Plan in seiner Weihnachtsdenkschrift 1915 niedergelegt bzw. Wilhelm II. vorgetragen haben will, ist nicht leicht nachzuvollziehen. Schwerer noch fällt es, im hunderttausendfachen Bluten und Verbluten auf beiden Seiten eines kleinräumigen Frontabschnitts einen militärischen Sinn zu erkennen – unterschied sich der Frontverlauf beim Ende der Schlacht doch kaum von demjenigen zu Beginn der Kämpfe. Die Sinnlosigkeit der „Blutpumpe“ oder „Knochenmühle“ Verdun verlangte Historikern nicht nur zur 100. Wiederkehr der Schlacht Erklärungen ab.2 Im völlig neu gestalteten „Mémorial de Verdun“ in Fleury-devant-Douaumont, sechs Kilometer nordöstlich von Verdun, nahe dem heftig umkämpften Fort de Souville, stellt die Dauerausstellung auf 1.800 qm neue Fragen und gibt klare Antworten.3


Abb. 1: Das neu gestaltete „Mémorial de Verdun“ in Fleury-devant-Douaumont
(Foto: Mémorial de Verdun/Jean-Marie Mangeot (France))

Die Ausgangslage: Verdun wurde als Folge der extrem verlustreichen Kämpfe von Februar bis Dezember 1916 nach dem Ende des Krieges zum zentralen Ort des französischen Kriegsgedenkens, wenig später auch des Kriegs-Gedenktourismus.4 Überlebende wünschten sich einen Ort, um gemeinsam der Leiden und der toten Kameraden gedenken zu können, jetzt ohne Nässe und Schlamm. Das ist – vergleichbar mit dem bereits 1932 eingeweihten, etwa einen Kilometer entfernten Beinhaus (Ossuaire de Douaumont) – der Ausgangspunkt des Mémorial de Verdun.


Abb. 2: Der Nachschubweg nach Verdun – die für Frankreich gleichermaßen zum Symbol gewordene „Voie sacrée“
(Foto: Mémorial de Verdun/Jean-Marie Mangeot (France))

„Verdun ist das Symbol und der Gipfel des Großen Krieges. Wahrscheinlich ist es der einzige Name, der über Jahrhunderte nicht in Vergessenheit geraten wird.“ (zitiert auf S. 4) Wer nach Belegen für diese Aussagen des französischen Weltkriegshistorikers und Pétain-Biografen Guy Pedroncini sucht, findet diese auch in der anhaltenden Anteilnahme von Angehörigen ehemaliger Soldaten. Im Sinne eines partizipativen Museums überhäuften sie das Mémorial mit Relikten der Schlacht – eine Fülle, die die „nötige Klarheit zum Verständnis der Botschaft“ (S. 144) verloren gehen ließ, wie der Leiter des Mémorial, Thierry Hubscher, in seinem Beitrag „Die Jahrhundertbaustelle“ schreibt. Man kann ergänzen, dass es heute, 100 Jahre nach diesem Ereignis, gestalterische, technische, mediale und (szeno-)grafische Möglichkeiten gibt, bisher nicht Darstellbares zu zeigen. Damit ist nicht gemeint, einzelnen Exponaten einfach einen Monitor zur Seite zu stellen, um bspw. zu zeigen, wie eine Waffe im Kampf eingesetzt wurde. Das kann kein durchdachtes Ausstellungskonzept ersetzen. Ein solches hingegen liegt der dreisprachigen (Französisch, Deutsch und Englisch), rund 2.000 Exponate umfassenden Ausstellung des Mémorial zugrunde. Sie macht das Mémorial zur Gedenkstätte, „weil es das Andenken der Kriegsveteranen von Verdun ehrt und [zu einem] Interpretationszentrum, weil es jungen Generationen die nötigen Kenntnisse zum Verständnis der Schlacht vermittelt.“ (S. 144) Allerdings werden nicht nur Jugendliche angesprochen. Der Betrachter findet statt einer Aneinanderreihung von alten und allzu bekannten Informationen Antworten auf Fragen wie: „Wer sind die Kämpfer von Verdun?“/„Qui sont les Combattants de Verdun?“. Ohne lange Erklärungen treffen die Besucher auf eine kleine Auswahl von Uniformen. Deren Hellblau (französisch) und Feldgrau (deutsch) lässt die Träger noch als anonymen Teil einer größeren Einheit erscheinen: Soldaten, die in Verdun und im jeweiligen Hinterland kämpften, ausruhten, schliefen, aßen, tranken oder rauchten. Alle weiteren Exponate – handschriftliche Aufzeichnungen, Zeichnungen, ein ganzer Koffer – machen aber deutlich, dass es Individuen waren, die durch diese unmenschliche Knochenmühle gedreht wurden. Eindrucksvoll wird hier der fast wie für einen Urlaub bestückte Koffer von Louis Pergaud, berühmt geworden durch seinen Roman „Krieg der Knöpfe“5 präsentiert; er starb bereits im April 1915 an seinen nahe Verdun erlittenen Verletzungen (S. 100f.).

Gelegentlich glaubt man in den Texten eine Doppelung zu bemerken. Das gründliche Lesen zeigt aber, dass sich Beschreibungen französischer und deutscher Begebenheiten offensichtlich sehr ähnlich waren: „[…] Gewehr des Modells Lebel, von den französischen Soldaten geschätzt für seine Robustheit und Zielgenauigkeit.“ Und: „[…] Gewehr des Modells Mauser […]. Dieses Gewehr mit Verschluss-/Hinterlader wurde von den deutschen Soldaten für seine Zuverlässigkeit geschätzt.“ (S. 28) Von hier bis zu den gemeinsamen Ängsten, dem Leiden und Sterben ist es nur ein kleiner Schritt. Die bislang hier (wie fast überall) herrschende nationale Perspektive ist einer gemeinsamen Sichtweise gewichen. Daraus resultieren interessante Einsichten.


Abb. 3: Ein Kampfflugzeug über einem granatenzerpflügten, mit Filmsequenzen animierten Schlachtfeld
(Foto: Mémorial de Verdun/Jean-Marie Mangeot (France))

Der Besucher kann in der Ausstellung ansatzweise eine Vorstellung vom Schlachtfeld und dem Weg dorthin bekommen – zum Teil unter Glas, zum Teil begehbar oder mittels Spanischer Reiter und Krähenfüßen unpassierbar gemacht. Er lernt auch, was in den Tagen und Wochen vor dem 21. Februar 1916 passierte, damit an diesem Tag die Schlacht beginnen konnte. Was ab diesem Tag geschah zeigt z. B. ein animiertes 3D-Modell des Kampfgebiets, auf dem vordrängende und zurückweichende Linien viel von der Gewalt erahnen lassen, die von letztlich einer Person entfesselt werden konnte (S. 120). Zur Unterstützung der Vorstellungskraft wird der Betrachter mit originalen Kampfflugzeugen über einem granatenzerpflügten Schlachtfeld konfrontiert (S. 121) – ein Eindruck, der durch dort integrierte Filmsequenzen mit am Boden dem Betrachter entgegenrobbenden Soldaten verstärkt wird. Dieser wohldosierte Einsatz multimedialer Inszenierung, für den sich die Ausstellungsmacher des Mémorial entschieden haben, wird für Jahre Bestand haben. Das gilt durchweg für die Art der Präsentation – einer Mischung aus Projektionen, Zeichnungen, Objekten, kleinen Dioramen, Hörstationen, Erläuterungen und vielen gut gefüllten Vitrinen (sie sind teilweise mit 16 Objekten auf kleinem Raum etwas zu voll). Themen wie „Die Verwundung“ oder „Der Tod“ fesseln den Betrachter nachhaltig – mit einem von Granatsplittern durchbohrten Stahlhelm, einem durchbohrten Feldbecher oder einem zerschossenen Geldbeutel. Dass ihn einige zu tief platzierte Bildunterschriften zuweilen in die Knie zwingen, kann den Gesamteindruck kaum trüben.

Auf der zweiten Ausstellungsebene verdeutlichen die Ausstellungsmacher, dass die Höllenmaschine dieser monatelangen Schlacht zu ihrem Funktionieren viel Alltägliches brauchte: „Küche und Geselligkeit“, „Postverkehr“ oder „Auf Fronturlaub“ – um nur drei der 30 Themenbereiche zu nennen. Auch hier zeigt sich, wie sich die Situation auf beiden Seiten der Front glich. Diese Ausstellung des Mémorial zeichnet ein umfassendes und neues Bild der Schlacht von Verdun. Wissenschaftlich fundiert nimmt sie fast durchgängig die Perspektive des einfachen Soldaten – des Poilu und des Feldgrauen – ein; egal ob Franzose oder Deutscher, Angreifer oder Verteidiger: Alle sind Opfer. „Mama, ich bin 20 Jahre alt, und ich will nicht sterben.“ (S. 72); so ist es in einem Brief, der bei einem unbekannten französischen Soldaten gefunden wurde, zu lesen.


Abb. 4: „Warum Verdun?“ „Pourquoi Verdun?“ „Why Verdun?“ Trotz aller Antworten bleibt auch Ratlosigkeit angesichts der nacherlebten Schrecken – und das ist gut so.
(Foto: Mémorial de Verdun/Jean-Marie Mangeot (France))

Die Ausstellung zeigt auch, wie lange es gedauert hat, um zu gemeinsamen Perspektiven und Einsichten zu gelangen – verkörpert bspw. vom Autorenduo Antoine Prost und Gerd Krumeich. Die Rede Charles de Gaulles beim 50jährigen Gedenken 1966, in der er die Verdun-Veteranen ansprechend die Bewertung des Verdun-Helden Philippe Pétain vorsichtig abwägt, gehört zu den wichtigsten Dokumenten der Ausstellung. Hätten die Ausstellungsmacher dieses Filmdokument am Anfang des Rundgangs platziert, wäre diese freie Rede ein Beispiel dafür, wie der Mythos Verdun jahrzehntelang gestärkt wurde. Hier am Ende der Ausstellung aber wirkt die Rede entmystifizierend. Das zeigt, dass die Ausstellung – ergänzt durch die gut gemachten Kataloge und eine attraktive Online-Präsenz6 – ihren Bildungsauftrag voll erfüllt.

Anmerkungen:
1 Erich von Falkenhayn, Die Oberste Heeresleitung 1914–1916 in ihren wichtigsten Entschließungen, Berlin 1920, S. 184. Die Existenz dieser sog. Weihnachtsdenkschrift ist fraglich; vgl. hierzu jüngst Gerd Krumeich; er spricht von einer „plumpe[n] Fälschung – so zynisch, dass Jahrzehnte lang keiner an der Echtheit zweifelte“ (http://www.spiegel.de/einestages/schlacht-um-verdun-beginn-am-21-februar-1916-a-1077397.html [30.06.2017]). Vgl. auch Holger Afflerbach, Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich, München 1994, S. 543–545. Zu Falkenhayns Verdun-Strategie ebd. S. 351–359, zur Schlacht von Verdun selbst S. 360–375.
2 Vgl. z.B. Gerd Krumeich / Antoine Prost, Verdun 1916. Die Schlacht und ihr Mythos aus deutsch-französischer Sicht, Essen 2016.
3 Den Ort Fleury-devant-Douaumont gibt es nicht mehr – er teilt dieses Schicksal mit weiteren acht zerstörten und nicht wieder aufgebauten Orten auf den Schlachtfeldern von Verdun; auf sie sollen Schätzungen zufolge pro Hektar 50 Tonnen Stahl in Form von Granaten gefallen sein.
4 Vgl. hierzu Antoine Prost, Verdun, in: Pierre Nora (Hrsg.), Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005, S. 253–278.
5 Louis Pergaud, La Guerre des boutons, roman de ma douzième année, Paris 1912.
6http://memorial-verdun.fr/ (30.06.2017).

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