Die Schwaben. Zwischen Mythos und Marke

Die Schwaben. Zwischen Mythos und Marke

Veranstalter
Landesmuseum Württemberg
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.10.2016 - 23.04.2017

Publikation(en)

Cover
Landesmuseum Württemberg (Hrsg.): Die Schwaben. Zwischen Mythos und Marke. Stuttgart 2016 : Chr. Belser Gesellschaft für Verlagsgeschäfte GmbH & Co. KG, ISBN 978-3-7630-2757-6 464 S., zahlr. Abb. € 39,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Meyerdirks / Tjark Wegner, Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften, Eberhard Karls Universität Tübingen

Ist der Schwabe fleißig oder faul? Tapfer oder feige? Reich oder arm? Dies sind nur einige der Fragen, mit denen sich die Ausstellung „Die Schwaben. Zwischen Mythos und Marke“ seit dem 22. Oktober 2016 im Landesmuseum Württemberg auseinandersetzt. Wer sich dazu entschließt, ihnen nachzugehen, wird in Stuttgart durch die schwäbische Geschichte und Kunstgeschichte von der Alemannenzeit bis zur Gegenwart geführt. Dabei durchschreitet man zunächst den chronologisch aufgebauten Hauptteil, an den sich dann mit dem Sprachlabor und dem „Allerschwäbischsten“ thematisch ausgerichtete Räume anschließen. Empfangen werden die Besucher von einer Filmcollage mit Szenen, in denen fleißig geschwäbelt wird. Es folgen einige einführende Objekte, anhand derer die erwähnten Leitfragen aufgeworfen werden.

Gleich zu Beginn des chronologischen Abrisses grenzt sich die Ausstellung deutlich von älteren Thesen der Herkunft eines vermeintlichen schwäbischen Stammes ab, indem erläutert wird, dass der Schwabe nicht mit dem antiken Sueben identisch sei, auch wenn er diesem seinen Namen verdankt. Dennoch tritt der Suebe hier sehr deutlich als elbgermanische Moorleiche mit Suebenknoten in Erscheinung, während auf eine Präsentation alemannischer Grabfunde überraschenderweise verzichtet wird. Vielmehr wird die christliche Mission der Alemannia mittels frühmittelalterlicher Sakralkunst veranschaulicht.

Die Zeit des Hochmittelalters bis zur Neuzeit wird im Folgenden anhand von vier schwäbischen Städten gezeigt, wobei deutlich gemacht wird, dass es die schwäbische Hauptstadt zu keiner Zeit gab. Dabei ist zwar jeder Stadt ein Leitthema zugeordnet, unübersehbar im Vordergrund steht jedoch die sakrale Kunst. Den Anfang macht Konstanz als Sitz des „schwäbischen Bistums“; die Stadt wird passenderweise als das Zentrum der Künste am Bodensee dargestellt, auch wenn von den folgenden Exponaten nur eine Minderheit definitiv Konstanz zuzuordnen ist. Allerdings handelt es sich hier um durchaus sehenswerte und herausragende Objekte wie etwa das Freudenstädter Lesepult. Zugleich wird die Frage aufgegriffen, ob die Schwaben tapfer seien. Dieser Aspekt wird schlüssig mit einigen Quellenzitaten behandelt, auch wenn der Konnex zur Sakralkunst offen bleibt. Ebenfalls thematisiert werden das Herzogtum Schwaben sowie die Rivalitäten zwischen Zähringern, Staufern und Welfen, wobei das Elsass etwas aus dem Blick gerät. Daran anschließend folgt die Reichsstadt Ulm mit einem zeitlichen Schwerpunkt im 15. Jahrhundert und der Frage, ob die Schwaben „frei“ (gewesen) seien. Das Thema wird an der relativen „Freiheit“ der Reichsstädte innerhalb des Reichs sowie an den Freiheitsbestrebungen der Eidgenossen, die sich im Schwabenkrieg 1499 die Unabhängigkeit erstreiten konnten, festgemacht. Anschließend wird der Besucher nach Bayerisch-Schwaben, genauer nach Augsburg geführt. Hier wird vor allem anhand des 16. Jahrhunderts gefragt, ob die Schwaben reich sind beziehungsweise waren. Selbstverständlich dürfen dabei die Fugger nicht fehlen, die hier in ihrem Verhältnis zu Kaiser Maximilian I. dargestellt werden. Überraschenderweise kommen die Freiheitsbewegungen des Armen Konrads und des Bauernkrieges zu Beginn des 16. Jahrhunderts erst jetzt zur Sprache. Während der schwäbische Reichtum anhand aufwändiger Sakralkunst gezeigt wird, steht ein Modell der Ulmer Schachtel symbolisch für die Armut im Ländle, die zur Auswanderung entlang der Donau nach Südosten führte.

Der Weg in die Moderne führt schließlich nach Stuttgart. Mit Blick auf das 19. Jahrhundert begegnet den Besuchern ein Pantheon großer Schwaben, in dem vor allem Dichter und Denker vorgestellt werden. Zugleich wird aufgezeigt, wie sich das damals junge Königreich Württemberg selbst als „schwäbische Nation“ erfand und so die bis heute gültige Verbindung von Schwaben mit Württemberg schuf. Parallel dazu verengt sich der Fokus der Ausstellung auf Württemberg. Weniger glücklich sind hierbei Auswahl und Darstellung zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wenn NS-Regime und Hitler wie Fremdkörper ins moderne Stuttgart einzudringen scheinen.1 Auch wird der Widerstand am Beispiel der Geschwister Scholl und Graf Stauffenbergs gezeigt, während die Orte des Verbrechens wie Grafeneck oder problematische Persönlichkeiten wie etwa Erwin Rommel oder Hans Filbinger unerwähnt bleiben. Anhand eines großen idyllischen Triptychons wird die nationalsozialistische Propaganda verdeutlicht, und im Kontrast dazu werden kleine Bilder aus Stuttgart während und direkt nach der NS-Zeit gezeigt.

Als eine Art Annex findet sich im Anschluss an diesen historischen Rundgang das „Sprachlabor“. Hier werden die Binnengrenzen des Schwäbischen ebenso veranschaulicht wie die kontextspezifischen Sprachebenen, denen sich der Schwabe mehr oder weniger bewusst bedienen kann.

Nach diesem Exkurs gelangt der Besucher ins „Allerschwäbischste“, das mit einer kurzen Ausführung zum Pietismus und einem Regal mit typisch schwäbischen Alltagsgegenständen beginnt – darunter die Sparschaltung für das Kellerlicht und Utensilien für die Kehrwoche. Darauf tritt man in eine Gruppe berühmter Schwaben: von Schiller, Hölderlin und Kepler über die Geschwister Scholl bis hin zur Hip-Hop-Gruppe „Die Fantastischen Vier“. Negativ konnotierte Persönlichkeiten fehlen.

Es folgt ein Potpourri schwäbischer Erfindungen und Innovationen: Die interessant ausgewählten, ansprechenden Objekte, die vor allem dem 19. und 20. Jahrhundert entstammen, reichen vom Streichholz bis hin zur Flex. Nach diesem Einblick in die Erfindungsgabe im Ländle folgt eine Ausstellung verschiedenster Gerätschaften, die der Zubereitung der schwäbischen Leibspeise, Spätzle, dienen. Der Abschluss der Ausstellung, der sich der schwäbischen Identität widmet, wurde versöhnend gestaltet: So heißt es abschließend, dass kulturelle Identität wenig mit Hautfarbe oder Blutsverwandtschaft zu tun habe, sondern diejenigen Schwaben seien, die sich als solche fühlten. Dass einem dazu aber auch von denen, die von außen betrachtet als Schwaben wahrgenommen werden, die Chance eingeräumt werden muss, sich zugehörig zu fühlen, wird ausgeklammert. Das Wort „Neigschmeckter“ ist schließlich nicht unbedingt als Kompliment zu sehen und wird auch heute noch benutzt, um Zugewanderte zu bezeichnen.

Durch die Ausstellung begleitet den Besucher ein Audioguide. Dieser ist nach einer kurzen Eingewöhnungszeit (gerade was das Scannen für den Start von Hörtexten angeht) ein treuer und sehr guter Begleiter. Eine gute Idee und der Ausstellung entsprechend ist es, wenn der schwäbische Komiker Dodokay diesen spricht und neben Deutsch und Englisch auch (leichtes) Schwäbisch zur Auswahl steht. Einschränkend ist allerdings zu erwähnen, dass die Platzierung der Scanpunkte an einigen Stellen nicht immer intuitiv zu finden ist; auch der Funkbereich scheint für den automatisch gestarteten Starttext nicht besonders ausgewogen. Im Übrigen ist der Medieneinsatz rundum zu loben, wenn beispielsweise das Medium Buch sinnvoll in eine Ausstellung eingebunden wird, indem an einem Touchscreen Diepold Schillings Chronik durchgeblättert werden kann und nicht nur eine Doppelseite zu sehen ist. Auch die Sprachkarte im Sprachlabor, auf der die verschiedenen Formen des Schwäbischen eingezeichnet sind und der Besucher sich mittels Scan verschiedene, regional verzeichnete Textbeispiele anhören kann, ist sehr gelungen. An manchen Stellen ist es zwar sehr schön anzusehen, wenn die Texte weiß auf Glas oder Spiegel gedruckt sind, bei hellem Hintergrund leidet die Lesbarkeit jedoch darunter.

Insgesamt zeigt die Ausstellung eine sehr breite Auswahl an Objekten zum Thema der Ausstellung, sodass jeder Besucher etwas für ihn Interessantes und Neues finden wird. Schwerpunktsetzung und Objektauswahl überzeugen jedoch nicht immer. So scheint die große Zahl zweifellos sehenswerter Sakralkunst in Hinblick auf das Thema der Ausstellung nicht wirklich begründet. Zu fragen ist etwa, ob Wein oder Barchent und Leinen in Mittelalter und Früher Neuzeit nicht ebenso schwäbisch und für die meisten Schwaben auch weitaus bedeutsamer waren.

Schwerer wiegt der an entscheidenden Stellen etwas zu kritiklose und gelegentlich allzu positive Tenor. Daher stellt sich auch die Frage nach der letztendlichen Motivation der Ausstellungsmacher für ihre Themenwahl, zumal dieser Aspekt auch im Begleitband nicht wirklich erörtert wird. In Zeiten der Globalisierung und eines auseinanderdriftenden Europas scheint die Region als Identifikationsstifter wieder an Gewicht zu gewinnen. Als solcher war sie in Deutschland auch schon in der Nachkriegszeit wichtig, da sich die „gesamtdeutsche“ Geschichte weniger als Anknüpfungspunkt für die junge Demokratie eignete. Im 21. Jahrhundert wäre ein kritischerer Umgang mit der Vergangenheit der Region – gerade auch in Ausstellungen, die in die Breite wirken, und nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen – wünschenswert gewesen. Dies tritt umso deutlicher hervor, als das mehrfach aufgegriffene Thema Flucht und Migration unverkennbare und sicher gewollte Bezüge zur aktuellen politischen Debatten herstellt. Die Ausstellung lässt offen, ob und inwieweit die Schwaben – gerade auch im Vergleich mit anderen Regionen – gesamtdeutsche Entwicklungen wie etwa die Reichsgründung 1870/71 oder eben auch den Nationalsozialismus begrüßten und daran aktiv teilnahmen oder eher auf Distanz gingen.

Der Ausstellungstitel „Zwischen Mythos und Marke“ wird im ersten Teil der Ausstellung (mehr oder weniger) durch die aufgeworfenen Fragen und im zweiten durch die Erfindungen repräsentiert, scheint aber insgesamt eher der Alliteration als der tatsächlichen Konzeption geschuldet. Somit lohnt sich die Ausstellung vor allem für jene, die nicht unbedingt auf der Suche nach präzisen Aussagen ins Alte Schloss fahren, sondern sich durch eine vielfältige Zusammenstellung durchaus sehenswerter schwäbischer Objekte treiben lassen wollen.

Abschließend ist die thematisch passende Kinderausstellung lobend zu erwähnen: Hier werden in kindgerechter Form die „7 SuperSchwaben. Helden und Erfinder im Jungen Schloss“ präsentiert. Passend dazu gibt es ein günstiges Begleitheft.

Zur eigentlichen Ausstellung ist ein voluminöser und hochwertiger Begleitband erhältlich, der nicht zuletzt durch seine umfangreichen Abbildungen überzeugt. In rund 30 Aufsätzen werden zahlreiche Aspekte der Ausstellung, zumeist von namhaften Fachwissenschaftlern, für ein breites Publikum zusammenfassend abgehandelt. Die prägnante Kürze des Beiträge sowie die blauen Doppelseiten, die ausgewählte Objekte und Klischees unter die Lupe nehmen, geben dem Begleitband den Charakter eines Lesebuchs, in dem sich sehr gut schmökern lässt. Damit erscheint der Band für eine sehr breite Leserschaft geeignet. Im Gegensatz zu manch anderem Ausstellungsband kann er aber nicht als populärwissenschaftliches Handbuch gelten, dazu sind die Beiträge zu knapp gehalten und thematisch zu weit gestreut. Positiv zu vermerken ist, dass der Band die ausgestellten Stücke in kompakter Darstellung sowie mit kleinen Fotos festhält und damit auch die Funktionen eines – bei anderen Ausstellungen gelegentlich vermissten – Katalogs übernimmt.

Anmerkung:
1 So ist im zentralen Text in der Ausstellung im Raum zu Stuttgart etwas unglücklich formuliert: „Das Königreich Württemberg gab sich selbstbewusst und legte sich stolz eine ‚schwäbische‘ Identität zu. Im Dritten Reich (1933–1945) vereinnahmten die Nationalsozialisten die angebliche schwäbische Heimatverbundenheit für ihre ‚Blut und Boden‘-Ideologie. Im Kontrast dazu entwickelte sich Stuttgart ab 1900 zu einer modernen Metropole und zum Zentrum der Künste sowie Industrie.“ Im Begleitband wird der Nationalsozialismus zwar teilweise etwas ausführlicher, letztlich aber doch ziemlich knapp behandelt.

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