Haus der Europäischen Geschichte

Haus der Europäischen Geschichte

Veranstalter
Europäische Union
Ort
Brüssel
Land
Belgium
Vom - Bis
06.05.2017 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Caroline Bernert, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Was ist Europa? Was ist europäische Geschichte? Und fügen sich die einzelnen nationalgeschichtlichen Narrative zu einem gemeinsamen Geschichtsbild zusammen? Diesen Fragen widmet sich die Dauerausstellung des im Mai 2017 eröffneten Hauses der Europäischen Geschichte. Das Museum steht im Brüsseler Léopold-Park und somit in direkter Nähe zum Europäischen Parlament, das Initiator des Projektes ist und 2007 den Aufbau des Museums beschloss.1 Erklärtes Ziel ist, so Kuratorin Andrea Mork, ein kollektives Bewusstsein für eine gemeinsame Vergangenheit zu schaffen und dadurch eine europäische Identität zu bekräftigen.2 Bekommt man als Besucher/in nun eine europäische Meistererzählung vorgesetzt? Die Ausstellung erstreckt sich über fünf Ebenen, die jeweils einen eigenen Zeitabschnitt behandeln und deren Sektionen jeweils thematisch gegliedert sind. Chronologisch angeordnet arbeiten sich die Besucher/innen durch die neuere europäische Geschichte des „langen“ 19. Jahrhunderts bis zur heutigen Zeit vor.

Die erste Ebene fragt „Was ist Europa?“. Als Einführung in die Ausstellung dient eine geografische Erfassung des Kontinents, begleitet von einer Karten-Animation, der die Vorstellung von Europa als einem „geistige[n] Raum“3 an die Seite gestellt wird. Die Besucher/innen begeben sich zurück ins antike Griechenland, um mit dem Mythos der Europa vertraut gemacht zu werden. Bereits hier wird die zentrale Frage aufgeworfen, die die gesamte Ausstellung durchzieht: Wo sind die Schnittmengen der zumeist national eingegrenzten historischen Erinnerungen und Erfahrungen, aus denen eine gemeinsame europäische Erinnerung entstehen könnte?


Abb. 1: Zeitgenössische Aufnahmen von unterschiedlichen Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, in der Glasvitrine davor eine Replik der Waffe vom Attentat in Sarajewo 1914
(C) House of European History European Parliament

Als den eigentlichen Startpunkt europäischer Geschichte setzt die Ausstellung auf der zweiten Ebene – betitelt mit „Weltmacht Europa (1789-1914)“ – die Französische Revolution. Mit Liberté, Égalité und Fraternité manifestierten sich in ihr jene Werte, die, wie postuliert wird, ganz Europa teile. Thematische Schwerpunkte dieses Abschnitts sind dann jedoch eher die gesellschaftlichen und technologischen Dynamiken und Veränderungen im Europa des 19. Jahrhunderts, so zum Beispiel die Idee des Sozialismus als Antwort auf Herausbildung der Sozialen Frage im Zuge der zunehmenden Industrialisierung. Ebenso finden der wachsende Nationalismus sowie Imperialismus und Kolonialismus, Rassendenken und Sozialdarwinismus ihren Weg in die Ausstellung. Durch einen gläsernen Tunnelgang, der eine historische Zwangsläufigkeit suggeriert, steuert der Besucher unweigerlich auf die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu, den Ersten Weltkrieg. Der Kriegsverlauf wird dann nicht detailliert beschrieben und so bleibt als Quintessenz die Einordnung des Ersten Weltkrieges als eines der bedeutsamsten, identitätsstiftenden gesamteuropäischen Ereignisse, das einen Großteil des europäischen Kollektivgedächtnisses einnehme.


Abb. 2: Materialschlachten - der hoch technologisierte Waffeneinsatz im Ersten Weltkrieg
(C) House of European History European Parliament

Unter der Überschrift „Trümmerfeld Europa (1914-1945)“ widmet sich die dritte Ebene der Zwischenkriegszeit und dem Zweiten Weltkrieg. Ausgehend von den Grenzverschiebungen und Regimewechseln in der Folge des Ersten Weltkrieges, wobei auch die zunehmende Ausbreitung des Kommunismus Erwähnung findet, werden die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der 1920er-Jahre vorgestellt. Die Thematisierung der europäischen Diktaturen erfolgt indes ziemlich vereinfacht, weil auf Personalisierung gesetzt wird: Ein ganzer Raum ist ausschließlich Adolf Hitler und Josef Stalin gewidmet. Auf mehrere, hoch aufgerichtete Leinwände werden Bilder und Filmausschnitte der beiden Diktatoren und des um sie entstehenden Personenkultes projiziert. Auf diese Eindrücke folgen zentrale Ereignisse des Zweiten Weltkrieges, des Holocausts sowie einzelner Widerstandsbewegungen.

Die vierte Ebene – „Wiederaufbau eines geteilten Kontinents (1945 bis 1970er-Jahre)“ – stellt Europa als Schauplatz des Kalten Krieges dar und arbeitet dabei mit einer starken Dichotomisierung der sich gegenüberstehenden Mächte, um die Teilung des Kontinents zu beschreiben. Vom Rest der Ausstellung seltsam isoliert ist indes die Entstehungsgeschichte der Europäischen Gemeinschaft. Säulen in Farbe der Flagge der Europäischen Union symbolisieren Meilensteine (wie die Römischen Verträge von 1957) der Institutionengeschichte der Europäischen Integration.


Abb. 3: Schlaglichter auf die Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Filmausschnitten und Fotografien
(C) House of European History European Parliament

Die fünfte Ebene thematisiert unter der Überschrift „Erschütterte Gewissheiten (1970er-Jahre bis heute)“ das Ende des Kalten Krieges, die deutsche Wiedervereinigung und das Ende des Kommunismus sowie die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen des zusammenwachsenden Kontinents Europa. Anhand des Zerfalls Jugoslawiens wird die immer wichtigere Rolle der Europäischen Union aufgezeigt, die den letzten Teil der Ausstellung dominiert. Am Ende des Durchgangs steht ein Bücherregal mit Wörterbüchern offizieller Amtssprachen der Europäischen Union und versinnbildlicht noch einmal das Motto der EU: in Vielfalt vereint. Dass diese Einheit auch auf einer geteilten Vergangenheit beruht, ist eine der zentralen Botschaften der Ausstellung.

Die Dauerausstellung arbeitet hauptsächlich mit visuellen Reizen. Sie präsentiert eine Vielzahl an Objekten, die jedoch kaum interagieren. Das Zusammenspiel von Ausstellungsnarration und ihren – unbeschrifteten – Exponaten funktioniert oftmals nicht. Dies liegt an der fehlenden Kontextualisierung des Gezeigten, die zu viel Raum für lose Interpretationen bietet und die Gefahr einer zu starken Vereinfachung historischer Zusammenhänge birgt. Warum beispielsweise werden auf der vierten Ebene die Schlüssel zu einem Haus in Brieg (Brzeg) ausgestellt? Worin besteht der Zusammenhang mit dem beginnenden Wiederaufbau nach 1945? Inwiefern verweisen die Schlüssel auf ein europäisches Moment? Ebenso wenig werden die gezeigten Filmausschnitte im Abschnitt zum Zweiten Weltkrieg kontextualisiert. Die Besucher/innen werden im Unklaren darüber gelassen, was dort eigentlich zu sehen ist: Wo befindet sich der soeben gezeigte Schauplatz? Wer sind die dargestellten Personen? So werden mit den Objekten, Filmen, Plakaten usw. in erster Linie Emotionen vermittelt. Mit dem fehlenden Zusammenhang delegitimiert sich zugleich der Mehrwert des jeweiligen Objektes. Dieses Defizit wird leider nur teilweise durch einen obligaten Multimedia-Guide aufgefangen. Die Besucher/innen werden mithilfe eines Tablets, das kurze Erklärungen zu den Exponaten in allen 24 Amtssprachen der EU bereithält, interaktiv durch die Dauerausstellung geführt. Es bietet Orientierung und sorgt für einen klar strukturierten Rundgang. Bei Interesse können zu bestimmten Exponaten weitere, jedoch sehr knapp gehaltene Informationen abgerufen werden. Leider fehlt es an einer Einführung in die Bedienung des Geräts.

Leerstellen sind bei einem Ausstellungsprojekt, das zeitlich Jahrhunderte und räumlich einen ganzen Kontinent umfasst, nicht zu vermeiden. Dass jedoch ein so bedeutender und konstitutiver Teil europäischer Geschichte wie das Christentum in der Dauerausstellung keine Erwähnung findet, überrascht dann doch.4 Auch ist eine Schlagseite in Richtung Westeuropa zu konstatieren; der östliche Teil des Kontinents ist deutlich unterrepräsentiert. So wird auch an der Ausstellung selbst deutlich, dass das Haus der Europäischen Geschichte in einem politischen Kontext steht. Es soll identitätsstiftende Anknüpfungspunkte auf breiter Basis zu liefern und damit nachhaltiges Interesse für die Geschichte Europas und die der Europäischen Union zu wecken. Die durchgängige Emotionalisierung verweist darauf, dass es sich eben auch um ein Medium der Unterhaltung handelt. Es geht darum, einen leichten Zugang für breite Zielgruppen, vorrangig Familien und Schulklassen, zu schaffen. Positiv zu vermerken ist, dass die Ausstellung aktiv Fragen an die Besucher/innen stellt, nach europäischer Erinnerung, europäischer Identität und der Zukunft Europas. Sie leisten damit die Reflexionsarbeit, die die Ausstellung selbst nicht anbietet. Insofern erscheint es folgerichtig, dass sie ein offenes Ende bereithält und sich nicht als abgeschlossenes, fertiges Produkt präsentiert. Ganz im Gegenteil steht beim Haus der Europäischen Geschichte letztendlich die Weiterentwicklung Europas und der Europäischen Union als voranschreitender Prozess im Fokus.

Anmerkungen:
1 Hier sei auf einen Sammelband verwiesen, der sich kritisch in mehreren Aufsätzen und vor Ausstellungseröffnung mit dem Projekt eines Hauses der Europäischen Geschichte auseinandergesetzt hat: Volkhard Knigge / Hans-Joachim Veen / Ulrich Mählert / Franz-Josef Schlichting (Hrsg.), Arbeit am europäischen Gedächtnis. Diktaturerfahrung und Demokratieentwicklung, Köln 2011.
2 Interview mit Kuratorin Dr. Andrea Mork: „Kuratieren in einem gesamteuropäischen Rahmen“ vom 27.02.2017, URL: https://historia-europa.ep.eu/de/focus/kuratieren-einem-gesamteuropaeischen-rahmen (20.09.2019); Sachverständigenausschuss des Europäischen Parlaments: „Konzeptionelle Grundlagen für ein Haus der Europäischen Geschichte“, Brüssel 2008, URL: http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2004_2009/documents/dv/745/745721/745721_de.pdf (20.09.2019).
3 Museumsführer Dauerausstellung, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union (Hrsg.), Luxemburg 2017, S. 8.
4 Vgl. Mária Schmidt, Auf dem Weg zu einem europäischen Gedächtnis? Eine ungarische Sicht auf das geplante Haus der Europäischen Geschichte, in: Knigge et al., Arbeit am europäischen Gedächtnis, S. 165-167, besonders S. 166.

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