Pferdemann und Löwenfrau. Mischwesen der Antike

Pferdemann und Löwenfrau. Mischwesen der Antike

Veranstalter
Museum für Vor- und Frühgeschichte München; Archäologische Staatssammlung (10427)
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10427
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.12.2000 - 22.04.2001

Publikation(en)

Wamser, L.; G. Zahlhaas (Hrsg.): Pferdemann und Löwenfrau. Mischwesen der Antike. München 2000 176 S. 39,80 DM
Georg Friebe

Die Beschaeftigung mit der Natur steht am Anfang jeder kulturellen Entwicklung. Doch bald stoesst der Mensch an seine Grenzen und wird mit dem Unerklaerlichen konfrontiert. Um das Unerklaerliche erklaerbar zu machen, wurden von alters her Naturgewalten als uebernatuerliche Wesen personifiziert. Diese bildlich darzustellen, reichte die menschliche oder tierische Gestalt allein nicht aus. Naturgoetter mussten maechtiger sein als Mensch oder Tier. Und so nahm der Mensch frueherer Kulturen von jeder Tierart die Merkmale, die er mit ganz besonderen - dem Menschen ueberlegenen - Faehigkeiten in Verbindung brachte. Wie maechtig musste ein Wesen sein, das die besten Eigenschaften mehrerer Tierarten in sich vereinte! Und natuerlich durften anthropomorphe Zuege in diesen Mischwesen nicht fehlen.

Aus dem 4. Jahrtausend vor unserer Zeit stammen die fruehesten Darstellungen von Mischwesen. Von dort spannt sich der Bogen von den Goetterdarstellungen Mesopotamiens und Aegyptens ueber die Klassische Antike und die antikisierenden Goetterbilder der Renaissance bis zu den heutigen Monstern in Fantasy- und Science-Fiction-Filmen. Die alten Goetter wurden entmachtet und profanisiert, wurden zum Spielzeug der Unterhaltungsindustrie. Erste Ansaetze dazu finden sich bereits bei den antiken Kulturen der Griechen und speziell der Roemer.

Die Abbilder der Goetter dienten nicht nur der Verehrung und der bildlichen (wenn schon nicht schriftlichen) Weitergabe des Mythos. Sie hatten stets auch eine Schutzfunktion, indem einer Bedrohung das Bildnis einer noch maechtigeren Macht entgegengehalten wurde. Bei den Rollsiegeln Mesopotamiens steht dieser apotropaeische Aspekt im Vordergrund. Gleichzeitig hatten sie eine profane Bedeutung als "persoenliche Unterschrift" im Geschaeftsverkehr.

Seltsamste Mischwesen aus Mensch und Tier finden sich bei den Aegyptern. Die hervorragenden Eigenschaften der Hauptgoetter wurden durch einen Tierkopf - oft auf menschlichem Koerper - ausgedrueckt. Dies resultiert aus dem hoffnungslosen Versuch, das Goettliche, das Nicht-Sichtbare sichtbar zu machen. Judentum, Christentum und Islam sind an diesem Versuch gescheitert und haben als einzig gangbare Konsequenz ein Bilderverbot erlassen. Zur "Ermittlung" der Eigenschaften dienten Beobachtungen des taeglichen Lebens. Schakale hielten sich als (angebliche) "Leichenfledderer" oft in der Naehe von Grabstaetten auf. Daraus wurde eine besondere Beziehung dieses Tiers zum Tod abgeleitet. Caniden wurden zu Schutzgoettern des Totenreichs.

Im klassischen Griechenland setzte mit der Wende zum 7. Jahrhundert v.u.Z. eine intensive Auseinandersetzung mit den Kulturen des Vorderen Orients ein, deren Bilderwelt uebernommen und modifiziert wurde. Doch die Hauptgoetter der Griechen hatten rein menschliche Gestalt. Die Mischwesen wurde zu untergeordneten Naturdaemonen, die ab Ende des 6. Jahrhunderts v.u.Z. in den Mythos eingebunden sind. Sie erfuhren im Laufe der Zeit eine weitere Profanisierung bis zum Symbol menschlicher Laster oder zur reinen Dekoration. Aus dem Gorgonenhaupt etwa - mit seiner verzerrten Fratze, der heraushaengenden Zunge und den wirren Schlangenhaaren das apotropaeische Zeichen schlechthin - wurde ein klassisch schoener Frauenkopf, bei dem nur noch die gar nicht mehr wirr-wilden Schlangenhaare auf seine urspruengliche Herkunft deuten, wurde ein reines Dekorationselement.

Mit Ende des Roemischen Imperiums und dem aufkommenden Christentum gerieten die alten goettlichen Mischwesen in Vergessenheit. Erst in der Renaissance erinnerte man sich der antiken Goetterwelt - und nutzte sie als Vorwand fuer so manche erotische Darstellung. Doch dies ist Thema einer anderen Ausstellung!

Mit Ratlosigkeit begegnet der "moderne" Mensch diesen Monstren, deren Symbolik er nicht mehr versteht. Dieser Ratlosigkeit suchte 1999 eine Ausstellung in Wuerzburg ueber die Mischwesen der Griechen und Roemer zu begegnen. Deren Konzept bildet das Grundgeruest fuer den Hauptteil der nunmehrigen Muenchner Ausstellung. Ihr Schwerpunkt liegt zweifellos auf der Klassischen Antike. Doch hier sind nun auch die Kulturen Mesopotamiens und Aegyptens als Vorreiter und Ideenlieferanten vertreten. Es folgt eine sehr kurze Betrachtung ueber den Einfluss der mediterranen Kulturen auf die Bilderwelt der Kelten. Zwischen griechischer und roemischer Mythologie wurde aus naheliegenden Gruenden nicht unterschieden.

Jedes Grosskapitel wird auf Texttafeln vorgestellt. Kleinere Tafeln diskutieren spezielle Aspekte und dienen als Erlaeuterung zu den Objekten in den Vitrinen, die jeweils einem Detailthema gewidmet sind. So nimmt bei Griechen und Roemern jedes Mischwesen eine eigene Vitrine ein. Als Verbindung zwischen Vitrine und Tafel fungiert ein anthropomorphes Mischwesen, ein Kentaur mit Jagdbogen, dessen Pfeil auf die jeweilige Vitrine gerichtet ist. Sind mehrere Tafeln einem Thema gewidmet, so wird deren Reihenfolge durch die Zahl der Kentauren symbolisiert.

Obwohl der Rundgang durch die Architektur klar vorgegeben ist, zieht sich ein roter Wollfaden durch die gesamte Ausstellung. Er erscheint ueberfluessig, da der Besucher ohnehin keine andere Wahl hat. Das Raetsel loest sich bei der letzten Vitrine: Etwas ausserhalb der Reihenfolge ist sie dem Stiermensch Minotauros gewidmet, der in seinem Labyrinth-Kaefig von Theseus getoetet wurde. Den Rueckweg fand letzterer mit Hilfe eines Wollfadens, den er auf Rat der Ariadne am Eingang befestigt und auf seinem Weg abgespult hatte. Bei dieser Vitrine endet der Rote Faden nicht einfach, sondern in einem Spalt findet sich das Wollknaeuel.

Die Vitrine sind mit ausgewaehlten, repraesentativen und qualitativ hervorragenden, sehenswerten Objekten bestueckt. Eine Ueberfuellung wurde gluecklich vermieden. Die Objektbeschriftung erfolgt leider mit einem Nummernsystem, was jedoch angesichts der wenigen Stuecke noch vertretbar ist. Laestig wird es nur dort, wo die Vitrine in die Wand eingelassen ist und sich die Objektbezeichnungen aussen auf der (schlecht ausgeleuchteten) Wand befinden. Sind zwei oder mehr Beschriftungstafeln in einer Vitrine (was an und fuer sich zu begruessen waere), so stimmt die Gruppierung der Objekte nicht immer mit der Gruppierung der Bezeichnungen ueberein.

Die Einfuehrungstafeln sind zu nahe am Eingang ungluecklich plaziert. Die Besucher behindern sich gegenseitig, starkes Streulicht aus der Eingangshalle fuehrt zu Schattenreflexen. Auch die Vitrinentexte sind oftmals im Schatten, was die Lesbarkeit bei weisser Schrift auf dunklem, moosgruenem Grund reduziert und die Ermuedung der Augen foerdert.

Die Texte sind meist leicht verstaendlich, wenngleich doch das eine oder andere Fremdwort sich eingeschlichen hat. An manchen Stellen sind sie etwas langatmig - Kuerzungen waeren moeglich gewesen. Auch wenn es vordergruendig viel zu lesen gibt, wird gerade dadurch Information angeboten, die aus den Objekten selbst nicht hervorgeht. Fuer Kenner der klassischen Mythologie mag dies wenig Neues bieten, fuer alle anderen Besucher sind sie eine wertvolle Bereicherung. Und selbst wer seine humanistische Bildung fuer umfassend haelt, kann neue Aspekte entdecken.

Zur Ausstellung erschien ein ausfuehrlicher Katalog. Die Einfuehrungstexte zu Grosskapiteln und Vitrinen sind umfassender ausgefuehrt, jedes Objekt ist mit Abbildung verzeichnet. Doch nicht nur das: Neben den Angaben zu Material, Alter und Herkunft, Groesse und Leihgeber enthaelt er ausfuehrliche Beschreibungen und Informationen zur Verwendung des Objekts und zur Deutung der Mischwesen - Informationen, die in der Ausstellung selbst naturgemaess keinen Platz haben. Zu jedem Objekt gibt es Literaturangaben, die jedoch nicht in einer Gesamtbibliographie am Ende des Buches zusammengefasst sind. Dies mag auf den ersten Blick unwissenschaftlich erscheinen, erspart dem Leser aber unnoetiges Blaettern. Lediglich die wichtigste, oefter zitierte und allgemeine Literatur ist auf einer eigenen Seite angefuehrt. Ein Glossar erlaeutert ungebraeuchliche, aber mehrfach wiederkehrende Begriffe. Der Katalog ist somit nicht nur eine wertvolle Ergaenzung zur Ausstellung, sondern ein umfassendes Nachschlagewerk, das man sicher auch spaeter wieder gerne zur Hand nimmt.

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